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Ausgabe:

1913

Spalte:

806-807

Autor/Hrsg.:

Lütgert, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Amt und Geist im Kampf. Studien zur Geschichte des Urchristentums 1913

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 26.

806

noch früher entftanden fein, ift aber wohl nicht fchon im
4. Jahrhundert, fondern eher nach 500 aus dem Griechi-
fchen überfetzt. Der Überfetzer war ein in Ägypten
wohnender Syrer.

Den klaren und überfichtlichen, mit philologifcher
Sauberkeit und befonnenem Urteil geführten Unter-
fuchungen des Verfaffers bin ich mit ungetrübter Freude
gefolgt. Nur in einem Punkte vermag ich mir fein Urteil
noch nicht unbedingt anzueignen, nämlich darin, daß der
Altäthiope K näher ftehen foll wie B, wenn ich auch
zugebe, daß diefes Urteil für den Jeremiastext einige
Wahrfcheinlichkeit hat. Ein hinreichend gefichertes
Refultat kann m. E. nur eine genaue, zahlenmäßige
Statiftik, die fich über mehr als ein biblifches Buch
erftreckt, fchaffen. Aber ob nun B oder X, jedenfalls
ift der von beiden vertretene Texttypus und nicht Lukian
wieder einmal für ein biblifches Buch als Grundlage der
altäthiopifchen Bibelüberfetzung in folidefter Weife er-
wiefen worden. Und diefes Refultat fügt fich harmonifch
dem von Rahlfs und auch von mir Beobachteten an.

Wie der Verfaffer verrät, bereitet er eine Ausgabe
des äthiopifchen Jeremias vor, die in der Patrologia
orientalis von Graffin und Nau erfcheinen foll. Eine
folche liegt bei dem Verfaffer in den denkbar geeignet-
ften Händen.

Der Verfaffer, römifcher Priefter, hat von feiner
bifchöflichen Behörde zu feinen wiffenfchaftlichen Studien
Urlaub erhalten und über dies hinaus ihre Hilfe erfahren.
Daß diefe Behörde fo weiten Blick hat, befähigten Geiftern
Spielraum und Hilfe zu wertvoller wiffenfchaftlicher Produktion
zu gewähren, kann ihr und der Kirche, welcher
fie dient, nur zur Ehre gereichen.

Daffenfen, Kr. Einbeck. Hugo Duenfing.

Volz, D. Paul: Der Geilt Gottes und die verwandten Er-
Icheinungen im Alten Teltament und im anlchliefienden
Judentum. (XII, 217 S.) gr. 8°. Tübingen, J.C.B.Mohr
1910. M. 6 —

Die Schrift, deren Anzeige leider länger, als ich es
gewünfcht hätte, verfpätet worden ift, fetzt meine und
Weineis Forfchungen über den heil. Geift fort, unter-
fcheidet fich aber von diefen dadurch, daß fie nicht fo-
wohl die ,Wirkungen des heil. Geiftes' anfchaulich be-
fchreiben, fondern mehr die Vorftellungen vom Geifte
Gottes, in denen diefe Erfahrungen ausgefprochen
werden, darfteilen will. Kein Sachkundiger wird leugnen,
daß eine folche Aufgabe wirklich befteht und einer wiffenfchaftlichen
Behandlung würdig war. Auch bringt der
Verf. eine Fülle von Eigenfchaften mit, die ihn wohl befähigen
, mit diefem fchwierigen Problem zu ringen. In
lebendigen Darftellungen, die zu dem Beften gehören,
was hierüber überhaupt gefchrieben worden ift, und die
meine Ausführungen darüber jedenfalls bei weitem übertreffen
, zeigt er, wie ihm die pneumatifchen Erlebniffe im
Innern gegenwärtig find. Eine umfaffende Gelehrfamkeit
befähigt ihn, das Ganze der in Betracht kommenden
Literatur und ihre Grenzgebiete zu überfchauen. Mit den
bereits vorliegenden Schriften über den gleichen Gegen-
ftand fetzt er fich in anerkennenswerter Befonnenheit und
Bedächtigkeit auseinander. Nicht feiten finden fich bei
ihm pfychologifche Einfichten und gefchichtliche Erkennt-
niffe, die von großer Vorurteilslofigkeit zeugen und wahrlich
nicht am Wege liegen. Ob feine Teilung des Ganzen —
es ift die in der ,Biblifchen Theologie' gegenwärtig herkömmliche
in vor- und nachexilifche Zeit — der Erkenntnis
dient, mag man fragen: es wird dadurch der
Übelltand bewirkt, daß in der zweiten Periode fehr ver-
fchiedenartige Dinge nebeneinander geraten, fo daß zuweilen
eine Hiobftelle neben ein Wort vonHillel undjef. 11
neben die Pfalmen Salomos zu ftehen kommt. Die außerordentliche
Schwierigkeit des Wortes ,Ruach', das in fo
mancherlei und noch dazu ineinander übergehenden Bedeutungen
gebraucht wird, bewirkt es, daß manche Exe-
geten vielleicht an nicht wenigen Stellen anderer Meinung
I fein werden. Das alte Israel ift wenig zur Reflexion be-
j gabt, und die genauenUnterfcheidungen, die wir machen und
i machen müffen, vermögen es nicht recht, den fchillernden
Sprachgebrauch des Alten Teftamentes zu erfaffen. Auf
jeden Fall aber wird dies Buch fchon wegen feines um-
faffenden Materials von niemanden ohne Nutzen gelefen
j werden und ficherlich in derGefchichte derRuach-Forfchung
I einen ehrenvollen Platz behaupten.

Gießen. Hermann Gunkel.

Lütgert, Prof. D. Wilh.: Amt und Geilt im Kampf. Studien
zur Gefchichte des Urchriftentums. (Beiträge zur Förderung
chriftl. Theologie. XV. Jahrg. 1911, 4. u. 5. Heft.)
(164 S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1911. M. 3 —

Die Unterfuchungen Lütgerts über die Ketzerge-
fchichte des Urchriftentums werden im vorliegenden
Doppelhefte der B. f. ehr. Th. um drei Abhandlungen
vermehrt, die die Frage nach der Art der in den Joh.-
briefen, im I. Clem. und in den Ign.-briefen bekämpften
Härefe behandeln. Überall fleht L. die große ketzerifche
Trennungs- und Aufftandsbewegung libertiniftifcher Gnofis,
die er in 1. und 2. Kor., in den Paft., in Phil, und 1.
und 2. Theff. bereits nachgewiefen haben will, vgl. die
Befprechungen feiner vorangegangenen Unterfuchungen,
die auch in den B. f. ehr. Th. erfchienen find, Th. L. Z.
34, i66ff; 35, 70fr.

Ich beginne mit dem erften und dem dritten Stücke
des vorliegenden Heftes, das von der Ketzerbeftreitung
der Joh.-Briefe und der Ignatianen handelt. Wenn L.
in diefen beiden Briefgruppen Gnoftiker bekämpft findet,
fo kann er dabei von vornherein auf grundfätzliche und
weitgehende Zuftimmung rechnen. Der Widerfpruch wird
fich nur gegen einzelne Näherbeftimmungen des Wefens
der Irrlehrer richten. Pneumatiker find es in I. Job.., das
ift klar, fie haben fich von der Gemeinde getrennt, fie halten
fich für fündlos und für Gotteskinder, fie haben eine
eigene Chriftologie. Welcher Art ift diefe aber, das ift
| die fehr umftrittene Frage. L. findet: Die Gegner fehen
' Jefus Chriftus nur als eine Erfcheinung Gottes an, leugnen
[ fein Fleifch und feinen Tod, feine Auferftehung und
j Wiederkunft, alfo überhaupt feine Meffianität. Daß die
fchwer deutbaren chriftologifchen Auslagen des I. Joh.
keineswegs mit Notwendigkeit eine eigentlich doketifche
Anfchauung nahelegen, ift bekannt. L. felber führt diefe
Deutung nicht folgerecht durch, wenn er S. 14 fagt:
Die Anerkennung der Taufe (durch die Irrlehrer) mag
damit zufammenhängen, daß durch fie Jefus den Geilt
erhalten hat. Was foll das heißen, daß das doketifche
Phantom, die Erfcheinung Gottes, den Geift in der Taufe
bekommt? Wie kann man jenen Gnoftikern folchen
Widerfinn zutrauen? Nach meiner Meinung erledigen
fich auch jetzt noch die Andeutungen des Briefes am
beften, wenn man bei den Gegnern eine Chriftologie im
Sinne Kerinths etwa — zeitweife Vereinigung des oberen
Chriftus mit dem Menfchen Jefus — annimmt. — Der
zweite Punkt, in dem ich L. nicht zuftimmen kann, ift
der, daß er Libertinismus bei den Gegnern feftftellen
will. Wo in den altchriftlichen Schriften Libertinismus
angegriffen wird, der fich vor allem in gefchlechtlichen
Vergehungen, dann im Opferfleifcheffen und im Verkehr
mit den Heiden zeigt, da gefchieht es mit klaren, deutlichen
Worten, vgl. Apok. 2f, Jud., II. Petr. Es war
I doch ein fo eindrucksvolles Beweisftück gegen die Ketzer,
! wenn man auf ihren heillofen Wandel hinweifen konnte.
[ Der Kampf aber, den I. Joh. gegen feine Gegner führt,
I erfchöpft fich in der Hauptfache darin, daß den hochmütigen
Pneumatikern Mangel an Bruderliebe vorgeworfen
wird. Aber gerne erkenne ich an, daß L. in der immer-
1 hin zu erwägenden Frage, ob in I. Joh. libertiniftifche