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Ausgabe:

1913 Nr. 6

Spalte:

169-171

Autor/Hrsg.:

Reil, Johannes

Titel/Untertitel:

Die altchristlichen Bildzyklen des Lebens Jesu. Hrsg. v. Johannes Ficker 1913

Rezensent:

Stuhlfauth, Georg

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i6o. Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 6.

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an diefem Punkte nichts zu verbieten und nichts zu erlauben
gehabt, und die Laien haben auch wirklich und
nachweisbar die heiligen Schriften oft gelefen. Die Bibel

Szenen aus der Geburtsgefchichte Jefu (Madonna mit
Kind, daneben Jofeph oder Jefajas nach dem Stern
weifend, in der Priscillakatakombe; Anbetung der Magier).

ift eben der organifierten Kirche gegenüber eine felb- j Um die Wende des 3.I4. Jhdts. findet eine mäßige Er
ftändige Größe gewefen. Das ift für das AT felbft

Weiterung diefer Reihe ftatt (Zyklus der Kammer 54 in
verftandlich, weil es älter ift als die Kirche. Das ift aber I SS. Pietro e Marcellino zu Rom). Im 4. und 5. Jh. be-

auch für das NT., das Erzeugnis der Kirche felber, ficher,
weil das neue Buch fofort an die Seite des alten trat
und an deffen Hoheit und Selbftändigkeit Anteil bekam.

Neben dem Hauptproblem, das zur Behandlung
kommt, werden noch viele Nebenprobleme im Vorbeigehen
aufgezeigt und befprochen oder nur angedeutet,
lo die Frage nach der Verlegenheit, die die barbarifche
Form der Bibel den Gebildeten innerhalb der Kirche
bereitete, nach dem Aberglauben, der mit ihr getrieben
wurde und von dem —■ ein Zoll an die Zeit — felbft ein
Origenes nicht frei war, nach derBedeutungderPrivatlektüre
für die Kanonifierung der Schriften, nach der Herftellung
und dem Verkauf der heiligen Schriften im Buchhandel
u. a. m.

Mich hat vor allem der erfte Teil der Ausführungen
gefeffelt, und ich bekenne dankbar, gerade aus ihm viel
gelernt zu haben. Ich hatte mir die Anagnofe in der
Verfammlung immer als das Hauptmittel vorgeftellt,
durch das die Kenntnis der doch umfangreichen, auch
koftfpieligen heiligen Bücher verbreitet wurde. Durch
das reiche Material, das H. auch für die Zeit bis Irenaus
vorlegt muß diefe Vorftellung nicht unbedeutend modifiziert
werden. Sicher hat die Unkenntnis des Lefens
viele Chriften des 2. Jahrh. abgehalten, felbftändige Bibellektüre
zu treiben, aber jedem, der lefen konnte, mühen
die heiligen Rollen auch zugänglich gewefen fein, fei es,
daß er fie felber möglichft vollftändig befaß, fei es, daß
die Beftände der einzelnen Häufer einander ergänzten,
daß kleine Kreife innerhalb der Gemeinde einander aushalfen
. Und als die rechte Kernlektüre fonderten fich

fchränkt fich die Aufnahme neuer Szenen des Herrenlebens
in den Katakombenfresken auf ein Minimum. Die
Auswahl aus den Evangelienbildern fcheint allerdings im
Often größer gewefen zu fein als im Werten (13). Doch
geht der Hauptrtrom chriftlicher Kunft auf die Sarko-
phagfkulptur über. ,Als einmal biblifche Szenen auf den
Sarkophagen fich einzubürgern begonnen hatten, gingen
fie auch fogleich mannigfach hinaus über das im Rahmen
der Katakombenkunft Gebotene' (15); Kindheits-, Leidensund
Schlußfzenen werden häufiger bzw. neu aufgenommen.
Der Einfluß des Oftens (Pilgerfahrten nach dem hl. Lande)
macht fich bemerkbar. Die religiöfe Gefühlsweife wandelt
fich. Die Leidensfzenen find auf gallifchen Sarkophagen
zahlreicher als auf nichtgallifchen. ,Diefe Leidensfolgen
Jefu gehen letztlich auf das Morgenland zurück' (25). Die
in der Vermeidung des ausgefprochen Paffionsmäßigen
zum Ausdruck kommende doketifierende Art (fo noch
in den Mofaiken von S. Apollinare nuovo zu Raverina,
Anfang des 6. Jhdts.) ift aber ein Zeichen helleniftifchen,
griechifch-abendländifchen Geiftes. Der Charakter der
Katakombenkunft ift durchaus fepulkral-fymbolifch (9).
Die Sarkophagfkulptur zeigt vorherrfchend die gleiche
Tendenz. ,Um 400' löft eine rein gefchichtliche Neigung
die fymbolifche ab (95); auch apokalyptifche und lehrhafte
Intereffen kommen auf. Des weiteren find im
Mofaikenfchmuck der Kirchen z. T. kultifch-liturgifche
Gefichtspunkte maßgebend geworden.

Bis zum Anfange des 4. Jhdts. überwiegen weitaus
die altteftamentlichen Szenen vor den neuteftamentlichen,
am Ende des Jhdts. ftehen beide ungefähr gleich bzw.

von felber aus der größeren Maffe der heiligen Schriften, j diefe beginnen obzuflegen über jene. ,Vor allem aber ift
1 denen vieles toter Ballaft war, die Stücke aus, die 1 das AT künftig nicht mehr nur Fundgrube von Erunmittelbar
zum frommen Gefühl, der religiöfen Erwartung
und der fittlichen Haltung der Gemeindeglieder
fprachen.

rettungsfzenen, fondern wird, wie das NT, eine Quelle
reichhaltiger chronologifcher Zyklen' (54). War früher-
hin die Darftellungsweife der einzelnen Szenen mehr nur

Wien. Rudolf Knopf. Andeutung und Skizze, den Eingeweihten verftändlich, fo

1 wird fie im Lauf der Zeit, entfprechend der größeren
Bewegungsfreiheit des Chriftentums, abgerundeter, deutlicher
und (figuren-)reicher, wenn auch die primitive
Kompofitionsform fich bis in das Mittelalter hinein erhalten
hat. Eine wefentliche Förderung, wenn nicht gar
den Ausgangspunkt für die Schaffung des vollen Leben-
Jefu-Zyklus hat die Illuftrierung ganzer biblifcher Bücher
(Miniaturmalerei) gebildet. .Bereits im 5. Jh. auftretend

Reil, Jons.: Die altchriltlichen Bildzyklen des Lebens Jefu.

(Studien üb. chriftl. Denkmäler. Hrsg. v. J. Ficker.
10. Heft.) (VIII, 150 S. m. 1 Fig.) gr. 8°. Leipzig,
Dieterich 191 o. M. 5 —

Die vorliegende Arbeit ftellt von den älteften erreichbaren
Anfängen der Katakombenkunft an bis zum Beginne
des Mittelalters in tabellarifchen Überfichten nach gewinnt die Gefamtfolge des Lebens Jefu erft in der
Denkmälergruppen (I. Katakombenmalerei, 1—14; II. Sar- ! juftinianifchenEpoche allgemeine Verbreitung' (30; 96; 121).
kophagfkulptur, 15—28; III. Skulptur und Kleinkunft, 1 In der quellenmäßigen Darlegung diefes Werdeganges

Miniaturen, Fresken und Mofaiken, 29—145) und in zeitlichem
Neben- und Nacheinander geordnet zufammen,
was jeweils in den erhaltenen oder auch literarifch überlieferten
Denkmälern an Gefchehniffen aus dem Leben
Jefu dargeftellt ift. Indem aber der Verfaffer die treibenden
Kräfte zu erkennen und aufzuzeigen fucht, welche
Entftehung, Ausbau und Ausgeftaltung der Vita Chrifti
im Rahmen des altchriftlichen Bilderkreifes bedingen,
befchreibt er in der Entwickelung diefes Prozeffes ein
Stück altchriftlicher Geiftes- und Kulturgefchichte.

Wie der altchriftliche Bilderkreis überhaupt, fo hat auch
die Darfteilung der Actajefu ihre Wiege in der Katakombenmalerei
. Wir begegnen aber hier während der drei
erften Jahrhunderte im Gefamtbereich des erhaltenen
unterirdifchen Freskenbeftandes, bei dem allerdings der
ganze Orient vollkommen fehlt und auch das Abendland
nur durch Rom vertreten ift, in der Hauptfache nur fünf
Wunderfzenen (Heilung des Gichtbrüchigen; Auferweckung
des Lazarus; Heilung der Blutflüffigen; wunderbare Brotvermehrung
; Heilung des Blinden) und einer oder zwei

beweift Reil fowohl umfaffendfte Denkmälerkenntnis als
hingebendftes und eingehendft.es Studium der Literatur.
Daß bei einer Betrachtungsweife, die an Stelle der bloß
äußerlichen in fozufagen durchaus pfychologifcher Bahn
läuft und alfo wohl eine wefentlich vertiefte, aber auch
weithin ftark fubjektive ift, die Sache in manchem Punkte
auch anders angefehen werden kann als Reil es tut, liegt
auf der Hand. Zuweilen hat man auch den Eindruck, als
wäre da und dort vorfichtiger zu formulieren gewefen und
auch worden, wenn Verf. allfeitiger gedacht hätte; wir
erinnern, von anderem abgefehen, z. B. an die bereits von
V. Schultze (Theol. Literaturblatt 1910, 493) o-erü°te
Behauptung, der chriftliche Sarkophagfchmuck fei zur
Zeit Konftantins noch auffallend heidnifch (15), was in fo
allgemeinem Umfange keinesfalls zutrifft. Inbetreff des
Dittochaeon des Prudentius, das Reil gleich den fog.
ambrofianifchen Tituli für ein Erzeugnis frühmittelalterlicher
(karolingifch-ottonifcher), nicht aber altchriftlicher
Dichtkunft hält (53; 59f.) und das in der Tat auch m. E.
jedenfalls kaum dem ganzen Umfange nach echt fein