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Ausgabe:

1913 Nr. 4

Spalte:

114-115

Autor/Hrsg.:

Scheeben, Matthias Joseph

Titel/Untertitel:

Die Mysterien des Christentums. Nach Wesen, Bedeutung und Zusammenhang. 3. Aufl., bearb. v. Arnold Rademacher 1913

Rezensent:

Scheel, Otto

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H3

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 4.

114

erlaubter Weife in die äfthetifche Kritik eingetragen: dem
Dichter darf an der Darfteilung eines pfychologifchen
Problems genügen, er muß nicht immer große ethifche
Probleme austragen.

Aber uns intereffiert natürlich das Schlußkapitel, über
Meyers religiöfe Weltanfchauung, am meiften. Mit vollem
Recht lehnt K. die Charakterisierung unferes Dichters
durch Richard M. Meyer als einfeitig ab. Freilich ift er
ein ,Virtuos des künftlerifchen Genuffes' gewefen, und fein
äfthetifches Schaffen ift nicht ohne .Raffinement'. Aber
,eine mehr als epekureifche Natur' darf man ihn nicht
nennen. In dem Eingangsgedicht .Fülle' ift das Motto
>genug ift nicht genug'ja auf die Bedürfniffe des Herzens
gemünzt (man könnte auch an das Stichwort der ,Narde'
erinnern: ,Wer liebt, verfchwendet alle Zeit'), und das
Herz ift der Sitz für Ethos und Religion, fie bilden den
Schlüffel zu feiner Weltanfchauung, denn fie find die
Grundmächte feines Dichtens. Diefe feine Religion ift
nicht nur ausgeprägt chriftlich, fie ift fpezififch proteftan-
tifch, den Katholizismus hat M. beinah gehaßt. Aber fo
gewiß er theologifch gut unterrichtet war, ja mit alt-
zürcherifchem Konfervatismus die alte othodoxe Dogma-
tik vorausfetzte: er lebte doch nicht in ihr. Sein Chriften-
tum ift ganz individuell, es erinnert in feiner weitherzigen
Toleranz, feiner gefühlsmäßigen Haltung und praktifchen

Scheeben, weil. Prof. Dr. Matth. Jofeph: Die Myfterien
des Chriltentums. Nach Wefen, Bedeutg. u. Zufammen-
hang dargeftellt. 3. Aufl., bearb. v. Dir. Dr. Arnold
Rademacher. (XXIV, 691 S.) gr. 8°. Freiburg i. B.,
Herder 1912. M. 8.40; geb. M. 10 —

Da diefe 1865 zum erften Mal erfchienene, mit den
übernatürlichen Dogmen des Katholizismus fich befaffende
fpekulative katholifche Dogmatik jetzt in dritter Auflage
vor die Öffentlichkeit tritt (die zweite, von L. Küpper
bearbeitete Auflage erfchien 1898), fo kann die Anzeige
kurz gefaßt werden. Der neue Herausgeber erklärt, ihm
fei dank der forgfältigen Arbeit, die Küpper der zweiten
Auflage angedeihen ließ, nicht allzuviel zu tun übrig ge-
laffen. Er hat den Text Sorgfältig durchgefehen, an vielen
Stellen den Stil verbeffert, Kürzungen oder Ergänzungen
vorgenommen, Literaturangaben nachgetragen u. dgl. m.
Einer tiefer greifenden Änderung an den fpekulativen
Theorien des Verfaffers hat er fich enthalten. So hat er
auch der Verfuchung widerftanden, der Küpper erlag, als
er Scheebens Anfchauung von der Rechtfertigung als
einer Mitteilung der göttlichem Natur an das Gefchöpf
durch mildernde Zufätze wie ,eine Art von', ,eine ge-
wiffe' u. a. m., der durch die hochmittelalterliche Theologie
bedingten Tradition anzupaffen fich bemühte.

Richtung an die Stimmung der .Aufklärung des 18. Jahr- 1 Rademacher hat die fehr bald zum Gegenftand ftarker

hunderts' (follte man nicht lieber fagen: an Leffing,
Herder, Goethe). Es beruht einerfeits auf der Natur,
anderfeits auf der Gefchichte (Paulus, Luther). Aber die
Gefchichte hat der Frömmigkeit Meyers auch eine große
Laft auferlegt. Der naive reformatorifche Glaube an den
Gott der Vorfehung in der Gefchichte war dem Kind des
'9- Jahrhunderts verwehrt, er empfand zu ftark die relativierende
Macht hiftorifcher Betrachtungsweife, und
feinem grübelnden Dichterfinn flieg aus den Abgründen
der Gefchichte beängftigend das verhängnisvolle dunkle
Schickfal auf. Diefe gefchichtliche Betrachtung zufammen
mit feiner neurafthenifchen Anlage hat in ihm den refor-
niatorifchen Glaubenstrotz gebrochen. Seine Frömmigkeit
ift vielfach mehr Sehnfucht oder myftifches Erleben
als fröhliches Haben. ,Ich habe Gottvertrauen,
joviel ein Kind des 19. Jahrhunderts haben kann.' Aber
feine Frömmigkeit ift nicht bloße Stimmungsreligion. Er ift
^u frommer Menfch gewefen, es war mehr als eine
Äußerlichkeit, wenn er täglich feinen Morgengottesdienft
J?ielt, aus der Bibel vorlas und ein freies Gebet daran
fehloß. Er fuchte, trotz aller relativiftifchen Stimmung,
auch in der Gefchichte nach der immanenten Gerechtigkeit
; die göttliche Vorfehung, ein ewiges Leben, das
ethifch empfundene Reich Gottes find ihm fichere Größen
gewefen. ,Es gibt keinen unter den neueren Dichtern,
wenn man von den bewußt religiöfen Poeten wie
Gerock u. a. abfieht, aus deffen Werken fo klar und
'lurchfichtig chriftliche Religion und chriftliches Ethos
hervorleuchtete wie bei C. F. Meyer. Sie find „das große
"alle (sie! nicht ftark) Leuchten" feines Wefens.'

Diefe freie Wiedergabe der K.'fchen Skizze wirkt
vielleicht etwas pofitiver als K.'s eigene Worte. Das liegt
zum Teil an der analyfierenden und fezierenden Art einer
wfff. Ünterfuchung, die immer den Gefamteindruck
Rhwächt, zum Teil aber auch an einer etwas anderen
Auffaffung des Referenten. Es handelt fich natürlich
nur um Nuancen, aber ich empfinde in Meyers Dichtung
das Skeptifche weniger ftark. Ich kann z. B. in dem
Gedicht .Unter den Sternen' nicht den Schickfalsglauben
r"iken' ebenf°wenig wie in dem Lied ,mein Stern' (wo K.
I u die aftrologifche Auffaffung ablehnt) oder in der
.bchwüle' (.Sterne, warum feid ihr noch nicht da?' .Sterne,
eherne bleibt mir immer nah').

Doch ich fchließe mit Dank für reiche erfreuliche Belehrung
und mit Einladung zur Lektüre des auch fchön gedruck

Polemik gemachte und ifoliert gebliebene Anfchauung
Scheebens in ihrer realiftifchen Faffung wieder vorgeführt
und nur in einer beachtenswerten, längeren Anmerkung
(S. 149—152) fie kritifch beleuchtet. Die Dogmen-
hiftoriker werden Rademacher diefe Pietät gegen den
urfprünglichen Text danken, denn fie deckt eine bleibende
Schwierigkeit der unter dem Einfluß des Thomismus oder
thomiftifchen Ariftotelismus flehenden katholifchen Rechtfertigungslehre
auf. Die thomiftifche Habituslehre fordert
die gratia creata als Formalurfache der Rechtfertigung
und Gotteskindfchaft. Scheeben aber fühlte fich durch
die Schriftausfagen und die vorthomiftifche Theologie,
insbefondere die griechifchen Väter (Cyrill von Alexandrien
) genötigt, die thomiftifche Thefe durch den Satz
zu ergänzen, daß erft der Befitz und die Einwohnung
des heiligen Geiftes felbft (alfo der Mitbefitz der Subftanz
der göttlichen Natur) die Gotteskindfchaft abfchließend
konftituiert. Da weder die Schrift noch die altkirchliche
Lehre die Theorie vom Habitus und der gratia creata
kennt, vielmehr unbefangen die Rechtfertigung und Heiligung
auf den heiligen Geift zurückführen konnte (In-
fpiration des Geiftes), fo wird es verftändlich, daß ein
auf den Wortlaut der Schrift und der älteren kirchlichen
Tradition ftreng bedachter Theologe wie Scheeben ein
Problem fah, wo der ftrenge Thomift alles in Ordnung
fand. Aber nicht minder begreiflich ift der Widerfpruch,
den er erlebte. Denn er machte den merkwürdigen Ver-
fuch, die vorthomiftifche und thomiftifche Rechtfertigungslehre
unter grundfätzlicher Vorausfetzung der thomiftifchen
Habituslehre mit einander zu kombinieren, alfo kurz ge-
fprochen die Infpirationstheorie nachträglich neben die
Informationstheorie zu Hellen (vgl. meinen Artikel Rechtfertigung
im Lexikon Religion in Gefchichte und Gegenwart
). Der ftärker thomiftifch denkende Rademacher
weift darum Scheebens Thefe von der perfönlichen Innewohnung
des heiligen Geiftes als dem Prinzip einer
höheren Würde und Vornehmheit der Gotteskindfchaft
als unbegründet zurück. Denn die theologifche Vernunft
fei vollkommen damit befriedigt, daß die heiligmachende
Gnade als einzige Formalurfache der Gotteskindfchaft
bezeichnet werde. Sie bedürfe nicht der Einführung
eines Moments in den Gnadenftand, welches, wie
Scheeben in feinem Handbuch der katholifchen Dogmatik
(II 382 f.) erklärt, auch in der denkbar höchften
Befchaffenheit der Natur als folcher nicht enthalten fei

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n und m,t vortrefflichen Bildern gefchmuckten Buches.: und enthalten fein könne, nämlich der fubftantiellen GeHannover
. Schufter. , meinfehaft mit Gott, und welches alfo neben die gratia