Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1914 Nr. 9

Spalte:

262-263

Autor/Hrsg.:

Heinrici, C. F. Georg

Titel/Untertitel:

Die Bodenständigkeit der synoptischen Überlieferung vom Werke Jesu 1914

Rezensent:

Brückner, M.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

26l

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 9.

262

(S. 54—70) mit dem Refultat, daß weder Jofephus noch
die alterte tannaitifch-paläftinifche Tradition von Rabbinen
mit wunderbaren Kräften etwas wiffe, fondern erft die
zunehmende Vergröberung des Bildes diefer Männer in
der fpäteren Wunderlegende im babylonifchen und palä-
ftinifchen Talmud und im Midrafch. Die ältere Zeit
fei gerade auffällig zurückhaltend in der Verherrlichung
der großen Männer Ifraels als Wundertäter. Sodann
ftellt er in einem 2. Abfchnitt (Die Unterfchei-
dung zwifchen dem Wunder und dem übernatürlichen
Erlebnis, S. 70—86) den grundfatzlichen TJnter-
fchied zwifchen den Wundern Jefu und denen der Rabbinen
heraus. Deren Machtbewußtfein, wie es fich
befonders im fürbittenden Gebet äußere, beruht nach
Schlat. auf dem für ihre Frömmigkeit fundamentalen
Verdienftgedanken. Das Verdienft der Heiligen vermag
Gottes Eingreifen zu Gunften menfchlicher Not oder zur
Züchtigung anderer herbeizuführen, aber der Heilige wird
dadurch nie zum Wundertäter, weil die Erhörung aus-
fchließlich Gottes Tat bleibt.

Diefe Art indirekter Kraftwirkung aus dem Vergeltungsglauben
kann aber nicht zur Erklärung der
Wunder Jefu angeführt werden, weil fie wider den reli-
giöfen Grundgedanken des Evangeliums von Gottes vollkommener
Gnade ift. Erft recht natürlich nicht die auf
dem Glauben an dingliche Kräfte und Zauberformeln
beruhenden Wunderwirkungen jüdifcher Exorziften. Jefu j 8°- Berhn-L.chterfelde, E. Runge 1913. M. - 50
direkte Krafttaten erklären fich allein aus dem einzig- Heinrici will die Gefchichtlichkeit der fynoptifchen

artigen Bewußtfein feiner Sohnfchaft und den darin be- ! Überlieferung vom Werke Jefu durch den Nachweis ihrer
ruhenden Willensäußerungen gegenüber der Natur. ' .Bodenftändigkeit' führen oder wenigftens beleuchten,

Diefe Streitfrage ift von prinzipieller Bedeutung und S. 4. Er gebraucht aber den Begriff nicht nur in feiner

den Eindruck des Handelns Jefu auf die Zeitgenoffen in
konkreten Situationen voll polarifcher Gegenfätze wieder,
wie z. B. in den Szenen Mk. I, 21 ff. 2, 1 ff. 5, 21 ff. Mt.
8, 5 ff. u. a. Nach Kraftwirkungen, wie fie hier von Jefus
erzählt werden, fehen wir uns in der jüdifchen Tradition
vergeblich um. Darin hat Sehl. Recht. Hier kann es
keine Parallelen geben, weil die die Situationen beherr-
fchende Perfönlichkeit im Evangelium nicht auf eine Linie
geftellt werden kann mit den Frommen und Thoralehrern
des zeitgenöffifchen Judentums. Diefe fühlten fich in den
Erweifen ihres religiöfen Machtbewußtfeins als bloße Vermittler
der Offenbarung des göttlichen Gnaden- oder
Zornwillens in der Welt, bei Jefus dagegen bewirkte das
Bewußtfein der befonderen Stellung zu Gott eine einzigartige
Äußerung des Geift und Natur beherrfchenden
Heilswillens. Es ift m.E. ein aussichtloles Unternehmen, in
diefes Geheimnis der Perfönlichkeit Jefu mit religions-
gefchichtlichen Parallelen aus der jüdifchen oder heid-
nifchen Umwelt Licht bringen zu wollen.

Jena. w. Staerk.

Heinrici, Geh. Kirchenr. Prof. D. Dr.: Die Bodenftändig-
keit der fynoptifchen Überlieferung vom Werke Jefu. (Bib-
lifche Zeit- u. Streitfragen, VIII. Serie, 11. Heft.) (26 S.)

wird m. E. nicht im Entfernten durch die Schlagworte
liberal und pofitiv gekennzeichnet. M. M. n. ift Schi, gegenüber
Fiebig in der Hauptfache im Recht, aber er fteht
fich in der Art der Formulierung feiner Thefen und ihrer
Verteidigung felbft im Wege. Fiebig rationalisiert und ver-
wifcht die tatfächlich vorhandenen Unterfchiede zwifchen
den Wundern des Evangeliums und der jüdifchen Tradition,
weil er am Äußeren hängen bleibt. Z. B. Die bab. Bab. mez.
59b erzahlte Legende von Rabban Gamliel und Mk. 4 find
gar keine Sachparallelen, ebenfowenig die Gebetsheilung
bab. Berakhot 34b und das Wunder Mt. 8, 5 ff. u. Parall.
Schi, dagegen fucht F. mit literarkritifchen Gründen zu
begegnen, die wenig überzeugend find. Was er über
ältere und jüngere Schichten in den Wundertraditionen
behauptet, beruht auf fehr anfechtbaren literarkritifchen
Grundfätzen. M. M. n. können die Probleme der talmu-
difchen Traditionsftoffe überhaupt nicht mit literarkritifchen
Mitteln gelöft werden, fondern nur durch fagen-
gefchichtliche Analyfe. Das Studium der Midrafche zeigt
deutlich, welche Fülle ältefter mündlicher Tradition hier
vom Strome der Literatur mitgeführt wird. Schlat. verfällt
bei feinen literarkritifchen Operationen in den alten Fehler
der Quellenkritik, das in einer angeblich fpäteren Quelle
Stehende ohne weiteres für jünger zu halten.

Aber Schlat. überfpannt auch von feinem biblifch-
fupranaturalen Intereffe aus den Unterfchied zwifchen

engeren Beziehung auf Paläftina, wie ich das in dem Re-
ligionsgefchichtlichen Volksbuche (I. Reihe 21 Heft)',das
fünfte Evangelium' (das hl. Land) getan habe, fondern
er wendet ihn faft in dem ganz allgemeinen Sinne von
fachlicher Zugehörigkeit an. Damit will er zuviel be-
weifen und beweift darum zu wenig.

Die Pfvangelien charakterifiert IL richtig als ,religiöfe
Tendenzbücher', die ,meift wunderbare Ereigniffe' berichten
. Das mache fie aber nicht unglaubwürdig, weil
,der Wunderglaube im weiteften Umfange ein Beftandteil
der antiken Weltanfchauung' war, S. 5. Letzteres zeigt
H. an parallelen Biographien von Männern wie Pythagoras,
Apollonios von Tyana, Plotinos, Porphyrios und Jamblichos,
die er kurz nach ihrem Wundergehalt kennzeichnet. Den
Unterfchied diefer Befchreibungen von den Evangelien
beftimmt H. damit, daß jene Wunder enthalten, wie fie
Jefus in dem Verfuchungsberichte (Matth. 4,1 f.) ablehnt',
während die Wunder Jefu ,auf das engfte mit der Berufserfüllung
des Gottgefandten verknüpft' feien, S. 8. Soll
das, abgefehen davon, daß es beiderfeits mindeftens für
manche Wundererzählungen nicht zutrifft, ein Beweis ihrer
Gefchichtlichkeit auf Seiten Jefu fein? Berufen fich nicht
grade die Leugner der Gefchichtlichkeit Jefu auf diefe
doch etwas übertriebene Tatfache?

Was H. dann weiter S. 8 f. ganz allgemein von den
konkreten Verhältniffen der gefchichtlichen Umwelt Jefu
Evangelium und jüdifcher Tradition, wenn er diefen Unter- fagt, würde auch gelten, wenn es aus der Gefchichte der
fchied für abfolut auf der ganzen Linie erklärt. Hätte ; Urgemeinde (lammte. Die Zeitbeftimmung Luk. 3,1 ift,

er in der evangelifchen Tradition der Wunder Jefu fcharf
altes Gut und legendarifche Erweiterungen unterfchieden,
lo mußte er zugeben, daß F. nicht ganz im Unrecht ift,
wenn er z B. in Bezug auf Mk. 4,5ff u. Ii, I2ff. und
die Legenden von Rabbi Eliefer und Rabbi Jofua (bab.
Baba mez. 59b) behauptet, daß hier die Großen Ifraels ganz

- vielleicht richtig — fpäter der evangelifchen Erzählung
vongefetzt. An fich aber würden die Zeitverhältniffe der
gärenden Unruhe u. dgl. ebenfo gut auf 50 Jahre früher
oder fpäter paffen.

Weiter fucht H. S. 10—11 die richtige Schilderung
der Evangelien von Männern, ,die wir auch fonft aus der

wie Jefus als Wundertäter gefchildert werden. Auf das i Gefchichte kennen', zu beweifen. Aber was Philo von
Ganze der Uberlieferung hier und dort gefehen, befteht | Pilatus fagt, ftimmt doch eben zu den Evangelien nicht,
nicht bloß ,eine fefte Verbindung' zwifchen Evangelium 1
und jüdifcher Tradition, fondern es laffen fich tatfächlich
Sachparallelen aufzeigen. Aber diefe treffen allerdings
nicht den Grundftock der alten, in der paläftinifchen

fo wenig, wie die Schilderung des Jofephus von Herodes
und Johannes dem Täufer. Das gilt noch im Befonderen
von dem legendarifchen Bericht der Hinrichtung des Täufers
von Herodes.

Meffiasgemeinde gefaßten Erinnerung an Jefu Taten. Ähnliches gilt von den folgenden ,befonderen Cha-
Diefe Erinnerung gibt uns noch deutlich den hinreißen- ] rakterzügen von Jüngern Jefu'. Daß Petrus ein echter