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Ausgabe:

1914 Nr. 7

Spalte:

204-205

Autor/Hrsg.:

Kellner, K. A. Heinrich

Titel/Untertitel:

Heortologie oder die geschichtliche Entwicklung des Kirchenjahres und der Heiligenfeste von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart. 3., verb. Aufl 1914

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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203

Theologifche Literaturzeitung 1914 Nr. 7.

204

2. Mehr trägt die Ausfchöpfung des Dial. für die
innere Gefchichte des Judentums aus: die führende Stellung
der Lehrer, Namen von jüdifchen Sekten, des Magiers
Simon Stellung unter den Samaritanern werden
durch Juftin bezeugt.

3. Der Eigenart der Streitfchrift entfpricht es, daß
die Nachrichten über Schriftauslegung der Juden befon-
ders zahlreich find. Zu 23 Stellen des AT. führt Juftin
Erklärungen und Auffaffungen der jüdifchen Lehrer an,
5 weitere Stellen treten hinzu, an denen der LXX-text
zwifchen Juden und Chriften ftrittig ift, die bekanntefte
darunter ift die xaQ&tvoq-veävig-ftelle Jef. 7,14. Weiter
enthält der Dial. noch eine Reihe von Angaben über
die religiöfe Haltung und die Gefetzesbeobachtung des
zeitgenöffifchen Judentums (gefetzliche Lebenshaltung,
Reinheitsvorfchriften, Verhalten zu den Chriften, Ehepraxis
u. a.). Endlich läßt die Streitführung im Dial. die den
Juden und Chriften gemeinfamen Grundfätze heraustreten, 1
nach denen die Schriftauslegung erfolgt.

4. Der Dial. bietet weiter Angaben, aus denen die
eigenen meffianifchen Hoffnungen des Judentums zu erkennen
find und weiter die Kritik, die die Juden an der
kirchlichen Chriftologie ausüben.

5. An diefe Kritik fchließt fich ihre Kritik der Chriften
felber, weiter Angaben über das Verhalten der Juden gegen
die Chriften (üble Nachreden, Gegenmiffion, Verkehrsverbote
).

6. Sehr wertvoll find endlich noch die Angaben über '
die Unterfchiede innerhalb der Chriftengemeinfchaft, die
Juftin den Trypho bemerken und anführen läßt, nämlich: j
die Gnoftiker und die Gemeindechriften; die Chiliaften j
und Antichiliaften; und endlich als wichtigftes: diejuden-
chriften und die Heidenchriften.

Paläftinenfifch-jüdifche Überlieferung ift es, die Juftin
mit anerkennenswerter Treue erhalten hat, die Philofophie 1
des Alexandrinertums hält er von feinem Dialoggegner
fern. Dies paläftinifche Judentum ift in feiner Überliefe- !
rung damals bereits ftark antichriftlich beftimmt und hat
fich im Kampfe verändert und verengt.

Im Anhang feiner wertvollen Studie bietet H. noch
eine Kollation des einzigen Zeugen, des Paris. Gr. 450. j
Die Vergleichung ift nach der, wie H. anerkennt, vor- 1
züglichen Ausgabe von Otto gemacht, ftellt eine Anzahl j
von Verfehen Ottos richtig und ift noch etwas genauer 1
als die, die Archambault feiner Ausgabe des Dial. (Paris I
1909) zugrunde gelegt hat; vgl. noch H.s eigene Aus- I
führungen in diefer Zeitung 1913, Sp. 701 f.

Wien. Rudolf Knopf.

Straubinger, Rep. Dr. J.: Die Kreuzauffindungslegende.

Unterfuchungen über ihre altchriftlichen Faffungen m.
befond. Berückficht, der fyr. Texte. (Forfchungen zur
chriftl. Lit- u. Dogmengefchichte. II. Bd., 3. Heft.)
(VII, 108 S.) gr. 8°. Paderborn, F. Schöningh 1913.

M. 3.60

Ein Doppeltes bietet diefe Studie: einmal eine Unter-
fuchung über das Verwandtfchaftsverhältnis der ver-
fchiedenen Textformen der Judas-Cyriakus-Legende, wie
man mit Recht die bekanntefte Form der Kreuzauffindungslegende
nennen kann; fodann eine neue Hypo-
thefe über deren Verhältnis zur Protonikelegende. Bei
der erften Unterfuchung ift der Verf. felbft fich bewußt,
nichts abfchließendes zu liefern, da er nur mit den gedruckten
Texten arbeitet: von 3 fyrifchen, 6 griechifchen
und 3 lateinifchen Formen, die er kennt, vergleicht er
nur die je feiner Anficht nach ältefte; er hätte fich hier
die von den Bollandiften in ihrer Bibliotheca hagiographica
graeca2 1909, 57ff., latina 1899, I 619 f., orientalis 1910,
50 f. geleiftete Vorarbeit zunutze machen follen. Die Überlieferung
ift eine ungemein reiche und wie bei all folchen
volkstümlichen Texten äußerft buntfcheckig; kaum ift je

ein Text direkt aus dem andern abzuleiten. Str. glaubt
Griechen und Lateiner als felbftändige Bearbeitungen auf
ein fyrifches Original zurückführen zu können, das er in
der erften Hälfte des 5. Jahrhunderts entftanden denkt:
mir erfcheint die Priorität des Syrers vor dem Griechen
nicht bewiefen. Weit mehr Wert lege ich dem 2. Teil
bei: Str. hat den fruchtbaren Gedanken, die bei Ambrofius,
Paulus von Nola und Rufin fich findende Faffung als
Helena-Makarius-Legende vonderJudas-Cyriakus-Legende
zu unterfcheiden: fie ftellt er an die Spitze der Entwicklung,
läßt aus ihr in Syrien um 400 im Rahmen der Addai-
Legende die Protonikelegende werden: Helena, mit der
gleichnamigen Fürftin von Adiabene identifiziert, wird
Zeitgenoffin und Gattin des Claudius; beide Faffungen
werden dann kombiniert zur Judas-Cyriakus-Legende.
Mit diefer Konftruktion find wir tatfächlich über Neftle,
Lucius u. a. weitergeführt; nur dürfte die Kombination
der lateinifchen und der fyrifchen Legende eher auf
griechifchem Boden erfolgt fein.

Daß für die Abgarlegende noch immer Lipfius und
Tixeront als die Autoritäten gelten, ohne daß meiner
Chriftusbilder auch nur gedacht würde, ift mir nicht bloß
in diefer Arbeit aufgefallen: hier offenbart fich die Macht
des Buchtitels. Übrigens habe ich Z. w. Th. XLIII, 1900,
444 auch ein koptifches Bruchftück der Cyriakus-Legende
nachgewiefen, mehr noch gibt W. Spiegelberg, Recueil
des travaux relatifs ä la philologie et ä l'archeologie
-r-gyptienne 1901; eine jüdifche Kreuzauffindungslegende
behandelt S. Krauß Jew. Quat. Rev. 1900, 718—731.

Halle a/S. von Dobfchütz.

Kellner, Prof. Dr. K. A.: Heortologie oder die gefchicht-
liche Entwicklung des Kirchenjahres und der Heiligen-
fefte von den älteften Zeiten bis zur Gegenwart. 3. verb
Auflage. (XV, 318 S.) gr. 8». Freiburg i. B., Herder
1911- M. 7—; geb. M. 8.20

Die zweite Auflage diefes Buches ift von Paul Drews
in diefer Zeitfchrift (1907 Nr. 15 S.439f.) befprochen worden
und was Drews über Geift und Anlage des Buches berichtete
, gilt auch noch von der dritten Auflage. Neuhinzugekommen
find ein Abfchnitt über die Begleitfefte
von Weihnachten, die Marianifchen Andachten und ein
längerer Zufatz über die Apoftelfefte im allgemeinen. Die
beiden erften Zufätze, die übrigens nicht lang find, bedeuten
wohl eine Konzeffion an die katholifche Praxis
der Gegenwart, welche irgendeine Berückfichtigung diefer
Fefte verlangte. Die Ausführungen über die Apoftelfefte
im allgemeinen find nicht ohne Intereffe und ihre fpätere
Entftehung wird mit aller Deutlichkeit dargelegt: „für
unbedingt zuverläffig möchte ich daher nur die Todesdaten
von Petrus, Paulus und Andreas, allenfalls die noch
von Markus und Lukas anfehen, welche in Kulturländern
ihre Tage befchloffen, zu Zeiten, da die hierarchifche Ordnung
bereits an den betreffenden Orten befeftigt war (siel).
Bei Johannes ift die Sache fraglich, erftens weil er nicht
des Märtyrertodes ftarb und zweitens weil er nicht einer
beftimmten Gemeinde als Bifchof vorftand; andernfalls
würde die Bifchofslifte der betreffenden Stadt die Kunde
auf uns gebracht haben". Das ift noch reichlich viel
Optimismus, da nicht einmal für Petrus und Paulus Sicherheit
zu erreichen ift. Es wäre aber falfch, folche Urteile
wie auch andere Aufftellungen des Verfaffers allein an
dem Maßftab freier Forfchung zu meffen. Der Verfaffer
ift im allgemeinen beftrebt, mit aller wiffenfchaftlichen
Offenheit die gefchichtliche Entftehung der Heiligen -
Verehrung und des katholifchen Feftkalenders klarzulegen.
Man merkt es dem Vorwort zur dritten Auflage an, daß
er fchon deswegen Anfechtungen gehabt hat. Er betont
daher nochmals, daß er feinen ,Gegenftand als Erkenntnis-
objekt der hiftorifchen Wiffenfchaft, nicht als Mittel der
religiöfen Erbauung' behandele, daher auch den Legenden