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Ausgabe:

1914 Nr. 7

Spalte:

205-208

Autor/Hrsg.:

Kirchengeschichtliche Forschungen, insbesondere zur Reformationsgeschichte. Theodor Brieger

Titel/Untertitel:

d. Begr. u. Hrsg. d. ‘Zeitschrift für Kirchengeschichte’ zum 70. Geburtstag, dargebracht v. d. Mitarbeitern u. d.

Rezensent:

Schornbaum, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 7.

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gegenüber den Standpunkt einer maßvollen Kritik einnehme
, den er ,für das einzige Mittel hält, davon zu
retten (siel), was hiftorifch begründet ift und zu halten,
was gehalten zu werden verdient'. Immerhin wird es
manchem katholifchen Theologen bitter fein, wenn die
Gefchichte von Loreto einfach in einer Anmerkung (S. 204)
als .italienifche Volksfage' bei Seite gefchoben wird. Auch
das fehr fpäte Aufkommen der Jofephverehrung, vieler
Marienfefte u. a. wird gewiffenhaft nach den Quellen dargetan
.

So möchte ich, ftärker als Drews dies getan hat, die
wiffenfehaftliche Brauchbarkeit und Zuverläffigkeit der
Arbeit betonen und die von Drews angeführten Beifpiele
von Befangenheit, die fich leicht vermehren ließen, für
nicht allzu wichtig halten. Kein proteftantifcher Gelehrter
darf die Angaben Kellners ohne Nachprüfung und Kritik
lefen. Wir alle aber haben befonders in folchen Partien,
wo z. B. Rietfchel u. a. uns nichts Genaueres bringen, für
die Forfchungen Kellners dankbar zu fein. Kattenbufchs
Hypothefen über die Bedeutung des Wortes ,missa' find
auch in diefer Auflage nicht berückfichtigt, das hätte
gefchehen müffen, auch wenn der Verf., was ich begreiflich
finde, Kattenbufch in diefem Punkte nicht zuftimmen
konnte. Überhaupt finden fich, abgefehen von dem voran-
geftellten Literaturverzeichnis, nur wenig Spuren der Benutzung
proteftantifcher Arbeiten.

Der Kalender der evangelifchen Kirche wird gar nicht
berückfichtigt: nur die Bußtage werden befprochen und auch
die Motive der Verlegung des Bußtags durch die Konferenz
evengelifcher Kirchenregierungen mitgeteilt (S. 145 f.). Auch
für die Bedeutung des Karfreitags in der evangelifchen
Kirche hätte Verf. freundlicheres Verftändnis als Hiftoriker
finden können, als die fchnöde Bemerkung (S. 56), die
dogmatifche Bedeutung des Tags als des Zeitpunktes
unferer Erlöfung werde in Kreifen wo der Calvinismus
vorherrfche ('!) einfeitig hervorgekehrt und der Karfreitag
kirchlich als Eeft gehalten, das auf Andersdenkende den
Eindruck mache, als wenn jemand den Todestag
feines Vaters in Freude begehen wolle, weil ihm
an demfelben eine reiche Erbfchaft zugefallen ift'.
Daß der Karfreitag der chriftlichen Kirche immer nur ein
ernfter Trauertag war, ift wahrlich nichts neues. Der Ver-
faffer muß aber als Hiftoriker und Bonner Profeffor wiffen,
daß die evangelifche Kirche nicht in dem Sinne eines ,Freu-
denfeftes' den Karfreitag als kirchliches Feft begeht. Bei
folchen Bemerkungen geht jede wiffenfehaftliche Objektivität
und vornehme Gerechtigkeit verloren! Endlich ift
noch von Intereffe, daß Verf. fich gegen eine Feftlegung
des Oftertermins ausfpricht (S. 39).

Das Buch ift inzwifchen in italienifche, franzöfifche
und fpanifche Sprache überfetzt worden. Möge es dazu
dienen, auch im katholifchen Klerus gefchichtliches Verftändnis
anzubahnen. Das Übrige muß der Zeit überladen
werden.

Greifswald. Ed. von der Goltz.

Aus Deutichlands kirchlicher Vergangenheit. Feftfchrift zum
70. Geburtstag v. Theodor Brieger. Mit Beiträgen
v. O. Clemen, H. Hermelinck, M. Lenz, G. Loefche, C.
Mirbt, Karl Müller, Nie. Müller, O. Scheel u. W. Sohm.
(VII, 294S.) gr. 8°. Leipzig, Quelle & Meyer 1912. M. 8 —

Kirchengelchichtliche Forfchungen, insbefondere zur Refor-
mationsgefchichte. Theodor Brieger, dem Begründer
u. Hrsg. der .Zeitfchrift f. Kirchengefchichte' zum 70.
Geburtstag, 4. 6. 1912, dargebracht v. den Mitarbeitern
u. dem Verlage der Zeitfchrift. (VII, 187 S.) gr. 8°.
Gotha, F. A. Perthes 1912. M. 5 —

I. Eine wertvolle Gabe, würdig des dadurch gefeierten

Leipziger Gelehrten. Dellen Arbeitsgebiet entfprechend

befchäftigen fich auch die meiften der gelieferten Beiträge
mit Luther.

Den bedeutfamften Beitrag hat wohl Otto Scheel
durch den Artikel ,die justitia dei passiva in Luthers
reformatorifcher Rechtfertigungslehre' geliefert. Er weift
nach, daß die Auffaffung Luthers über die justitia dei
passiva fein ganzes Leben hindurch eine einheitliche war
,ein Verhalten Gottes, durch das wir etwas werden oder
find'. Die Vorlefungen über den Römerbrief oder die
Pfalmen ftimmen mit den fpäteren Ausführungen des
Reformators überein. Das ift natürlich bedeutfam für die
ganze Entwickelung Luthers. Seine fpäteren Selbftzeug-
niffe find keine getrübten Erinnerungen, fondern bringen
die neue Reformatorifche Erkenntnis klar zum Ausdruck.
Nicht mehr kann die Rede fein von einer allmählichen
Entwicklung, deren eine Stufe die Römerbriefvorlefung
zeige, da man nach Loofs unter justitia dei passiva die
justificatio dei passiva zu verliehen habe. Damit hat die
Lutherforfchung einen neuen kräftigen Antrieb erhalten;
wir fehen, welche Probleme immer noch zu löfen find. —
Hermelinckhat fich verfenkt in das ,geyftlich edleBuch-
leyn' in die ,Theologia Deutfch', die Luther 1516 und 1518
in zwei verfchiedenen Faffungen edierte; er unterfucht das
Verhältnis der beiden Ausgaben im Zufammenhang mit
der durch Pfeiffer 1851 herausgegebenen Faffung. Scharffinnig
weift er nach, daß der letzte Text (P) eine feib-
ftändige Geftaltung der zweiten durch Luther edierten
Ausgabe (B) ift. Aber auch diefe hat nicht die Urgeftalt.
Die zumeift praktifch gehaltenen Ausführungen der erften
Ausgabe (A) haben durch B eine fpekulative Begründung
im neuplatonifchen Sinne erhalten. Bei allem Scharffinn
— es wird auch durch diefe Unterfuchung noch nicht die
Frage abgefchloffen fein. — Daß Luther am 21. Okt. 1517
.gedruckte' Thefenangefchlagen hat, unterfucht Clemen
in bekannter gründlicher Weife; wie hochgefpannte Erwartungen
eines Forfchers auch manchmal enttäufcht
werden können, zeigt er uns an einem Werk des Ofian-
driften Funk, das nach dem Titel viel vermuten läßt, aber
nichts mehr enthält als eine Überfetzung der Vorrede
Luthers zu Bd. I. der Opera latina (Wittenberg 1545) und
des von Melanchthon dazugefügten Geleitswortes. Die
hier erwähnte Bibliothek Strobels, des bekannten Me-
lanchthonforfchers in Wöhrd-Nürnberg, befindet fich auf
der Stadtbibliothek Nürnberg; fie dürfte mehr benützt
werden. —Karl Müller konnte nur kurz den bedeutfamen
Briefwechfel Luthers mit den Mansfeldern 1525 gruppieren
und einige Nachträge zu feiner Arbeit: .Kirche, Gemeinde
und Obrigkeit nach Luther' geben. — Nur der unermüdliche
Fleiß eines Nicolaus Müller konnte eine Abhandlung
fchreiben über ,Peter Beskendorf Luthers Barbier und
Freund'. Selten durchgefehenes Material wie die Stadtrechnungen
, Kämmereirechnungen mußte die Baufteine
liefern, um ein Bild diefes Mannes zu gewinnen. Es ift
ein wertvolles Bild, denn nicht nur wird es zu einer
Apologie Luthers gegen römifche Verdächtigung, es
bringt uns auch ihn menfehlich immer näher. Sein Leben
verträgt es, daß es auch bis in das einzeln fte durch-
forfcht wird; auch die kleinen Züge des menfehlichen
Lebens haben ihren Reiz. Wer hat allerdings die Muße
und die Geduld, all diefe entlegenen Quellen, wie Rechnungen
durchzumuftern, wo man oft nur hie und da eine
wertvolle Notiz findet. — Die Reformationszeit behandelt
noch die Abhandlung Sohms über den Entwurf zu einem
Straßburger Chorgericht 1540. Intereffant, weil fich zeigt,
daß man auch in Straßburg eine Organifation der Kirche
in die Hand nehmen mußte, wobei allerdings fchweize-
rifcheEinflüffe nicht unbedeutend fich geltend machten. —
Die drei letzten Abhandlungen führen ins 19. Jahrhundert.
Fichtes Aufenthalt an der Erlanger Hochfchule S. S. 1805
, ift eine wenig gewürdigte Epifode in feinem Leben bis-
I her gewefen. Lenz verbreitet darüber viel Licht, fchildert
uns genau, wie es zu feiner Berufung dahin kam, und
behandelt eingehend die Pläne, die Fichte zur Reorgani-