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Ausgabe:

1914 Nr. 10

Spalte:

310-311

Autor/Hrsg.:

Wobbermin, Georg

Titel/Untertitel:

Die religionspsychologische Methode in Religionswissenschaft u. Theologie 1914

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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30Q

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 10.

310

gewiffe Wucht und wecken unwillkürlich Sympathie. |
Überdies wird der Hiftoriker fich freuen, in diefen Bänden
trefflichen Stoff zum Eintauchen in eine uns fremd !
gewordene Zeit bequem zugänglich zu erhalten. So gebührt
dem Herausgeber zweifellos Dank für feine felbft-
lofe Hingabe. Ich möchte fein Werk befonders denen
empfehlen, die viel mit religionslofem Liberalismus zu
tun haben; vor allem auch dem freireligiöfen Kreife, den
Rupp einft fchaffen half, und der doch, foviel ich überblicken
kann, ftark unter die religiöfe Höhe diefes Mit-
gründers herabgefunken ift. Abgefehen vonfolchenSonder- |
gefichtspunkten aber muß ich bezweifeln, daß eine fo
umfangreiche Ausgabe berechtigt ift. Sie würde fich
lohnen, wenn R. als geiftige Gefamterfcheinung hoch über
feiner Zeit geftanden hätte, oder wenn etwa das fpezififch
religiöfe Element in ihm zu profetifcher Höhe gefteigert
wäre. Beides ift nicht der Fall. Rupp ift ein wirklich
bedeutender Vertreter feiner Zeit, und wir werden bedauern
, daß er in ihr nicht mehr zur Geltung gelangt ift;
er fprichtauch gelegentlich Meinungen aus.die demGemein-
befitz feiner Zeit vorauseilen; aber als Gefamterfcheinung
ift er beftimmt durch die Faktoren feiner befonderen
Zeit: vor allem einerfeits durch die fpätidealiftifche Entwicklung
und ihre Verbindung mit den Reften der untergehenden
Aufklärung, anderfeits durch die Reaktion.
Und was den zweiten Punkt betrifft, fo ift Rupp zwar
zweifellos ein religiöfer Geift und fühlt fich als Vertreter
der Religion gegenüber aller bloßen Kultur oder Philo-
fophie; aber feine Religion ift nicht das Ergebnis fchöpfe-
rifcher perfönlicher Erlebniffe, fondern die Widerfpiegelung
der idealiftifch-religiöfen Errungenfchaften in einem eben-
fo feinen wie hochftehenden chriftlichen Geifte. Vor fol-
chen Männern kann man höchfte Achtung haben, aber
man wird nur in befchränktem Maße bei ihnen lernen;
man wird am liebften über fie zurück zu den Schöpfern
der eigentümlichen idealiftifch-religiöfen Synthefe gehen,
die bei ihm vorliegt: zu den Herder, Kant,Schleiermacher,
Fichte ufw.

Darum wäre vielleicht weniger mehr gewefen; eine
Auswahl des Beften (man lefe z. B. die fchönen Predigten
des 5. Bandes über Sündenvergebung und über den Glauben
an die Gefchichte Jefu oder den Auffatz über Kant im
3. Bande) würde fich leichter durchfetzen als die Gefamt-
ausgabe. Doch vielleicht belehren die weiteren Bände und
der Erfolg eines anderen. Die ungewöhnliche Billigkeit
diefer Stiftungsausgabe erleichtert die Verbeitung fehr.

Marburg a. d. L. Horft Stephan.

Steinhaufen. Wilhelm: Aus meinem Leben. Erinnerungen
u. Betrachtungen. (VI, 164 S. m. Abbildgn.) 40. Berlin
, M. Warneck 1912. Geb. 8 —

,Erinnerungen und Betrachtungen' lautet der Untertitel
. Lebenserinnerungen eröffnen den Band, Vorträge in
der Frankfurter Künftlergefellfchaft, in denen St. fchlicht
und gemütvoll von dem Kunftleben zur Zeit feiner
Jugend, von feinem Werden, von feinen Lehrern und Freunden
plaudert (Berlin, Karlsruhe, Italien, München). Dann
folgen Betrachtungen: Gedanken vor Bildern, Kunftpfycho-
logifche Gänge (z. B. ,Kultur des Auges'), Rat für wandernde
Studenten oder kurze Anweifung Kunftwerke zu
fehen, Vorworte zu den Katalogen der Jahresausftellungen
Frankfurter Künftler, Gefpräche (über Kunft und Kunft-
genuß) Aphorismen (über Kunft und Leben), Gedichte
und fchließlich ein Vortrag über Segen und Gefahr der
Kunft.

Denen, die St.s Kunft kennen und lieben, wird
dies Buch zu einer fchönen Beftätigung ihrer Auffaffung des
Künftlers: feine fchlichte, innerliche, feelifche, tieffromme
Art, die aus den Bildern vernehmlich redet, die kommt
hier auch im gefprochenen Wort zum Ausdruck, gewürzt
oft durch eine feine, fchalkhafte Ironie. Vor allem aber

wird hier in überrafchender Weife der poetifche Grundcharakter
St.s offenbar. Er ift Poet nicht nur mit dem
Pinfel, fondern auch mit dem Worte. Perlen reinfter Lyrik
leuchten uns hier entgegen. Dadurch wird in uns der
Eindruck von der Echtheit feiner religiöfen Kunft noch
verftärkt: diefer Mann malt keine religiöfen Bilder, weil
es Überlieferung ift oder Auftrag, oder weil ihn ein pfy-
chologifches oder technifches Problem an dem Stoffe reizt:
er malt, weil feine Seele von dem heiligen Gegenftand
ergriffen ift. So darf er es auch wagen, gegenüber der
hyperäfthetifchen Überfchätzung der Form den Wert des
großen Gegenftandes zu betonen. ,Dies ift ein Beweis
für die Wichtigkeit des Gegenftandes in der Kunft: Als
die Poefie fonft überall erftorben war, lebte fie noch und
trieb ihre fchönften Blüten im Kirchenlied; wie anders als
durch die Macht des fie bewegenden Stoffes wurden die
Dichter fähig, fich über den gefunkenen Gefchmack ihrer
Zeitgenoffen zu erheben? Gebt uns wieder ein Herz für
die Gegenftände und ihr werdet unfterbliche Formen fehen
und hören'.

Eine gediegene Ausftattung, zumal eine Reihe gut
wiedergegebener Bilder, erhöht unfere Freude und unfern
Dank.

Hannover. Schufter.

Wobbermin, Prof. DD. Georg: Die religionspfychologifche
Methode in Religionswiffenfchaft u. Theologie. (XII, 475 S.)
8°. LeipzigJ. C. Hinrichs 1913. M. 10 —; geb. M. 11.20

Das Buch ift methodologifchen Inhalts und gibt fich
als Einleitung zu einer Gefamtdarftellung der Syftema-
tifchen Theologie. Es verfolgt den Zweck, eine beftimmte
einheitliche Methode für die Syftematifche Theologie herauszuarbeiten
und zu rechtfertigen. Den Inhalt in Kürze
wiederzugeben ift nicht ganz leicht. Doch fei der Verfuch
gemacht.

Der Autor eignet fich zunächft die Rickertfehe Einteilung
der Wiffenfchaften in Kulturwiffenfchaften und
Naturwiffenfchaften an und reiht dann die Theologie den
Kulturwiffenfchaften ein. Damit allein fcheint ihm freilich
der Charakter der Theologie noch nicht hinreichend beftimmt
. Denn da die Religion, insbefondere die chrift-
liche, ,kulturkritifch' ift, fofern fie die Kultur an dem Maß-
ftab eines abfoluten, tranfzendenten, als real gedachten
Wertes mißt und abfehätzt, involviert fie ftets eine ,Welt-
anfehauung'. Folglich kann auch die Theologie als ,die
Wiffenfchaft von der (chriftlichen) Religion' die Frage
nach dem Recht einer mit einem realen, abfoluten, transzendenten
Wert rechnenden Weltanfchauung nicht unbeachtet
laffen, und eben damit wird fie gewiffermaßen
zur Konkurrentin der Philofophie oder greift doch wenig-
ftens über in deren Gebiet. In diefem Zufammenhang
erneuert Wobbermin und erläutert er noch einmal feine
bekannte Thefe: /Theologie ift nicht möglich ohne Meta-
phyfik', das heißt, fie kann ihre Aufgaben nicht reftlos
löfen ohne die Berechtigung einer Weltanfchauung, nämlich
der religiöfen, darzutun.

Wie aber gliedert fich die Theologie? Sie zerfällt in
zwei Disziplinengruppen: Einerfeits die hiftorifche Theologie
, die hier nicht weiter in Betracht kommt: fie hat es
mit der gefchichtlichen Entfaltung der chriftlichen Religion
zu tun. Anderfeits die fyftematifche Theologie: fie hat
es mit ,dem religiöfen Gehalt felbft' zu tun, ,der für die
chriftliche Religion in ihrem Gegenwartswert wefentlich
ift'; fie hat in Dogmatik und Ethik den betreffenden Gehalt
zu erfaffen und darzulegen; fie hat ihn ferner in der
Apologetik ,wiffenfchaftlich zu vertreten', allerdings nicht
in der Weife, daß fie eine ,Rationalifierung' des chriftlichen
Glaubens erftrebte. Diefe verfchiedenen Aufgaben erledigt
fie am beften, indem fie einfetzt mit einer Unterfuchung
über das Wefen der Religion und die Geltungsgründe der
Religion, um von da aus zu einer analogen Unterfuchung