Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1914 Nr. 9

Spalte:

279

Autor/Hrsg.:

Zastrow, Const.

Titel/Untertitel:

Die Geheimreligion des Gebildeten 1914

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

279

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 9.

280

glauben ift daher, fieht man genauer zu, immer nur der
Kampf des einen Glaubens mit einem anderen Glauben'
(Bd. II, S. 590). Wie er felbft fagt, ift der Unglaube keine
fchöpferifche Macht, und trotz der feffelnden und fcharf-
finnigen Polemik gegen den Glauben an Gott als Quelle
des ethifchen Lebens, die durch das ganze Werk fich
hindurchzieht, werden manche dankbare Lefer doch der
Meinung Luzzati's bleiben (Bd. II, S. 590), daß der Sinn
für das Göttliche wachfe in der Menfchheit in gleicher
Proportion mit dem Pofitivismus, — oder vielleicht noch
darüber hinaus.

New York. Thomas C. Hall.

Zaftrow, Amtsricht. Conft. v., u. Doz. D. Th. Steinmann:
Die Geheimreligion des Gebildeten. (Aus: .Religion und
Geifteskultur'.) (66 S.) gr. 8°. Göttingen, Vandenhoeck
& Ruprecht 1913. M. 1—

Diefe Schrift kann jetzt und kann vor allem fpäter
einen guten Einblick in unfere religiöfe Lage gewähren.
In dem Auffatz von v. Zaftrow und der Entgegnung
Steinmanns offenbaren fich die drei großen mit einander
ringenden religiöfen Mächte, die das Bild der proteftan-
tifchen Frömmigkeit kennzeichnen. Zuerft fpricht v. Z.
die Frömmigkeit der Jathogemeinde aus; ihr ift Gott der
Weltgeift, der Menfch nicht der verlorene Sünder, fondern
voll hoher Würde und zur Kraft beftimmt; Chriftus der
Held, das Jenfeits ein unbekanntes Land; im Lande des
Chriftentums fieht diefe Religion ihre Heimat, v. Z. fetzt
fich dauernd mit der Orthodoxie auseinander, die damit
als zweite religiöfe Form, wenn auch in polemifch verzerrter
Geftalt in das Bild eintritt. St. fetzt fich dann gründlich
mit jener Bildungsreligion auseinander, indem er ftets im
Geift der gefchichtlich denkenden Theologie das Chriften-
tum zeichnet, wie es heute unter veränderten geiftigen
Zeitbedingungen erfcheint: Gott ift kein Weltgeift, fondern
Zweckwille, der die Bildung von Perfönlichkeiten
will, mögen wir auch auf alte vertrauliche Anfchaulich-
keiten im Denken an ihn verzichten müffen, der Menfch
ift gewiß voll fittlicher Würde, aber vor jenem fittlichen
Perfönlichkeitsgott fühle er ftill feine fchuldhafte Gefchie-
denheit von ihm, ohne daß man die alten Lehren vom
Sündenfall teilen müßte; Gott ift mehr als unfer .höheres
Selbft', nämlich weltbeherrfchender Wille, der in dem ,über
der Welt' fein beftes Sinnbild hat; hoffende Ahnung weiß
von einem .Werde' zu fagen, das das .Stirb' übertrifft,
das nur die Hingabe an ein überperfönliches Ideal ausdrückt
; ift Jefus Erlöfer aus der modernen religiöfen Not,
dann ift er mehr als ein Held. — Die Abweichungen der
Jathogemeinde laffen fie zwar nicht als eine neue Religion,
aber als eine Erfcheinung der Religionskrifis erkennen,
in der wir flehen; gehört fie auch nicht zum gefchicht-
lichen Chriftentum, fo doch zum Beftand der Landeskirche
, die alle unter den Nachwirkungen der Reformation
flehenden Landeskinder vereinigt. — St. hätte es noch
fchärfer zufpitzen können, daß es fich um den Gegenfatz
eines ethifchen Perfonalismus gegen einen äfthetifchen
Impersonalismus handelt, und daß das Neutrum als Symbol
für das Ewige dem Ewigen felbft nicht näher kommt als
das Maskulinum.

Heidelberg. F. Niebergall.

Matthes, Sem.-Ob.-Lehr. Prof. Lic. H.: Erklärung des
2. Artikels auf biblifch-gefchichtlicher Grundlage. Zugleich
e. Handreichg. zur vertief. Behandig. des Lebens Jefu.
(Hilfsmittel zum evangelifchen Religionsunterricht,
27. Heft.) (X, 114 S.)gr.8°. Berlin, Reuther & Reichard
1913- M. 2.40

Feine, tiefe, gute, fromme Gedanken finden fich in

der Schrift in Fülle und machen fie wertvoll für jeden,

der das Leben Jefu unterrichtlich zu behandeln hat: fie
gibt treffliche Einblicke in das Ziel des Lebens und der
Arbeit Jefu und in die Art feines Wirkens auf die Menfchen.
Befonders gelungen ift der Abfchnitt: Die Paffions-
gefchichte und unfere Erlöfung. Ich vermiffe aber die
Vermittlung der vorgetragenen Gedanken, fagen wir lieber
im Sinne des Verfaffers: des dargeftellten religiös-fittlichen
Lebens, mit der kindlichen Denk- und Empfindungsweife
, die gerade bei Behandlung der Erlöfung befonders
fchwierig und verantwortungsvoll ift. Ich bin durchaus
gegen die zurzeit im Religionsunterricht als Neuauflage
alter Verirrungen fich wieder eindrängende weichliche und
kindifche .Kindertümelei', wo fich nach Käftners Wort
,die pädagogifchen Männlein hinabkauern zu den lieben
Kindlein': dem Kind foll auch im Religionsunterricht
etwas zugemutet, es foll über fich felbft hinausgehoben
werden. Aber die Verbindungslinien zwifchen den ge-
fchichtlichen Daten und den für ihr Verftändnis vorhandenen
Apperzeptionspunkten in der Kindesfeele her-
zuftellen, dürfte denn doch fo ziemlich die wichtigfte Aufgabe
gerade des Katechismus Unterrichts fein: die bloße
innere Verarbeitung des biblifchen Stoffs vom Standpunkt
des Erwachfenen genügt nicht. Nur zwei Beifpiele für
viele: die Behandlung der Sünderfreundfchaft Jefu S. 16,
und die abrupte Einführung des Gewiffens, ,das uns fchreckt,
auch wenn wir keinen Brudermord wie Kain begangen
haben', S. 7. Die Aufnahmebedingungen, die für das Dargebotene
im Kind vorhanden find, find da nicht genügend
erwogen. Doch tun diefe Mängel dem an fich überaus
wertvollen Inhalt des Buches geringen Eintrag.

Dagegen fcheint mir M.s Zweck nicht erreicht zu
fein, in feiner Schrift die befonderen Vorzüge der
.hiftorifch-anlehnenden' Methode des Katechismusunterrichts
durch überzeugendes Beifpiel zu er-
weifen. Die Einbettung der aus der Betrachtung der
Arbeit, der Kämpfe, des Leidens Jefu gewonnenen Gedanken
, Empfindungen, Urteile in beftimmte Worte der
lutherifchen Erklärung bzw. des Apoftolikums erweckt
oft genug den Eindruck der Einklemmung: wir würden
fie lieber ohne diefe Einkleidung in Worte, die von einem
ganz andern Standort aus gewonnen find, auf uns wirken
laffen. Ebenfo fcheint es mir ein Unrecht gegen Luthers
Katechismuswort zu fein, wenn die gefchloffene zielftrebige
Einheit des Aufbaus, den die Erklärung des 2. Artikels
aufweift, zugunften eines gänzlich freien Waltens mit
einzelnen ihrer Beftandteile zerriffen wird. So kommt
die Tendenz des lutherifchen Textes nicht zu ihrem
Recht — was M. am Schluß S. 106 ff. über diefe Tendenz
auf 1J/2 Seiten fagt, genügt längft nicht. Anderfeits kann
doch Verf. nicht umhin, in feine Darftellung Gefchichten,
und zwar als Hauptträger der Entwicklung, einzufchieben,
die in dem Abfchnitt des Lebens Jefu, an die das betr.
Stück Katechismusbehandlung .angefchloffen' wird, gar
nicht vorkommen (S. 11 ff.; 45; 46). Diefe gewalt-
fame Einfchiebung von .Katechismusunterricht' zwifchen
die einzelnen Abfchnitte des Lebens Jefu fcheint mir der
wundefte Punkt der Darfteilung zu fein und damit das
ftärkfte Argument gegen den .anfchließenden' Katechismusunterricht
im Sinne des Verf. überhaupt. Sie führt zu
vielen Wiederholungen, die den Eindruck nicht verftärken,
fondern abfchwächen, fie veranlaßt dazu, ,das Bekenntnis
zu Jefus' vor Jefu Leiden und Sterben zu behandeln,
mitten in der Behandlung des Werkes Chrifti; fie ift
dran fchuld, daß der Abfchnitt ,der auferftandene und
erhöhte Chriftus' viel zu kurz kommt — alles wirklich
Eindrucksvolle ift eben fchon vorher behandelt worden.
Ich halte es deshalb für fehr viel einfacher und erfprieß-
licher, wenn man zuerft das Leben Jefu behandelt, in
der tiefen innerlichen Weife, für die uns M. fo wertvolle
Winke gibt, ohneDurchfetzung mit Katechismusftückchen,
und dann unter dem Gefichtspunkt: .warum nennen wir
Jefus unfern Erlöfer?' an Hand der lutherifchen Ausfagen
die Verbindungslinien herzuftellen fucht zwifchen dem