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Ausgabe:

1913 Nr. 5

Spalte:

141-142

Autor/Hrsg.:

Krumbacher, Karl

Titel/Untertitel:

Der heilige Georg in der griechischen Überlieferung 1913

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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141

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 5.

142

(beiläufig S. 170) im Sinne des Monophyfitismus (der
Jakobiten) von Einfluß gewefenl Erft im Mittelalter
mehren fich die gleichzeitigen Bezüge zwifchen Literatur
und Kunftwerken bis zur ausführlichen Vorführung typo-
Iogifcher Einzelheiten (vgl. diefe Ztg. 1910, Sp. 48).

Die etwas jüngeren Gemälde des Oberraums der-
felben Kirche werden von dem Herausgeber der Sammlung
im Anhange befprochen. Derfelbe entwickelt im
Eingange diefes Doppelheftes, das die Sammlung eröffnet,
deren umfaffenden Plan.

Betheln. E. Hennecke.

Krumbacher, Karl: Der heilige Georg in der griechifchen
Überlieferung. Aus dem Nachlaffe des Verf. hrsg. v.
AlbertEhrhard. (Abhandlungen der Kgl.Bayer.Akad.
d. Witt Philof.-philol. u. hift. Kl. XXV. Bd., 3. Abhdlg.)
(XLII, 332 S. m. 3 Taf.) München, G. Franz in Komm.
1911. M. 16 —

Textfammlungen für beftimmte Heilige, le dossier
d'un Saint, wie Delehaye geiftreich fagt, find heute nichts
feltenes; was hier vorliegt aber ift weit mehr: mit diefer
Studie über die Georgslegende hat der Begründer der
Byzantiniftik der Wiffenfchaft ein für die Hagiographie
wie für die Sprachforfchung gleich wertvolles Mufter feiner
fammelnden und fichtenden Arbeitsweife hinterlaffen, das
noch viele Arbeiten anregen wird, wie denn faft auf jeder
Seite Arbeitsthemata genannt werden. A. Ehrhard hat
dem Freunde mit der Drucklegung des nicht ganz ab-
gefchloffenen Werkes einen anerkenneswerten Freund-
fchaftsdienft geleiftet. Sich auf die griechifchen Texte
befchränkend erhebt Kr. aus 117 Handschriften 8 Formen
in gewöhnlicher, 5 in rhetorifcher Profa, 7 Enkomien fowie
außer Einzelmotiven eine ganze Anzahl poetifcher Behandlungen
. Jeder Text wird genau auf feine Einzelmotive
hin analyfiert, diefe mit denen der andern Texte verglichen,
Sprache und Form, Autor und Überlieferung werden forg-
fältig befprochen. Das Refultat ift in Kürze: Der Wiener
Palimpfeft des S/6. Jahrhunderts bewahrt Bruchftücke eines
alten Volksbuchs vom Märtyrer Georg, das außer in
lateinifchen und orientalifchen Übertragungen (die Kr. nur
Vergleichsweife heranzieht) auch in jungen griechifchen
Rezenfionen erhalten ift, aus denen es zu rekonftruieren
eine Aufgabe der Zukunft bleibt. Wie alle Volksbücher
ift es fortwährender Umgeftaltung unterworfen; es wird
durch eine Jugendgefchichte ergänzt, zu der fpäter fogar
— das merkwürdigfte Stück — eine Prochoros-Novelle
über die uneheliche Geburt des Heiligen, die zu feiner
Verherrlichung dienen foll(l), tritt; die jüngeren Texte
zeigen durchweg Einfluß der kirchlichen Textformen. Seit
dem (6. oder) 7. Jahrh. ftellt fich nämlich dem von den
unglaublichften Wundern flrotzenden und mancherlei
anftößiges bietenden Volksbuch ein purifizierter kirchlicher
Normaltext entgegen, einquafi-hiftorifches Martyrium
der Diokletianzeit mit glaubhaften Wundern, wenn auch
graufamen fo doch möglichen Martern und ohne die der
Volksphantafie und Volksfrömmigkeit angehörenden Züge,
die Georg aus der Reihe der Märtyrer erheben und faft
Chriftus gleichftellen. Die ganze fpätere Entwicklung zeigt
den Kampf diefer beiden Typen: man möchte dem kirchlichen
folgen, und fich doch die Motive des Volksbuchs
nicht entgehen Iaffen. Krumbacher unterfcheidet in den
genealogifchen Konklufionen (Kap. III) neben dem Da-
dianostypus zwei ältere und zwei jüngere Diokletian-Typen:
den letzten fetzt er S. 294 dem kirchlichen Normaltypus
gleich. In diefer Konftruktion fcheint die logifche Reihe
fortgefetzter Purifikation die richtigere Einficht in den
durch nachträgliche Mifchung zweier fchärfer gefchiedener
Typen beftimmten wirklichen Gang der Entwicklung beeinträchtigt
zu haben. Man ziehe als Analogie die Vetus
Latina der Bibel in ihrer bunten Mannigfaltigkeit, die
einheitliche Vulgata und die zahllofen Mifchformen des

5.—8. Jahrhunderts heran. Die Klage über die Verworrenheit
der Überlieferung, deren Berechtigung jeder in Hagiographie
etwas Orientierte empfindet, ruft auch bei dem
biblifchen Textkritiker fofort verftändnisvolle Zuftimmung
hervor. Es find eben Lebewefen, nicht bloß papierne
Texte, mit denen man es hier zu tun hat.

Kr. betont mit Recht, daß man bei hagiographifchen
ForfGüungen fich nie auf Initien oder Auszüge ftützen
dürfe; die Einficht in den ganzen Text ergibt oft merkwürdige
Überrafchungen. So hat fchon jetzt Ehrhard in
feinen eingefügten Anmerkungen auf Grund eigner Einficht
in die Kr. nur aus Katalogen bekannten Handfchriften
den Wert mancher Texte anders beftimmt. Die ganze
Verzweigung kann, wie Kr. felbft immer wieder betont,
erft durch Heranziehung auch der lateinifchen und orientalifchen
Formen ficher dargeftellt werden. Die Lateiner
ftellen ganz ähnliche Probleme wie die von O. v. Gebhardt
unterfuchten Verfionen der passio s. Theclae. Hätte
Kr. fein Werk fo, wie er es plante, vollenden können, fo
hätten wir nicht nur ausführlichere Mitteilungen auch über
die koptifchen, fyrifchen, arabifchen Texte, eine Gefchichte
der Ausbreitung des Georgkultes, fondern vor allem eine
literargefchichtliche Würdigung des Volksbuches im
Rahmen einer größeren Legendengruppe erhalten. Dies
letztere ift jetzt die wichtigfte Aufgabe. Ift fchon von
Friedrich, Amelineau auf Analogien in koptifchen Märtyrer-
gefchichten (Makarios u. a.) hingewiefen worden, fo möchte
ich den Finger auf die Verwandtfchaft mit der jüngeren
Gruppe von Apoftelakten, den mythologifchen, wie fie
Mrs. Lewis nennt, legen. Konnte man vor 10 Jahren, den
Anregungen Rohde's folgend, diefe als chriftliche Romane
charakterifieren, fo haben die neueren Forfchungen, fpe-
ziell Krumbachers Digenis, uns den weit zutreffenderen
Begriff des Volksbuchs an die Hand gegeben. Diefer
mit dem Komplementbegriff des kirchlichen Normaltextes
klärt dies ganze weite Gebiet auf: es handelt fich um den
Erfatz des literarifchen Romans für die breiten Volksschichten
; etwas vom Roman fteckt darin, und doch griff
diefe Bezeichnung zu hoch. Volksbuch, das ift der tref-
fendfte Ausdruck wie Krumbacher auch buch-technifch
am Format der älteften Handfchrift im Unterfchied von
den kirchlichen Lektionaren (f. d. Fakfimile) dartut. Volksbuch
aber ift es auch in Anfehung des Stoffes. Zu
jedem der Einzelmotive laffen fich aus den verfchiedenften
Texten Parallelen beibringen, z. B. zur Rangerhöhung
als Anlaß des Martyriums Eufeb KG VII 15,2; Zerftörung
der väterlichen Götzen Abrahamslegende; Matth. 10,28
(210) Gemeinplatz der Martyrien, f. z. B. T. u. U. 37, 2, 22f.
Diefe Anzeige kann das nicht weiter ausführen. Wie
volkstümlich die Stoffe waren, zeigt auch ihre frühe Aufnahme
in die Kunft: die Scholaftika-Szene (S. 112 n. 18)
ift von Dr. Rott und Dr. Michel unter den Wandmalereien
einer kappadokifchen Kirche gefunden worden.

Mit Schmerz fahen wir Krumbachers Arbeit vor der
Zeit abgebrochen: mögen feine Freunde und Schüler in
feinem Geift und feiner Art weiterarbeiten.

Breslau. v. Dobfchütz.

Fuchs, Dr. Wilhelm: Die Befetzung der Deutlchen Bistümer
unter Paplt Gregor IX (1227—1241) u. bis zum Regierungsantritt
Papft Innocenz' IV. (1243). (162 S.) gr. 8°. Berlin,
E. Ebering 1911. M. 3.50

An der Befetzung der deutschen Bistümer läßt fich
die Tendenz der päpftlichen Politik, in Deutfchland Boden
zu gewinnen und dem Kaifertum Abbruch zu tun, be-
fonders gut erkennen; zugleich aber machen fich auch die
Faktoren, geiftlicher und weltlicher Art, bemerkbar, die
ihren völligen Sieg verhinderten. Fuchs unterfucht im
Einzelnen die Befetzungen der deutfchen Bistümer, die in
den Jahren 1227 —1243 ftattfanden, wobei er die lokal-
gefchichtliche Literatur reichlich verwertet und wieder
einmal zeigt, wie wichtig forgfältige lokalgefchichtliche