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Ausgabe:

1913 Nr. 25

Spalte:

778-779

Autor/Hrsg.:

Vacandard, Elphegius

Titel/Untertitel:

Études de critique et d‘histoire religieuse. III. Série 1913

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 25.

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fcheidet unter folchen Sprüchen folgende Gruppen: Ex- j aus feiner metaphyfifchen Zeit heraus', und wer meint,
treme (z. B. die Aufforderung, das Auge auszureißen), j daß Jefus, in jüdifchen Termini zu jiidifchen Menfchen
Paradoxien (liebet eure Feinde), Widerfprüche (die Ver- , redend, auch jüdifche Vorftellungen gemeint habe, ift ein
Wendung fittlich minderwertiger Perfonen wie des un- I — Philifter. Hier hat W. denn doch, in der Abficht,
gerechten Haushalteis in den Gleichniffen) und kritifche möglichft fchnell zu einer Verwertung des Gefchehenen
Zitate (Verwendung jüdifcher Sprüche unter Veränderung zu kommen, den Boden der Gefchichte völlig verlaffen
ihres Inhalts). Daß folche Worte für Jefu Predigtart und j — nicht etwa, wie er von fich felber ausfagt, auf der

Wirkungsweife ungemein charakteriftifch find und daß
ein formgefchichtlich begründetes Verftändnis diefer
Worte nicht nur die Form erkennen, fondern auch den
Inhalt verftehen lehrt — diefe beiden von W. kräftig be

Hiftorie ein .idealiftifches Syftem' errichtet.

Das Buch ift übrigens von einer bemerkenswerten
Redfeligkeit. Immer wieder eine Abfchweifung, eine
Anekdote, ein Bild, ein Vergleich (,wie Schopenhauer

tonten Erkenntniffe find nicht neu, können aber gar nicht j Kant fortgefetzt hat, fo hat Paulus Jefus fortgefetzt')!
oft genug vorgetragen werden. Aber erftlich durfte diefe ! Selbft wenn man W.'s Beftreben, feinem Worte das bisher

Art der Rede Jefu nicht Symbolik genannt werden, denn
diefer Name erweckt den falfchen Anfchein, als ob es
fich in den fraglichen Sprüchen immer um Allegorien

verfagte Gehör zu verschaffen, als mildernden Umftand in
Anrechnung bringt, felbft dann wird man wünfchen, daß
ein Autor, der von der Prägnanz der Spruchform vieles

handelte, die der Übertragung bedürften, während viele | Zutreffende zu fagen weiß, nicht durch formale Läffigkeit
unter jenen Worten lediglich mit den Mitteln der Über- | die Wirkung feines Buches beeinträchtigt hätte,
treibung, der Zufpitzung oder der Umnüancierung des Berlin. Martin Dibelius

Hergebrachten arbeiten. Zum zweiten hätte der Verf. j _ '

es nicht nötig gehabt, feine Auffaffung der Worte Jefu _ .

übervorfichtig als eine auszuprobierende Hypothefe hin- ; vacandard, E.: Etudes de cntique et d'histoire religieuse,

zuftellen, den Verfuch einer wiffenfchaftlichen Ausarbeitung
diefer Hypothefe aber zu unterlaffen. An Einfällen
ift die Leben-Jefu-Literatur wahrhaftig reich genug, und
wer nicht unterfuchen will, foll auf diefem Gebiet auch
die Einfälle zurückhalten. Die ,Hypothefe' W.'s läßt fich
zur Thefe ausgeftalten: denn Jefus hat in Spruchform
geredet, und diefe Form ift dem Orient auch fonft zur
Übermittlung von Lebenslehren geläufig. Wer fich auf
diefem Gebiet ein wenig umfieht, wird auch die Zu

III. Serie: Les fetes de Noel et de l'Epiphanie, les
origines du culte des Saints (les Saints sont-ils les
successeurs des dieuxr), les origines de la fete et du
dogme de l'Immaculee Conception, la Question du
meurtre rituel chez les Juifs. (III, 379 S.) 8°. Paris, V.
Lecoffre 1912. fr. 3.50

Unter diefem hochmodernen Titel bietet uns der ftreng-
katholifche Verfaffer eine Reihe von Unterfuchungen

lpitzung der Sprüche Jefu — das was W Symbolik j wefentlich zum Kultus der alten Kirche. In feinen Unternennt
— beffer würdigen. Man konnte vielleicht von fuchungen über die Entftehung des Weihnachtsfeftes folgt
einem änigmatifchen Charakter und einem mnemo- ! er im wefentlichen Ufener und andrerfeit den Korrekturen,

technifchen Zweck folcher Zufpitzung reden. Von
einem änigmatifchen Charakter — denn der Orientale
liebt es, eine Wahrheit aus rätfelartiger Umhüllung her-
vorzufuchen; und Jefu Paradoxien find oft folche zum
Suchen reizende Umhüllungen. Und der mnemotechnifche

die Duchesne an Ufeners epochemachenden Unterfuchungen
angebracht hat. Die Anfprache des Liberius an
die ältere Schwerter des Ambrofius, die uns der letztere
in feiner Schrift de virginibus überliefert hat, und die am
Geburtsfeft Chrifti ftattgefunden, verlegte Ufener auf den

Zweck: auch zur Zeit Jefu dachte das Volk wie der Hof- 6. Januar (früheftens 353). Da nun der'Chronograph vom
bauer in Immermanns Munchhaufen: ,es laßt fich viel mit | Jahre 3S4vdas Geburtsfeft Chrifti bereits auf den 25. De-

dem Menfchen ausrichten, wenn man ihm die Moral bei
bringt. Die Moral fteckt aber in kurzen Sprüchen beffer
als in langen Reden und Predigten'. Wäre W. auf diefe

zember anfetzt, fo glaubte U. demgemäß das Datum für
diefe Einführung ziemlich genau angeben zu können. Nun
hat D., dem Vacandard folgt, nachzuweifen verfucht (wie

Eigenart der Spruchform überhaupt näher eingegangen, l mjr fcheint nicht mit ftjchhaltigen Gründen), daß ene

hätte er fich nicht auf die Heranziehung von ein paar
Talmudftellen befchränkt, hätte er überhaupt feinen Bei
trag zur Gefchichte und Eigenart der Spruchform forg-
fältiger — z. B. ohne S. 19 I. Joh. 4,8 als Jefuswort zu
zitieren — ausgebaut, fo würde er mehr Dank ernten,
mehr Dank auch von der .liberalen Theologie', als deren

Weiherede des Liberius fchon den 25. Dez. als Geburtsfeft
des Herrn vorausfetze und daß überdies der Chronograph
vom J. 354 eine ,depositio episcoporum' enthalte, eine
Lifte, die nach dem Kalender geordnet fchon mit dem
Weihnachtsfeft beginnt. Mit Duchesne hat fich Ufener
in feinem Auffatz Sol invictus (Rhein. Mufeum) auseinander-

Schüler er fich bekennt, die er aber fortwahrend im Ton gefetzt (aufgenommen in der zweiten von Lietzmann
von Gal. 3, ia apoftrophiert. . '.„>,. ; beforgten Ausgabe feines .Weihnachtsfeft' Bonn 1911, f
Dann freilich wäre die Arbeit W.s innerhalb der | dort § $ff^ ufener gibt Duchesne in der Beurteilung
Grenzen einer forrngefchichtlichen Unterluchung geblie- i der Depositio episcoporum recht, glaubt aber, daß weder
ben - und der Verf will höhere Ziele erreichen Will , das Kalender-Zeugnis aus dem Jahr 336, noch das aus
uns zu einem neuen Verftandius Jeiu fuhren. Daß der j dem Jahr 354 genüge, die praktifche Begehung des Weih-
Geift Jefu in den fog harten Reden' fpurbar wird, daß j nachtsfeftes in Ronl zu eAveifen, und datiert dabei jetzt
die originale Art Jefu bei folchem Erfafien feines Geiftes j auf Gnmd dnes VQn Conybeare ans Licht gezognen
beffer erkannt wird als bei der Exegefe eines einzelnen ; armenifchen Zeugniffes die Einführung des Weihnachts-
Wortes und bei der Untersuchung'eines von ihm rezi- feftes in Rom zwfi-chen 3S4 (Weiherede des Liberius) und
pierten Terminus - in a ledern ftimme ich dem Verf. ; ^ {letztem Jahr des Kaifers Konftantius). Das alles
rückhaltlos zu; ich perfonhch wurde als den, der folch 1 fcheint Vacandard entgangen zu fein,
lebendiges Erfafien Jefu unferer Zeit am eindrucksvollften Es fo] Aufratzebüber die Urfprünge des Märtvrer
zur-Aufgabe macht, Johannes Muller nennen, hin grober und Heili|en-Kultus, Reliquienkults, Kult der he Ii-en
Mißbrauch des alfo gewonnenen Verftandniffes aber ift J f kartyrologien, Heidnifche ÜberbleibfeHsurvi-
es wenn W., was er an den Extremen und Paradoxien vances) VQn HeiligenLlt, Bilderkult. Es ift ein reichliches
Jefu gelernt hat-alfo an einigen feiner Redeformen- , und inftruktives Material, das der belefene VeS££
ohne weiteres auf alle Vorftellungen ubertragt. ,Mef- > vor uns ausbreitet CI,C venaller n,er

fias heißt bei ihm nicht Meffias im real-wirklichen Sinne', ______

fondern Meffias in der Idee' .Wiederkunft' ift .ein Bild' ' ... ,ym >ntereiranteftenift die naive katholifche Beurteilung, die fich
man Jefus nur recht als Symbollker faßt, 10 ,ragt er ganz J Ahnen-und Manen-Verehrung des Heidentums auch nur vergleicht. Denn