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Ausgabe:

1913 Nr. 26

Spalte:

825

Autor/Hrsg.:

Weber, Alfr.

Titel/Untertitel:

Religion und Kultur 1913

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Seite 1

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825

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 26.

826

Aber das wertvollfte ift, daß wir jetzt klarer fehen, daß
auch in denjenigen unter den Büchern K.s, die uns mehr
wie Konftruktionen der experimentierenden Gedankenarbeit
vorkamen, K. feine ureigenften fchmerzvollen Erfahrungen
verwertet hat. — Das gilt nicht bloß etwa von
,Schuldig — Nicht fchuldig'!

K.s religiöfe Stellung endlich gewinnt einen höheren
Wert. Nicht nur erkennen wir berter, wie tief einfchnei-
dende Erlebniffe und innere Krifen ihr zugrunde lagen,
sondern wir können K. der großen Familie der Chriften
aller Zeiten einreihen, die im Kampfe mit der Schuld
Gott gefunden haben.

Genf. Raoul Hoffmann.

Weber, Alfr.: Religion und Kultur. 1. u. 2. Tauf. (39 S.) 8°.
Jena, E. Diederichs. M. — 80

Diefe inhaltreiche und eindrucksvolle Schrift geht in
vier Schritten auf ihr Ziel los: 1. Wir find kulturmüde
wie die Spätantike, denn wir haben allerlei Entwicklungen
durchgemacht ohne Befriedigung, und das Schlimmfte ift,
daß wir begreifen, wie notwendig und wie begrenzt fie
fein müffen. Für diefe Lage halten viele mehr aus dem
Kopf, als aus dem Herzen heraus die Religion bereit.
2. Aber der Mittelpunkt, der unferer zerbrochenen Zeit
mit ihrer breiten Ausdrucksfkala fehlt, läßt fich nicht auf
Verlangen fchaffen, er liegt auch nicht in der Religion,
weil es kulturlofe Religion und religionslofe Kultur gegeben
hat, fondern er muß in einem neuen Lebensgefühl,
dem Quellpunkt der Kultur und Religion, liegen. 3. Für
ein folches wird Raum gefchafft, wenn der alte Kaufal-
zufammenhang intellektualiltifcher Art vor der von Bergfon
zumal empfohlenen intuitiven Erkenntnis der Welttiefen
in feinem Ungenügen erfcheint. 4. Das Chriftentum ift
unfähig, jene Stelle einzunehmen, weil es ganz lebensnegativ
ift, höchftens die ,innere weltliche Askefe' und
die reine Arbeit als pofitive Nebenprodukte feiner Jen-
feitsftimmung erwachfen ließ.

Jenen Platz ausfüllen kann allein das Lebendige, das
an die Stelle der drei vom Leben zur Lebensbewältigung
gefchaffenen Apparate zu treten hat: des intellektuellen,
des technifchen und fchmerzlichften unter allen, des Apparates
der gefetzlich ethifchen Normen. Dann leben
wir nach dem Gefetz der inneren Notwendigkeit, die als
Heimat unferes Wefens im Zentrum der Welt fchon
exiftiert. Dann kommt die Religion aus diefem Leben
hervor, die nicht nur das Kreuz, fondern auch das
Flammenzeichen des Dankes für alle Dafeinsfchönheit
zum Sinnbild hat. —

Die Dankbarkeit für diefe ftarken Gedanken wird durch
denEindruck vermindert, daß, wie es populäre Polemik liebt,
als das Chriftentum grade die Form aus feiner gefchicht-
lichen Formenfülle gewählt ift, die dem Polemiker am beften
in feinen Plan paßt. Hier ift es die Form, die Max Weber
bei feinen Studien über die Entftehung des Kapitalismus
im fpäteren Calvinismus gefunden hat. Auch wenn die
Schrift mehr ein Bekenntnis als eine gelehrte Abhandlung
fein will, durfte diefer Fehler nicht paffieren. Was würde
man über einen Theologen fagen, der als die Nationalökonomie
den Merkantilismus verurteilen wollte? Chriftentum
hat nicht nur ftarke lebenspofitive Kräfte entfaltet,
fondern ift weit genug, immer neue aufzunehmen, ohne
feine Artgrenzen zu fprengen.

Heidelberg. F. Niebergall.

Barth, Prof. D. Fritz: Chriftus untere Hoffnung. Sammlung
v. religiöfen Reden u. Vorträgen. Mit e. biograph.
Vorwort v. Prof. D. Mor. Lauterburg u. 1 Bildnis.
(XX, 416 S.) 80. Bern, A. Francke 1913. M. 4—: geb. M. 5. —

Diefe Schrift enthält 23 Vorträge, Anfprachen und
Artikel des verewigten Verfaffers, von dem ein ohne

Zweifel vorzüglich gelungenes Bildnis auch eine äußerliche
Anfchauung gewährt.

Profeffor Lauterburg, der die Vorträge zufammen-
geftellt hat, hat ihnen auch eine biographifche Einleitung
mit gegeben.

Die einzelnen Stücke gewähren einen Einblick in die
außeramtliche Tätigkeit eines heutigen Profeffors. Denn
es find zu allermeift Vorträge, die bis tief nach Deutfch-
land hinein vor Studenten- und Akademikerkonferenzen
und vor einem gemifchten Publikum gehalten worden
find. Sie haben gewiß immer einen großen Eindruck
gemacht, wenn fie dem weiten und milden Geifte des
bekannten Vertreters überlieferter Frömmigkeit unmittelbar
entftrömten. Von diefem Geift liegt über dem Buch
mehr als ein Hauch. Den ftärkften Eindruck machte
mir der Vortrag über Calvin und Servet, andern mag
der über Jefus und Buddah oder die Hindernifle des
Glaubens am meiften geben.

Heidelberg. F. Niebergall.

Referate.

Haas, D. Hans: Drei Buddhaprielter. (23 S. m. Abbildgn.) 8°.
Berlin-Schöneberg, Proteftantifcher Schriften vertrieb 1912.

M. — 40

Ein von guter Abdeln getragenes, anfpruchslofes Schriftchen,
das unfere Sympathien verdient. Es handelt über die höchften
Ziele der chriftlichen Mifdon in Japan. Der Verf. kennt aus der
eigenen Mifflonstätigkeit die Japaner, ihr großes Selbftbewußtfein
und ihren Materialismus, und weiß, daß ihre Geiltesart für Miffi-
onsarbeit wenig Ermutigendes hat, er kennt auch die fehr verbreitete
Anficht (die er allerdings durch Hinweis auf die zahllofen
Kultbetätigungen bekämpft), daß die Japaner wie alle Mongolen
religiös indolent feien. Er weiß ferner, daß de in ihrer durch
chinedfehe Vermittelung aus Indien überkommenen buddhiftifchen
Literatur felbft ,fehr viel Gutes, Schönes und Wahres' befitzen,
und daß umgekehrt ,die weltliche Aufklärung nicht geringe Verheerungen
auf religiöfem Gebiete angerichtet' hat. Aber er ift
der Anficht, daß die recht auf- und angefaßte Chriftenmiffion
auch im Lande der aufgehenden Sonne Segen ftiften wird. Wir
follen weiter den Japanern das Chriftentum der Tat, der Liebe
bringen, wie fchon die Miffion der letzten Jahrzehnte es ihnen
zu bringen und vorzuleben beftrebt gewefen ift. Daß fie das
verliehen und würdigen werden, dafür ift dem Verf. z. B. die zu
Anfang des Schriftchens erzählte Gefchichte dreier japanifch-
buddhiftifcher Priefter Gewähr, von denen jeder zum Wohle
feiner Sekte eine große Tat zu vollbringen gelobte. Der eine
von ihnen, Tetfugen, widmete fein Leben der Aufgabe, die Mittel
zur Befchaffung der gewaltig umfangreichen Literatur feiner Religion
(1662 Werke in 6771 Bänden) zufammenzubringen, und er
führte durch, was er gelobt hatte.
Königsberg i/Pr. R. Otto Franke.

Anrieh, Guft.: Hagios Nikolaos. Der hl. Nikolaos in der griech.

Kirche. Texte u. Unterfuchgn. (In 2 Bdn.) I. Bd.: Die Texte.

Mit Unterftützg. der Cunitz-Stiftg. in Straßburg. (XVI, 464 S.)

gr. 8». Leipzig, B. G. Teubner 1913. M. 18 —; geb. M. 20 —
Bis die Acta Sanctorum der Bollandiften zum 6. Dez., dem
Tage des h. Nikolaus, gelangen, dürfte noch manche Zeit vergehen
; andrerfeits wurde das Bedürfnis nach einer kritifchen
Bearbeitung grade diefes Materials von vielen Seiten empfunden.
Ohne von einander zu wiffen hatten fich der Straßburger Kirchen-
hiftoriker G. Anrieh und ein in Konftantinopel wirkender Augufti-
nenpater L. Petit an die Aufgabe gemacht. Der Bollandift Hipp.
Delehaye vermittelte die Bekanntfchaft und in einem vorbildlich
zu nennenden gegenfeitigen Entgegenkommen wurde die drohende
Konkurrenz vermieden: P. Louis Petit trat fein Material an Anrieh
ab, fich die Bearbeitung des hymnologifchen Teils vorbehaltend.

Mit bewundernswerter Hingabe und Ausdauer hat Anrieh
die ihm nun allein angefallene Aufgabe durchgeführt. Der vorliegende
ftattliche Band I enthält auf grund eines koloffalen hand-
fchriftlichen Apparates 8 Viten, 5 Enkomien, 4 Wunder bez.
Wunderfammlungen, einen Translationstext, Synaxartexte und
Teftimonien, meift in mehreren Rezenfionen. Uber die Textbehandlung
fowie über die literarkritifche Beurteilung wird erft nach
Erfcheinen des II. Bandes mit den Prolegomena, der für 1914 in