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Ausgabe:

1913

Spalte:

816-818

Autor/Hrsg.:

Boehmer, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Jesuiten. Eine historische Skizze. 3., verm. u. verb. Aufl 1913

Rezensent:

Hoensbroech, Paul

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Lehre, wobei das Verhalten der Obrigkeiten zu den
namhaften proteftantifchen Minoritäten zur Erörterung j
kommt, womit auch (unorganifch) verbunden ift Einzelnes
aus dem analogen Verhalten des Proteftantismus.

Am wichtigften und das meifte Neue bietend ift der
vierte Abfchnitt: Humanismus, Reformation, Toleranz.
Er begründet die oben erwähnten Schlußergebniffe in
einer umüchtigen Erörterung des Verhältniffes von Erasmus
und Luther, einfchließlich des Verhaltens der anderen
katholifchen Vermittelungstheologen, fodann der namhaften
Beftreiter der proteftantifchen Ketzerbeftrafung
und zeigt das allmälige Zufammenwachfen des Toleranzgedankens
aus dem religiöfen Individualismus, dem anhebenden
Rationalismus, der freien wiffenfchaftlichen
Forfchung, dem Independentismus, d. h. dem Gedanken
der Freiheit der Religion vom Staatszwang, dem neuen
naturrechtlichen Staatsbegriff, fchließlich aus politifchem
Opportunismus. Ein fehr vollftändiges Literaturverzeichnis
macht den Schluß. Es fehlt darin die in den betreffenden
Artikeln unferer wiffenfchaftlichen Nachfchlagebücher
doch mehrfach erwähnte fehr inhaltreiche Studie von
F. Ruffini, La libertä religiosa I 1901, die den Stoff fehr
gefchickt hiftorifch gliedert, fo daß man fieht, wie neben
der Entwicklung der modernen Gedankenwelt es doch
fchließlich die politifchen Notwendigkeiten find, die allein
dem Toleranzprinzip zur dauernden Herrfchaft verhüllen
haben. Die Macht der Ideen allein ift nicht ftark genug,
um die Toleranz in Kraft zu erhalten, wohl aber ruiniert
offenfichtlich die religiöfe Intoleranz endlich einen jeden
Staat. Es ift fchließlich doch, wie der Papft Pius IX
richtig erkannt hat, der Rationalismus der Wiffenfchaft
und der Indifferentismus der Politiker, die die ,Toleranz'
unter uns allein aufrecht erhalten.

Bonn. K. Seil.

Kolb, Prälat Oberhofpred. D. Chr.: Die Gelchichte des
Gottesdienltes in der evangelilchen Kirche Württembergs.

(VII, 428 S.) gr. 8°. Stuttgart, Chr. Belfer 1913. M. 6 —

Eine Gefchichte des Gottesdienltes der ev. Kirche
Württembergs nach feinem ganzen Umfang und dem
Verlauf feiner Entwicklung hat bisher gefehlt. Und doch
reizt gerade feine Einfachheit und Armut an liturgifchen
Beftandteilen, die vielfach außerhalb Anftoß erregt und
Zweifel an dem auch von Kolb anerkannten lutherifchen
Charakter der Landeskirche hervorruft, zur Erforfchung
feines Urfprungs und feiner Ausgeftaltung im Wandel
der Zeit, wobei fich ein überrafchender Reichtum offenbart
. Wohl hat es an Vorarbeiten nicht gefehlt, unter
welchen A. Haubers Recht und Brauch der evangelifchen
Kirche Württembergs obenanfteht, aber noch niemand hat
die Quellen in fo umfaffendem Maß herangezogen und
ausgefchöpft, als Kolb, der die Akten des Konfiftoriums,
Sitzungsprotokolle, Synodalprotokolle, Erlaffe, Pfarrberichte
, Geh. Ratsakten, felbft einzelne Stücke aus Pfarr-
regiftraturen verwenden konnte und dabei eine ungewöhnliche
Kenntnis der einfchlägigen Literatur und der
heimifchen Kirchengefchichte befitzt, wie feine fchöne
Darftellung des 19. Jahrhundert in der Calwer KG.
(1893), feine Anfänge des Pietismus in W. (1902) und feine
Aufklärung in W. (1908) beweifen. Dabei fteht ihm die
Gabe klaren bündigen Stils und ein nüchternes billiges
Urteil zur Verfügung.

Im erftenTeil gibt er die gottesdienftlichen Ordnungen
und Verordnungen, in denen fich zugleich ein gutes Stück
Kirchengefchichte wiederfpiegelt, wie die Schwierigkeit
der zwiefpältigen Reformation durch Schnepf und Blarer
und der Mangel an bodenftändigem evangelifchen ministe-
rium ecclesiae, das vielfach aus fremden, aber auch aus
eben erft übergetretenen Elementen gebildet werden mußte
und daher zu großer Einfachheit nötigte, dann der ftarke
Einfluß von Brenz in der K. O. 1553 (1559), der Niedergang
im dreißigjährigen Krieg, der Mangel an Kirchenbüchern
und geeigneten Kirchendienern, der von außen
her gedeckt werden mußte, daher die Notwendigkeit der
Cynofura I. V. Andreäs und der Zeremonienordnung von
1668, die Einwirkungen des Pietismus, des fürftlichen
Despotismus, wahrfcheinlich der mecklenburgifchen Maitreffe
von Grävenitz (Altargottesdienft) und der Aufklärung
und endlich deren Uberwindung durch das neue Kirchenbuch
1842. Den Schluß diefes Teils bildet die Bindung
der min. eccl. an die gottesdienftlichen Ordnungen. Letztere
behandelt der zweite Teil, der erft den Wortgottesdienft
S. 30—248, dann die liturgifchen Handlungen S. 249—405
behandelt und im Anhang noch einiges über den äußern
Verlauf des Gottesdienftes (Zeit, Ruhe, Pflicht des Befuchs,
Verhalten der Gemeinde), Kirchenopfer und Kirchengewänder
gibt. Jedes einzelne Stück bildet eine abgerundete,
gründliche Studie, z. B. über Kirchengefang und -Mufik
S. 46, über die Predigt, den Katechismusgottesdienft, die
Konfirmation, die Beichte im Predigtgottesdienft und vor
dem Abendmahl. Die Vertreter der praktifchen Theologie
werden das Buch als eine wahre Fundgrube begrüßen,
wie die Männer im praktifchen Amt.

Fein find die Predigtanweifungen eines Lukas Ofiander und fehön
die des Konfiftoriums: nervöse, solide, perspicue. Sehr willkommen lind
die Hinweife auf die Schriften der Landpfairer Melch. Sylv. Eckardt und
A. Hartmann und auf den trefflichen Prälaten Hochftetter. Die Erregung
über die ftandesamtliche Ehefchlieflung 1875 wäre erfpart geblieben, hätte
man die kirchliche Trauung im Licht der K. O. betrachtet. Das ,ftille
Gebet' kennt auch Calvör in Claustal. Ift es durch J. Andrea und die
nach Braunfchweig verpflanzten Schwaben dorthin gekommen? Zu beachten
ift S. 389 die Berichtigung zu Th. RE. 63, 472. Sölder S. 110
war nicht Sekretär der Jefuiten, fondern des katholifcheu Statthalters.
W.Vierteljahrsh. 1912, 82, 83. S. 368 Z. S ift wohl rauchend ftatt
raufend zu lefeu. S. 74 Organift war in Nabern bis c. 1850 ein Bauer.
S. 388 Anm. 4 ift die Antrittspredigt in Wirklichkeit eine Probepredigt.
Schade, dall Kolb nicht auch den Titel ,Geiftliche' in der Sprache der
evgl. K. W.s unterfucht nach Alter und Berechtigung, wie den Titel
Diakonus, Helfer. Ob die Frage Kolbs S. 78 endlich ein Echo weckt:
,Wer fchreibt die Gefchichte der Mufik im Stift oder noch beffer des
Stifts überhaupt?'.

Stuttgart. G. Boffert.

Boehmer, Prof. H.: Die jefuiten. Eine hiftor. Skizze
3., verm. u. verb. Aufl. (Aus Natur u. Geifteswelt. 49.)
(VI, 174 S.) 8°. Leipzig, B. G. Teubner 1913.

M. 1 —; geb. M. 1.25

Die Schrift muß abgelehnt werden. Es tritt nämlich
in ihr große Unvertrautheit mit den Quellen hervor und
zwar befonders mit der Hauptquelle über den Jefuiten-
orden, den in mehreren Ausgaben (die letzte aus dem
Jahre 1893) gedruckt vorliegenden Ordensfatzungen (In-
stitutum Societatis Iesu). Was z. B. auf S. 38—41 über
wichtigfte Punkte des inneren Aufbaues desjefuitenordens
fcheinbar aus den Ordensfatzungen mitgeteilt wird, ift
eine einzige große Irr- und Wirrniß, die gar nicht hätte
vorkommen können (daß fie nicht vorkommen durfte,
braucht nicht gefagt zu werden), wenn der Verfaffer die
betreffenden Stellen der Konftitutionen forgfältig gelefen
hätte. Dies Urteil ift zu beweifen:

Verfaffer fchreibt; ,Verrät er [der Jefuiteunovize] keinerlei wiffen-
fchaftliche Begabung, fo wird er nach Ablauf des i. Dienft- (Noviziats-)
jahres weltlicher Koadjutor, d. h. er tritt dem Orden gewiffermaßen als
Laieubruder bei' (S. 38p Falfch! Nach den Ordensfatzungen wird der
Jefuit .Koadjutor' erft nach vielen jähren durch Ablegung der .letzten"
(aber nicht .feierlichen') Gelübde (Institut. Societ. Iesu, Examen gen. und
p. 5.I. Verfaffer fchreibt: .Dazu [Ausübung der priefterlichen Funktionen]
erhält er erft nach Jahresfrift [vom Empfang der Prieflerweihe an gerechnet
] die Erlaubnis, nachdem er durch Ablegung der 3 Mönchsgelübde,
der Armut, Keufchheit und des Gehorfams eingetreten ift in die Klaffe
der geiftlicheu Koadjutoren' (S. 39). Falfch! Nach den Ordensfatzungen
legt der Jefuit ,die drei Mönchsgelübde, der Armut, Keufchheit und des
Gehorfams nicht erft ,nach Jahresfrift nach Empfang der Prieflerweihe'
ab, foudern unmittelbar nach Vollendung feines 2. Noviziatsjahres. Die
Priefterweihe erhält er aber gewöhnlich erft zwifcheu dem 10. u. 14. Jahre
feines Ordenslebens. Ferner: ,Geiftlicher Koadjutor' wird der Jefuit
nicht durch Ablegung der 3 Mönchsgelübde, die er, wie gefagt, fchou
nach dem 2. Noviziatsjahr ablegt, und wodurch er .Scholaftiker' wird,
fondern ,Geiftlicher Koadjutor' wird er erft nach langen Jahren durch
Wiederholung diefer Gelübde in Form der .letzten' (aber nicht .feierlichen
') Gelübde. Auch bilden die ,geiftlicheu Koadjutoren' nicht eine