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Ausgabe:

1913

Spalte:

99-100

Titel/Untertitel:

Die Konstanz-Weingartner Propheten-Fragmente in phototypischer Reproduction. Einleitung von Paul Lehmann 1913

Rezensent:

Soden, Hans

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99

Tohelogifche Literaturzeitung 1913 Nr. 4.

100

große Fortfehritte erlebt. Manche der Grundfragen find
in wefentlich neue Beleuchtung getreten; die Erkenntnis
früher nicht beachteter Verknüpfungen hat den Horizont
erweitert; eine gefchärfte Kritik der Quellen hat Probleme
aufgeworfen, zu denen Sir William Muir, falls er |
an eine neue Auflage feines Werkes noch felbft Hand j
angelegt hätte, gewiß hätte Stellung nehmen müffen. Dies
konnte der Herausgeber, der die 3. Auflage zu Grunde j
gelegt hat, nicht als feine Aufgabe betrachten. Die Re-
vifion, die er an dem Texte Muir's vollzog, erftreckt fich !
außer der Berichtigung der Transfkription der arabifchen
Worte vornehmlich darauf, daß er die von M. nach Hand-
fchriften zitierten Stellen aus Quellenwerken, die feither I
in gedruckten Editionen zugänglich geworden find, aus j
den letzteren nachweift, in den Anmerkungen hin und
wieder mehrere Nachweife hinzufügt und einige Einzelverfehen
feiner Vorlage verbeffert. Jedenfalls hätte er u. a. I
auch die Überfetzung von ,mujtahid' (Epithet Tabari's) als
,Defender of the Faith' (p. LXXXIV) nicht unbemängelt
beibehalten follen.

Budapeft. Ign. Goldziher.

Die Konftanz-Weingartner Propheten-Fragmente in photo-
typifcher Reproduction. Einleitung v. Paul Lehmann.
(Codices graeci et latini photographice depicti duce
Scatone de Vries. Supplementum IX.) (84 Bl. u. S. m.
VII, 5 S.Text.) Fol. Leiden, A.W.Sijthoff 1912. M. 56 —

,Fünf weit von einander liegende Bibliotheken nennen
heute Teile des einen Codex ihr eigen, deffen Refte hier
im Lichtdruck wiedergegeben werden, und zwar bergen
oder bargen nicht weniger als 25 Handfchriften auf den
Innenfeiten der Deckel, im Rücken und in den Falzen der
Einbände viele einzelne, oft wenig gut erhaltene Blätter
oder auch nur Fetzen und Leimabdrucke der einftmals
prächtigen Handfchrift' (Einl. S. I). Die 25 Hff. (in Darm-
ftadt, Donauefchingen, Fulda, St. Paul in Kärnten, Stutt- ]
gart) find nicht ursprünglich Weingartener Hff., wie man I
bis vor kurzem glaubte — daher die gebräuchliche Bezeichnung
der Fragmente —, fondern fie Hammen aus der |
Dombibliothek zu Konftanz. Dort find fie zugleich mit
anderen und zwar im 14. Jahrhundert, wie fich zeigen läßt,

fleichartig eingebunden worden, wobei die altlateinifche
rophetenhf. Verwendung fand. Es ift alfo nicht ganz
ausgefchloffen, daß in weiterhin zu identifizierenden Kon- 1
ftanzer Hff. noch weitere Fragmente derfelben gefunden |
werden — bis zur vollftändigen Rekonftruktion der Kon- 1
ftanzer Bibliothek darf man diefe Hoffnung noch nähren —,
aber fehr wahrfcheinlich ift es nicht, da Lehmann u. a.
überall fleißig geforfcht haben. Jedenfalls muß man dem |
Herausgeber beipflichten, wenn er bei dem drohenden
Verfall mancher bereits gefundenen Fragmente die pho- I
totypifche Edition nicht um ungewiffer Hoffnungen willen
verzögerte. Als die Italahf. fo unwürdig zu Grunde ging,
muß fie bereits weitgehend zerftört, es dürften von ihr
fchon damals nur lofe Blätter und Lagen übrig gewefen
fein. Urfprünglich war fie eine vornehm ausgeführte
Unziale des 5. Jahrhunderts, deren Schriftheimat mit größter
Wahrfcheinlichkeit in Oberitalien zu fuchen ift.

Im Vorftehenden habe ich über die Einleitung referiert,
die mit einem die Bibliotheksgefchichte der Fragmente
darftellenden Stemma abgefchloffen wird. Es folgen zwei
Überfichtstabellen, die eine geordnet nach den Kodizes,
in deren Einbänden die Fragmente gefunden worden find,
die andere nach der Reihenfolge der Stücke im Prophetentext
, von dem fie ein knappes Zehntel umfaffen. Die 80
Lichtdrucktafeln felbft find faft durchweg prächtig gelungen
, foweit man ohne Vergleichung der Originale
urteilen kann.

Herausgeber und Verlag haben fich den Dank aller
an der Konftanz-Weingartener Hf. textkritifch oder paläo-
graphifch Intereffierten erworben; denn der Abdruck der

Fragmente war bisher in fechs verfchiedenen Publikationen
zerftreut. In Rückficht darauf wäre ein Wunfeh berechtigt,
daß nämlich der Einleitung noch ein fchlichter Abdruck
des ganzen erhaltenen Textes einfchließlich der ficheren
Ergänzungen verftümmelter Worte oder Zeilen hinzugefügt
worden wäre. Bei dem leider fo geringen Umfang des
Erhaltenen hätte dies nur fehr wenig Raum in Anfpruch
genommen und den Preis kaum zu erhöhen brauchen.
Der Mehrzahl der Benutzer wäre damit ein großer Dienft
geleiftet worden. Denn auch wer im Lefen von Hff. recht
geübt ift, entziffert nicht ohne weiteres Leimabdrucke
oder ergänzt Fetzen.

Ein Rückblick auf die Rekonftruktion der Weingartener
Prophetenhandfchrift erweift überzeugend die
hohe Wichtigkeit bibliotheksgefchichtlicher Studien. Es
ift eine viel zu wenig erkannte Pflicht aller, die regelmäßig
mit Hff. arbeiten, bei ihrer Tätigkeit, zumal in fchwer
zugänglichen Bibliotheken, ihre Aufmerkfamkeit auf
bibliotheksgefchichtliche Notizen und Indizien zu richten.
Hier ift abgefehen von dem., eigenen Intereffe folcher
Forfchungen ein großes Stück Uberlieferungsgefchichte zu
enthüllen, deffen Kenntnis unfere Quellenüberficht allmählich
von allerlei Zufälligkeiten z. B. des Finderglücks
unabhängiger machen würde.

Berlin-Steglitz. Hans von Soden.

Heller, Dr. Ch.: Unterfuchungen üb. die PefchTttä zur gelamten
hebräifchen Bibel. Zugleich e. Beitrag zur Erkenntnis
der alten Bibelüberfetzgn. 1. Tl. (72 S.) gr. 8°. Berlin,
M. Poppelauer, 1911. M. 2.50

Der hauptfächliche Wert diefer Arbeit liegt in den
Tabellen, die vielen Hunderten von Stellen der hebräifchen
Bibel die mehr oder weniger abweichenden Überfetzungen
der Pefchittä gegenüberftellen. Diefe Tabellen find nach
folgenden Gefichtspunkten geordnet: 1) Talmudifche
Auslegungen der Heiligen Schrift in der Pefchittä. 2)
Talmudifche Interpretationsregeln. 3) Auf fprachlichen
Eigentümlichkeiten beruhende Mittel der Bibelexegefe,
die von den jüdifchen Exegeten des Mittelalters ausführlich
dargeftellt, fich bereits in der talmudifchen Literatur
hier und da nachweifen laffen. 4) Freiheiten des Über-
fetzers in der Wiedergabe des hebräifchen Wortlautes. —
Nr. S, .Abweichungen der Berliner Handfchrift' fehlt
und foll wohl in zweiten Teil nachgebracht werden. Die
Interpretationsregeln der jüdifchen Exegefe werden mit
Recht herangezogen, aber wenn ihnen der Verfaffer, wie
es fcheint, einen felbftändigen, wiffenfehaftlichen Wert
beimißt, fo befindet er fich in einem großen Irrtum. Auch
wer fich fonft die Urteile und leitenden Gefichtspunkte
des Verfaffers nicht aneignen kann, wird aus feinen lehrreichen
Zufammenftellungen großen Nutzen ziehen.

Gießen. Fr. Schwally.

Beer, Prof.D. Geo.: Pafcha od. das jüdifche Ofterfeft. (Sammlung
gemeinverftändlicher Vorträge und Schriften aus
dem Gebiet der Theologie u. Religionsgefchichte. 64.)
(VII, 44 S.) gr. 8°. Tübingen, J. C. Mohr 1911. M. 1.20

B.'s Skizze der Gefchichte des Paffafeftes ift laut
Vorwort ein Auszug aus der eingehenderen Behandlung
des Themas, die er feiner für Fiebigs .Mifchnatraktate'
angefertigten Überfetzung von Pefachim beigeben will1). In
diefem größeren Zufammenhange find auch die Nachweife
für die hier aufgeftellten Behauptungen gegeben.
Ref. begnügt fich unter diefen Umftänden mit einem
kurzen Hinweis auf die Hauptergebniffe der Unterfuchungen
B.'s über Wefen und Gefchichte des Paffafeftes und mit
einigen kritifchen Bemerkungen.

1) Sie ift inzwifchen in der von O. Holtzmann herausgegebenen
Überfetzung der Mifchna (Gießen. A. Töpelmann) erfchienen, II, 3 Pefachim
S. 1 —109.