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Ausgabe:

1914 Nr. 10

Spalte:

304-306

Autor/Hrsg.:

Richter, Gregor

Titel/Untertitel:

Sacramentarium Fuldense saeculi X 1914

Rezensent:

Lerche, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 10.

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secratio nach Rom gefchickt. Da über die Zeit diefer
Einfendung nichts feftfteht, läßt fich vorderhand auch die
Zeit von Gregors Stadtpräfektur nicht feftlegen.

S. 45 f. überfetzt St. einen Abfchnitt aus Gregors Brief
an Leander (Reg. V. 53 a). Auch da flößen wir auf Miß-
verftändniffe. S. 45, Z. 5 v. u. hat St. den erften Satz von
cap. 2 unrichtig wiedergegeben, das auditus pondus fort-
gelaffen und mox ut (= fobald als) fowie pertrahi ad
verkehrt gedeutet. Der Satz S. 46,6fr. entfernt fich noch
weiter von der Vorlage; tempus paulo vacantius (etwas
mehr freie Zeit) als Veranlaffung zum Diktieren überfetzt
St. ,mit weniger Muße'. Der eigene Stil des Verfaffers
ift übrigens auch nicht frei von Nachläffigkeiten, f. z. B. den
Anfang von S. 95.

Auf diefem Gebiet, wo die Quellen fo dürftig fließen,
muß aber in allem mit größter Vorficht und Sauberkeit
gearbeitet werden.

Marburg i. H. Ad. Jülicher.

Wulf, Prof. Maurice de: Gefchichte der mittelalterlichen Phi-

lofophie. Autorif. deutfche Überfetzg. v. Dr. Rud. Eisler.
(XVI, 461 S.) Lex.-8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1913.

M. 12.50; geb. M. 15 —

Das in den letzten Jahren fo fehr gefteigerte Intereffe
an der fcholaftifchen Philofophie forderte nach fo manchen
fchönen Einzelforfchungen gebieterifch eine Gefamtdar-
ftellung, und es ift fehr zu begrüßen, daß man zu diefem
Zwecke eine Überfetzung des bekannteften Schulbuches
auf diefem Gebiete der ,Histoire de la philosophie medie-
vale' von De Wulf anfertigte. Die Kultur des Mittelalters
wird uns von Tag zu Tag mehr erfchloffen. Es ift aber
unmöglich, ohne Einblick in die damalige Philofophie von
der höheren Geifteskultur jener Zeit reden zu wollen;
denn beides läßt fich geradezu identifizieren. Während
im Islam eine Fülle von Einzehviffenfchaften mit der
philofophifchen Spekulation die wiffenfchaftliche Kultur
ausmachen, treten jene im Abendlande faft völlig zurück,
fcdaßdie höhere Bildung nahezu allein von der Philofophie
dargeftellt wird. Zudem ift Theologie und Myftik des
Mittelalters auf engfte mit der Philofophie verwachfen. Es
ift nun aber eine Eigenart jener Denkweife, daß fie ihre
Hauptftärke in der logifch klaren Formulierung von Begriffen
hat. Das Empirifche und Naturwiffenfchaftliche
konnte nach der Zeitlage fich nicht in derfelben Weife
entfalten. Zur Einführung in die Scholaftik war alfo ein
Buch zu wählen, das diefer Eigenart gerecht wird. De
Wulfs Gefchichte zeichnet fich nun ganz befonders durch
die Klarheit der Darftellung und Überfichtlichkeit der Anordnung
aus.

Der Verfaffer hat fein Werk feit 1900 beftändig mit
den Refultaten diefer weitverzweigten Forfchung fort-
fchreiten laffen und fogar diefe deutfche Überfetzung um
mehrere Ergebniffe der jüngften Forfchung bereichert, die
in der 4. franzöfifchen Ausgabel, nach der die Überfetzung
gemacht wurde, noch nicht verwendet werden konnten.
Die umliegenden Gebiete (patriftifche, byzantinifche, orien-
talifche und Renaiffance-Philofophie) mußten naturgemäß
auf einen kleinen Raum befchränkt und nur in ihren
Beziehungen zum chriftlichen Abendlande betrachtet
werden. Dennoch hätten gerade wegen diefer Abhängigkeiten
Maimonides und die bekannten islamifchen Denker
eine eingehendere Darfteilung verdient2.

1) 1909 erfchien eine engüfche und 1913 eine italienifche Überfetzung.

2) Die Quellen, auf die fich deren Darftellung ftützt, find jetzt z. T.
veraltet. Die Syfteme des Farabi und Avicenna find foweit vom Pantheismus
entfernt, daß fie fogar die neuplatonifche Tranfzendenz Gottes (G.
kann mit der Welt nicht direkt in Verbindung treten; der Xus muß vermitteln
) lehren. Es müßte (205) deutlicher gefigt werden, daß Averroes
die Lehre von der zweifachen Wahrheit nicht kennt, fogar abweift. Die
Denkfreiheit war gerade zu feiner Zeit in Spanien fehr gefährdet (203, 29).
Der Glaube entfeheidet bei ihm über die Vernunft, nicht umgekehrt. Er
ift alfo kein Kationalift und feine Koraninterpretation ift die der orthodoxen
Theologen.

Die bunten und bewegten Kämpfe des Katholizismus
im Mittelalter um eine wiffenfchaftliche .Weltanfchauung
wird man an diefem in vorzüglicher Überfetzung vorliegendem
Werke ftudieren und zugleich die Nachwirkung
derfelben in der heutigen Zeit beobachten können. Die
Tendenz und Überzeugung feines Verfaffers kennzeichnen

1 die Schlußworte: ,Die Scholaftik verfiel aus Mangel an
Menfchen, nicht an Ideen'. Der Kritiker wird hinzufügen:

j ,Die Menfchen fehlten ihr, weil fie fich mit dem modernen
Wiffen nicht auszugleichen vermochte'.

Dieken Fehler wieder gut zu machen ift nach der
Schilderung von Grabmann1 das moderne Studium der
Scholaftik und die Neufcholaftik berufen. Sie foll nicht
nur moderne Vorurteile gegen diefe mittelalterliche Geifteskultur
befeitigen — befonders eingehend wird das Verhältnis
der Philofophie als ancilla theologiae befprochen
— fondern auch Gedanken enthalten, die berufen find, in
derLöfung heutiger philofophifcher Probleme mitzuwirken.
Auf verfchiedenen Gebieten fucht Gr. ein freundliches
Verhalten der modernen Wiffenfchaft zur Scholaftik nach-
zuweifen (Logik, Pfychologie, Sozialwiffenfchaft, fogar
Metaphyfik). In der Theodizee muß er allerdings ein
weites Auseinandergehen beider Richtungen konftatieren.
Den fchönen, begeifterten, dabei aber vorfichtig urteilenden
Worten des Verfaffers wird der Lefer gerne folgen.

Bonn. Horten.

Franz, Adolph: Das Rituale des Bifchofs Heinrich I. v. Breslau
. Mit Erläutergn. hrsg. (XI, 92 S. m. 7 färb. Taf.)
Freiburg i. B., Herder 1912. M. 8—; geb. M. 9.80

Richter, Gregor, u. Albert Schönfelder, Proff. Drs.:
Sacramentarium Fuldense saeculi X. Cod. theol. 231 der
K. Univerfitätsbibliothek zu Göttingen. Text u. Bilderkreis
(43 Tafeln). Als Fellgabe des hiftor. Vereins der
Diözefe Fulda zum 50jährigen Priefterjubiläum Sr.
Eminenz des hochw. Herrn Fürftbifchofs von Breslau,
Georg Kardinal Kopp, ehemaligen Bischofs von Fulda
(1881—1887) herausg. (Quellen u. Abhandlungen zur
Gefchichte der Abtei u. der Diözefe Fulda IX). (XLI,
| 431 S.) gr. 8°. Fulda, Actiendruckerei 1912. M. 10 —

Diefe beiden liturgifchen Prachtwerke zeugen fchon
von vornherein für die hohe Verehrung und Achtung,
die der Breslauer Kardinal in den Kreifen feiner Freunde
und Schüler genießt. Das eine Buch, von einem gelehrten
Prälaten gewidmet, bietet Text und Tafeln einer liturgifchen
Handfchrift aus der jetzigen Diözefe des Jubilars,
das andre gemahnt die Eminenz an feine alte Diözefe,
beide geben nicht nur Zeugnis von dem fröhlichen Blühen
i liturgifcher Wiffenfchaft, fondern auch von der hohen
Leiftungsfähigkeit unferer Lichtdruckanftalten. So find
diefe dem greifen Kardinal gebotenen Feftgaben nicht
nur von Bedeutung für den katholifchen Theologen, fie
bieten darüber hinaus dem Hiftoriker mancherlei Anregung
und Belehrung.

Das Rituale Henrici ift das erfte Ritualbuch für
Weltpriefter. Es ift den Bifchöfen auf allen deutfehen
Synoden zur Pflicht gemacht, die Pfarrer ihrer Diözefe
mit den nötigen Hilfsmitteln für die Gottesdienfte zu ver-
fehen. Aber nur allmählich haben fich die Geiftlichen
in den Befitz auch nur der erforderlichften Handbücher
gefetzt. Mit einem Manuale, das in gedrängter Form
die zur Spendung der Sakramente und Sakramentalien
gebräuchlichften Zeremonien und Gebete enthielt, begnügte
man fich felbft in den Klöftern. Einem immer
dringender gewordenen Bedürfnis feiner Diözefe entfprach
darum Bifchof Heinrich I. mit dem nach ihm benannten

1) Grabmann, Dr. Martin: Der Gegenwartswert der gefchichtlichen
Erforfphung der mittelalterlichen philofophie. Akademifche Antrittsvor-
lefung; Wien 1913.