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Ausgabe:

1913

Spalte:

150-152

Autor/Hrsg.:

Freimark, Hans

Titel/Untertitel:

Die okkultistische Bewegung 1913

Rezensent:

Hoffmann, Richard Adolf

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H9

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 5.

fchickt der Verf. eine Schilderung der peffimiftifchen 1
Religionen des Orients (Brahmanismus und Buddhismus) ;
voran. Den gemeinfamen Grundfehler peffimiftifcher
Religion und Philofophie fieht er darin, daß beide eine j
rein negative Erhebung über die Natur fuchen, ohne eine
pofitive Schätzung des Geiftes und feiner Inhalte zu finden.
Sie find Reaktionen gegen den Naturalismus, aber nicht
feine Überwindung. Will man die peffimiftifche Welt-
anfchauung entkräften, fo genügt nach dem Verf. weder
ein Zurückgehen auf Werturteile noch die Berufung auf |
die gefchichtliche Offenbarung. Vielmehr kommt es darauf j
an, zu zeigen: ,daß der Geift pofitiven Inhalt hat, und daß
die Natur nicht ein notwendiger Hemmfchuh für die
Realifierung diefes Gehaltes ift, fondern Mittel fein kann,
ihn zur Darftellung zu bringen' (S. 95).

Die Darftellung von Nietzfches Lehre ift fehr ein-
gehend. Sie verfucht nach dem Vorgang Jodls N. auf
dem Hintergrund der Romantik zu begreifen. N. ift j
Romantiker, nur naturalifiert er die Romantik (cf. S. 188 f.) j
und fetzt an Stelle des Gefühls Pathos und Affekt, Willen j
zur Macht. Verfteht man N. fo als Synthefe von Natu- j
ralismus und Romantik, dann gewinnt man den Grundtypus
feines Philofophierens, der fich durch alle Stadien
feiner Entwickelung hindurchzieht. Die Kritik hebt be-
fonders den Grundwiderfpruch in den Prinzipien hervor.
Einmal vertritt N. den Standpunkt ftrengfter Aktualität:
die Welt ift nichts als die Summe von Aktionen relativer
Aktionsquanten, deren Gefamtquantum fich gleich bleibt.
Hier find alle Werte relativ. Maffe und Herdentiere flehen l
nicht höher als der Übermenfch. Das andere Mal handhabt
auch N. den Wertmaßftab und gibt der Entfaltung 1
höchfter Macht im Individuum, an der fein äfthetifches !
Wohlgefallen hängt, den Vorzug. Über einer rein quan-
titierenden Betrachtung fleht fo die qualitative. Aus
diefem unausgeglichenen Widerfpruch erklärt fich N.'s
Stellung zu Religion und Moral. Eigentlich hebt er beide
auf und muß doch andererfeits ihre Unentbehrlichkeit
für die Maffe zugeftehen, ja, er kann wenigftens die Moral
und Reflexion nicht einmal für den Übermenfchen ent- |
behren. Auch N. findet keine pofitiven Werte, weil er
die Selbftändigkeit des Geiftes nicht kennt (cf. S. 194).

Die fpezififch naturaliftifche Weltanfchauung wird
nach einer hiftorifchen Einleitung in ihren modernen Vertretern
(Feuerbach. Strauß, den Wandermaterialiften, Düh-
ring, Haeckel, Spencer, Oftwald, Driefch, dem Pfychomonis-
mus u. a.) vorgeführt. Merkwürdigerweife verirrt fich
hier auch Wundt unter die Naturaliften. Das ift durchaus
irreführend. Die Kritik widerlegt hier vor allem den
Anfpruch des Naturalismus: Monismus zu fein. ,Der N.
nimmt [in Wirklichkeit] den Pluralismus in der einen oder
anderen Form in fich auf (S. 260). Die Entwicklungslehre
vermag nicht von materialiftifchen Vorausfetzungen
eine kontinuierliche Reihe bis zu den geiftigen Größen
aufzuftellen, fie bedarf der Anleihen beim Idealismus,
fetzt auf jeden Fall die denkende Vernunft voraus. Eine
naturaliftifche Behandlung der Einzeldisziplinen der Geiftes-
wiffenfchaften wie Logik, Ethik, Religionsphilofophie etc.
wird ihrem Gegenftand niemals gerecht, weil fie die
apriorifchen Bedingungen und abfoluten Vorausfetzungen
des Geiftes verkennt. Zumal das religiöfe Bewußtfein j
kann man nur erklären, ,wenn man es auf Gott felbft, |
auf das abfolute Wefen zurückführt, das es erzeugt' (S. 288).
Naturwiffenfchaft und Geifteswiffenfchaft beliehen friedlich
neben einander, wenn beide fich ihrer Eigenart und Grenzen
bewußt bleiben. Dann wird das Nebeneinander fogar zur
gegenfeitigen Befruchtung und Förderung führen. Denn
nicht ein Dualismus von Natur und Geift befteht, fondern
ein ,Auf einander Angelegtfein'.

Dorners Buch ift aus Vorlefungen vor Hörern aller
Fakultäten erwachfen und deshalb ohne wiffenfchaftlichen
Apparat in gemeinverftändlicher Form gearbeitet. Daher
wohl auch teilweife die Wiederholungen und eine etwas
behagliche Breite. Bringt es auch nicht wefentlich neue

Gedanken, fo kann es doch wegen feiner ruhigen, fachlichen
und gründlichen Behandlung der Probleme als ein
brauchbarer Führer im Kampf um die Weltanfchauung
beftens empfohlen werden.

Göttingen. Heinzelmann.

Tuckett, Jvor, LL., M. A., M. D., M. R. C. S., L. R. C. P.:
The Evidence for the Supernatural. A critical study
made with ,uncommon sense'. (VI, 399 S.) gr. 8°.
London, Kegan Paul, Trench, Trübner & Co., Ltd. 1911.

s. 7.6

Frei mark, Hans: Die okkultiftifche Bewegung. Eine Auf-
klärungsfchrift. (79 S.) 8°. Leipzig, W. Heims 1912.

M. 1.50

Ein englifcher Phyfiologe ift in der erfteren Schrift
bemüht, in populärer Darftellung feine Anflehten über
das Übernatürliche einem größeren Publikum zu unterbreiten
. Mit uncommon sense, wie er fich ausdrückt, hat
er feine Studien getrieben, weil fich ein phantaftifcher
Geifterglaube in England mehrfach auf den .common sense'
berufen hatte. T. fucht nachzuweifen, daß es einen wiffenfchaftlichen
Beweis für die Exiftenz des Übernatürlichen,
d. h. alles deffen, was nicht fichtlich in Einklang mit fog.
Naturgefetzen fleht, nicht gibt. Sein Standpunkt ift der
eines etwas füffifanten Agnoftizismus, der auch dem Gefühl
keinerlei Erkenntniswert zuweifen möchte, und der bei
ihm wohl einen Rückfchlag gegen eine ftreng religiöfe,
anfeheinend etwas einfeitige Jugenderziehung bildet (vgl.
Vorwort S. 8).

Zweierlei wird in der Schrift hauptfächlich behandelt
und fehr zum Schaden einer objektiven Betrachtungsweife
nicht fcharf von einander gefchieden: einmal der Okkultismus
in verfchiedenen Phänomenen, wie Telepathie, Tifch-
rücken, Geiftererfcheinungen u. a., und fodann die Frage
nach der Übernatürlichkeit der chriftlichen Religion, nach
Gebetserhörung, Gottheit Chrifti, wunderbarer Leitung
menfehlicher Schickfale und Wundern überhaupt. Was
den erfteren Punkt anlangt, fo führt T. zwar in der Schrift
felbft wie in teilweife recht umfangreichen Nachträgen ziemlich
viel Material an (freilich faft ausfchließlich aus englifchen
Quellen), aber ich fürchte, der unvorbereitete Lefer wird
fich kaum ein rechtes Bild von dem machen können, was
der Okkultismus alles beobachtet zu haben glaubt, und
was er zu leiften beanfprucht. Eine mehr fyftematifch
ordnende Art der Behandlung wäre hier beffer am Platze
gewefen. Auch unterfcheidet T. lange nicht fcharf genug
zwifchen der Frage nach der Feftftellung der okkulten
Phänomene an fich einerfeits und ihrer, wiffenfchaftlich
allerdings höchft prekären, Ausdeutung im Sinne des .Übernatürlichen
', der Geifterhypothefe, anderfeits. Hätte er
die letztere Frage zunächft einmal ganz beifeite gelaffen,
fo wäre er vielleicht zu einer gerechteren Würdigung der
okkulten Erfcheinungen an fich gekommen. Statt deffen
langweilt er den Lefer mit feiner etwas nörgelnden Kritik,
die die Unbefangenheit der Beobachter, die Genauigkeit
einzelner Feftftellungen, die Zuverläffigkeit der Medien ufw.
anzweifelt. Ganz gewiß ift an diefer Kritik manches Berechtigte
, und doch bleibt fie im wefentlichen unfruchtbar,
denn fie treibt Vogelftraußpolitik und verfchließt fich mehr
oder minder abfichtlich vor einer Reihe fchwieriger Probleme
, die uns die Emanationen der pfychifch-phyfifchen
Kraft aufgeben, die mit dem fog. Ünterbewußtfein des
Menfchen in Verbindung zu flehen fcheinen. Schon heute
liegen die Dinge nicht mehr fo, daß man fich über die
Telepathie z. B. fo fkeptifch vorfichtig zu äußern braucht,
wie es unfer Verf. tut. Man kann und muß die Realität
J der okkulten Phänomene in weitgehendem Maße aner-
| kennen und braucht dabei noch lange keine Anleihen
beim Spiritismus zu machen.

In feinen religiös-theologifchen Darlegungen zeigt T.
bedauerlicherweife ein nur geringes Verftändnis für die