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Ausgabe:

1913 Nr. 3

Spalte:

73-74

Autor/Hrsg.:

Flamion, J.

Titel/Untertitel:

Les Actes Apocryphes de l‘Apôtre André 1913

Rezensent:

Hennecke, Edgar

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73

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 3.

74

(ich dabei erfparen können, die Gegner, wo fie nicht über-
einftimmen, wider einander auszufpielen.

Der erfte der beiden Teile des Werkes befchäftigt
fich mit den außerchriftlichen Zeugniffen für die Ent-
ftehung des Chriftentums und ftellt feft, daß folche aus
ältefter Zeit nicht exiftieren. Die jüdifchen Zeitgenoffen
Jefu, Philo, Jofephus, Juftus von Tiberias, fchweigen. Und
auch heidnifche Quellen fprudeln nicht. Der Pliniusbrief
und die bekannte Tacitusftelle find unecht. So ift das
Silentium saeculi fo tief, wie nur möglich.

Die zweite Hälfte des Buches müht fich um den
Nachweis, daß die chriftliche Religion nicht von dem
Menfchen Jefus von Nazareth hergeleitet werden kann,
daß demnach das liberale Jefusbild widerlegt fei. Weder
das Markusevangelium noch Paulus können es retten. Jenes
ift das Werk eines Römers von ca. 140, das die beiden
anderen fynoptifchen Evangelien vorausfetzt Von der
paulinifchen Hinterlaffenfchaft aber kann nichts auf den
Apoftel zurückgeführt werden. Denn Marcion ift der erfte,
der Paulusbriefe befitzt. Der Paulinismus aber fetzt nicht
das Leben Jefu voraus, fondern den Gnoftizismus.

Entftanden ift das Chriftentum im erften Jahrhundert
unferer Zeitrechnung im Schöße einer helleniftifch-jüdifchen
Theofophie, die fich das ewige Wefen als einen verborgenen
und unbekannten Vater dachte und als denen erftgeborenen
Sohn und erften Untergott den Herrn Jefus verehrte. In
diefen Kreifen ftellte man den weltlichen Hoffnungen des
jüdifchen Nationalismus die Überzeugung entgegen, daß
man fich die wahre Erlöfung vorzuftellen habe als ein
.göttliches' Vorbild irdifchen Leidens und Sterbens, das
von Erhebung zur himmlifchen Herrlichkeit gefolgt wird.
Doch die Menge verlangt nicht fublime Ideen, fondern
anfchauliche Gefchichte. So treibt das Bedürfnis der
Propaganda den Evangelienftoff hervor, auf den auch die
heidnifche Sitte, den Herrfcher als Gott und Heiland zu
verehren, Einfluß gewinnt. Die Bekenner der neuen
Gottesverehrung mit ihrem unblutigen Kultus entfernen
fich von dem eigentlichen Judentum mehr und mehr.
Nach dem hadrianifchen Krieg ift der Bruch vollkommen.
Trotzdem verfchmilzt um die Mitte des zweiten Jahrhunderts
der Vater des Herrn Jefus, der urfprünglich
nicht der Herr des Mofes gewefen war, fondern die
Menfchen von diefem durch das Opfer feines Sohnes hatte
erlöfen wollen, mit dem Gott des Gefetzes — eine Trübung
der urfprünglichen Verkündigung.

In einem Anhang über den .Saturn und feinen Tag1
fucht B. nachzuweifen, daß die Sabbatfeier ihren Urfprung
in der Saturnverehrung habe.

Marburg/Heften. Walter Bauer.

Fl am i on, Prof. J., S. T. L.: Les Actes Apocryphes de l'Apötre
Andre. Les Actes d'Andre et de Mathias, de Pierre et
d'Andre et les textes apparent.es. (XVI, 330 S.) gr. 8°.
Louvain, Bureaux du Recueil 1911. fr. 6 —

Vorliegende Arbeit bildet ein würdiges Seitenftück
zu der gründlichen und forgfältigen Unterfuchung des-
felben Verf. über die apokryphen Petrusakten in der
Revue d'Histoire ecclesiastique IX (1908 fr.). Im Anfchluß
an Bonnets grundlegende Vorarbeit war bereits in den
.Neuteftamentl. Apokryphen' (1904) der Verfuch unternommen
, den urfprünglichen Zufammenhang der alten
Andreasakten hauptfächlich für deren Schlußpartie (Paffion
des Apoftels und unmittelbar vorhergehende Ereigniffe),
die in einem wichtigen Stücke und zahlreichen Umarbeitungen
uns erhalten ift, wiederherzuftellen. Flamion geht
darüber hinaus, indem er nicht bloß die .Martyriumquelle'
aus den verfchiedenen jüngeren Berichten herauszufchälen
lucrrq fondern auch dem Buche Gregors von Tours über
die Taten des Apoftels ,quos facit veniens de Ponto in
Graeciam' (Philafter) für den vorhergehenden Teil einen
V ert beimißt, den er m. E., fo wie er lautet, nicht haben

kann; die von mir in diefer Beziehung geäußerten Bedenken
(Flamion S. 213. 2Ö2f. A. 1) kann ich noch nicht
für erledigt anfehen. Und felbft wenn F. in diefem Punkte
recht behielte, fo wäre für den eigentümlichen Tenor der
alten Akten, den wir aus dem Stücke des Cod. Vatic. 808
kennen und der fich vom Gemeinkirchlichen doch mehr
entfernt als Flamion S. 165. 257 zugibt, aus den mageren
Wunderberichten des gallifchen Bifchofs nicht viel gewonnen
. Wir müffen hier einen neuen günftigen Fund
abwarten. Bis dahin ift freilich F.s Arbeit das Ausfuhr-
lichfte (vgl. auch Teil III über die Andreas-Matthias- und
Petrus-Andreasakten) und Gelehrtefte (z. B. S. 9ff. über
das Latein des .Briefes der Presbyter und Diakonen der
Kirchen Achajas'), was wir über diefen wenig erquicklichen
Stoff befitzen.

Betheln. E. Hennecke.

Thompson, James Westfall: The alleged persecution of the
Christians at Lyons in 177. (The American Journal of
Theology, Vol. XVI, Nr. 3, July 1912; p. 358—384.)

Der Verfaffer glaubt in diefer Abhandlung bewiefen
zu haben, daß unter Marc Aurel keine Verfolgung zu
Lyon und Vienne ftattgefunden hat, und daß man daher
nur die Wahl habe, den berühmten, von Eufebius uns
erhaltenen Brief (h. e. V, 1 f.) für unecht zu erklären oder
für ein Aktenftück aus der Verfolgungszeit Aurelians zu
halten. Er entfcheidet fich fchließlich für letzteres, obgleich
feine Argumente, wenn fie ftichhaltig wären, auf
die Unechtheit führen.

Der ganze Prozeß — das ift der fchwerfte Vorwurf,
den ich gegen den Verfaffer zu erheben habe — wird
größtenteils über den Kopf des Angeklagten hinweg
geführt. Er felbft wird kaum befragt. Es find hauptfächlich
allgemeine Erwägungen, die gegen ihn ins Feld
geführt werden, und der Verfaffer ift ftolz darauf, kritifcher
zu fein als felbft Renan, ,the most skeptikal of historians'!
Als ich diefe Charakteriftik Renans auf der zweiten
Seite las, erwartete ich bereits wenig Gutes mehr.

Argument 1: .Nach der kirchlichen Tradition war
Marc Aurel kein Verfolger'. — So wird fich niemand
ausdrücken, der das Verhältnis von Kirche und Staat im
2. Jahrhundert ftudiert hat. Kein Kaifer vor Decius und
nach Nero war ,ein Verfolger'. Ob dort und hier Verfolgungen
ftattgefunden haben, diefe Frage hat mit der
perfönlichen Stellung der Kaifer faft nichts zu tun. In
unferem Fall aber fleht die Sache für die Thefis des Ver-
faffers noch befonders ungünftig; denn daß Marc Aurel
gegen Ende feiner Regierung die allgemeinen Maximen
in Sachen der Chriften ausdrücklich, eingefchärft hat, ift
gewiß, und die ganz tendenziöfe Äußerung Tertullians
über Marcus in Apol. 5, auf die fich Thompfon beruft,
kommt dagegen fchlechterdings nicht auf.

Argument 2: Der von Eufebius mitgeteilte Brief ift
der einzige Zeuge für eine Verfolgung in Lyon unter
Marcus, und erft durch Eufebius weiß man von ihr; Irenäus,
Tertullian, Cyprian, Africanus, Sextus Rufus (??), Arnobius
und Lactantius erwähnen fie nicht, ebenfowenig Julius
Capitolinus, Dio Caffius, Herodian und Libanius(l). —
Wer imftande ift, bei diefer Frage diefe Wolke negativer
Zeugen heranzuführen, beweift, daß er von den Bedingungen
nichts ahnt, unter denen die ältefte Gefchichte der Kirche
und ihre Berichterftattung geftanden hat. Keinem diefer
argumenta e silentio kommt ein Gewicht bei, auch den
chriftlichen nicht, gefchweige den heidnifchen, und felbft
das Schweigen des Irenäus in feinem großen ketzer-
beftreitenden Werk kann nicht als auffallend gelten.
Völlig unverftändlich aber ift mir der Satz (p. 362): ,Even
admitting that the .Adversus haereses' was probably written
before 177, the absence of any information at Rome of
persecution is singular, for Irenaeus was in intimate corre-
spondence with the bishop of Rome, and Victor, who