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Ausgabe:

1913 Nr. 2

Spalte:

54-55

Autor/Hrsg.:

Saitschick, Robert

Titel/Untertitel:

Wirklichkeit und Vollendung. Gedanken zur Menschenkenntnis und Lebensweisheit 1913

Rezensent:

Steinmann, Theophil

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 2.

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werden der immanenten Gottesgedanken', nicht jedoch in
Form von Subftanzialität, da die gefchaffene Welt der
göttlichen Kaufalität unterfteht. Während Materialismus
und Idealismus abgewiefen werden, wird im übrigen mit
Recht viel Freiheit gewährt: mechaniftifche wie vitaliftifche
Deutung der Lebensfunktionen läßt fich der chriftlichen
Weltanfchauung einfügen; grundfätzlich gleichgültig ift,
wie das rein phyfifche Gefchehen in den pfychophyfifchen
Zufammenhängen abgegrenzt wird. Den Entwicklungsgedanken
und feinen Einfluß auf den Schöpfungsbegriff
erkennt E. an und ftimmt meinen diesbezüglichen Ausführungen
im wefentlichen zu. Indeffen will es mir auch
nach E.s Anmerkungen noch nicht konfequent erfcheinen,
wenn der chriftliche Begriff vom ftetig wirkenden Gott
die entwicklungsgefchichtliche Betrachtung auch der An-
thropogonie nicht zu feiner Folge foll haben rnüffen.

Wien. Beth.

Stern, Dr. M. L.: Moniltilche Ethik. Gefetze der Phyflk u.
Ethik, abgeleitet aus den Grundprinzipien der Deszendenztheorie
. Hrsg. v. Dr. Vikt. Stern. (VIII, 246 u.
II S. m. 1 färb. Taf.) gr. 8°. Leipzig, J. A. Barth 1911.

M. 6.30

In einem kurzen Geleitwort rühmt der Herausgeber
dem Buche nach, daß es eine befriedigende Antwort erteile
auf die von der Wiffenfchaft und Philofophie nur zu oft
vernachläffigten Fragen: .Welchen Sinn hat mein Leben,

welchen Sinn und Wert kann es haben? wozu dient all erwägt der Lefer: wie kann nur ein Mann von der Denk-

vom Wunder: .Auch Wunder, freilich nicht übernatürliche
oder gar widernatürliche, aber unerwartete oder unberechenbare
Erfcheinungen fchließt der Monismus nicht
aus'. Auch für den Glauben an eine perfönliche Unfterb-
lichkeit, wenigftens in gewiffem Sinne, wird eine Lanze
gebrochen.

Alles in allem trägt die dargebotene Ethik vielfach
durchaus chriftliches Gepräge. Der Monismus, der fleh
da ausfpricht, ift ein ungewöhnlich duldfamer, eine liebenswürdige
, fympathifche Erfcheinung. Freilich fragt fleh,
inwieweit die praktifchen Konfequenzen, zu denen der
Autor gelangt, fleh notwendig und folgerichtig aus feinen
theoretifchen Vorausfetzungen ergeben. Hätte er einer
andern Einflußfphäre unterftanden als derjenigen, die auf
ihn eingewirkt hat, etwa einer buddhiftifchen, er wäre
vermutlich bei ganz andere Refultaten ausgemündet. In
der Tat ift die ganze Konftruktion und Ableitung feiner
Ethik oft genug inkohärent, fprunghaft, anfechtbar. Es
fehlt nicht an Widersprüchen. So kann beifpielsweife
Gott von dem Augenblick an, wo er über Subjekt und
Objekt geflieht wird, nicht mehr gut als Gegenftand des
Wiffens aufgefaßt werden; denn jeder Gegenftand des
Wiffens ift .Objekt'. Wie kann anderfeits bei dem Gottesbegriff
des Verfaffers von einer .Beftimmung' des Men-
fchen die Rede fein? Vieles andere fei übergangen! Denn
auf die Einzelheiten kommt wenig an. Das Intereffantefte
an dem Buch ift doch, daß es deutlich zur Anfchauung
bringt, was alles heute unter der Flagge des Monismus
fegelt, welch ernfte religiöfe und fittliche Beftrebungen
unter Umftänden dahinter fleh verbergen. Unwillkürlich

mein Verlangen und Kämpfen, da doch der Tod, die I weife des Autors zu fo fchroffer Ablehnung aller kirch-
Vernichtung, die unendliche Leere, das letzte und einzige '. liehen Religiofltät kommen? wer ift daran fchuld? der
Ziel ift, das ich erreiche?' Aus dem Titel allein fchon ! einzelne? die öffentliche Meinung? der Religionsunter-
geht anderfeits hervor, daß die Aufgabe gelöft werden ; rieht der Schulen? die Kirchen? Die Frage will für keinen
foll durch die wiffenfehaftliche Darftellung und Begrün- Teil ein Vorwurf fein. Vielleicht bedeutet fle eine Mah-
dung einer ,moniftifchen Ethik'. nung für jeden.

,. Vier Kapitel im ganzen In dem erften, das über Straßburg i. E. E. W. Mayer,

die .Entwicklungsgefchichte des ethifchen Subjekts' Auskunft
geben will, wird, fo zu fagen, das metaphyfifche 1

Fundament gelegt. Im Gegenfatz zu Häckels Lehren Saitfchick, Rob.: Wirklichkeit u. Vollendung. Gedanken
Vir^ feftgeftellt, daß das Urprinzip der Welt nicht der zur Menfchenkenntnis und Lebenswahrheit. (VIII, 534S.)
tfc^ SÄJL**"ff* Ä°i.la?S 1C 8°- Berlin, E. Hofmann & Co. 1911.

der Geift hervorgegangen ift. Vielmehr fei als folches
Urprinzip die ,reine, beftimmungslofe Exiftenz' zu nennen,
ein .zugleich ex- und immundaner Gott', aus dem fich
erft Subjekt und Objekt, Geift und Stoff und, wie alles
andere, fo auch das ethifche Subjekt herausdifferenziert
haben. Ein zweites Kapitel geht von den Tatfachen der
.Vererbung und Anpaffung' aus, um zu folgender, bekanntlich
nicht ganz neuer, Formulierung des .ethifchen Grund-
gefetzes' zu gelangen: .Handle Deinem Wollen gemäß,
welches Geiftesinhalt, Entwicklung der Perfönlichkeit begehrt
'. Der eudämoniftifche Charakter diefes .ethifchen
Grundgefetzes' wird nicht geleugnet. Ein drittes Kapitel
will unter der Überfchrift ,Der Kampf ums Dafein' die

M. 7.50; geb. M. 9 —; in Ldr. M. 10 —

Keine zufammenhängende Darlegung, fondern ge-
fammelte Gedanken: fchon in diefer Äußerlichkeit fcheint
fich der Anti-intellektualismus des den .Schriftgelehrten'
fehr abgünftigen Verfaffers zu verraten. Aphorismen
find es nicht, oder doch wenigftens zumeift nicht; an der
gefchliffenen Zufpitzung der Form ift S. nicht gelegen.
Auf den Inhalt kommt es ihm an, was freilich nicht
hindert, daß doch einzelne bloße bons mots mit untergelaufen
find, deren Fehlen dem Ganzen nichts fchaden
würde. Auch kann ich nicht finden, daß wirklich all
diefe Gedanken den Tiefgang haben, der zum Weiter-

.angewandte Ethik' entwickeln, während das vierte, gleich- : finnen veranlaßt. Dazu kommen fehr häufige Wieder

falls unter befremdender Überfchrift (.Selektion'!), fich
fpeziell mit den .fozialen und politifchen Staatsgebilden'
(sie!) befchäftigt. In diefen beiden letzten Abfchnitten
kommen zahlreiche Einzelprobleme zur Sprache: fo etwa
die Mannigfaltigkeit der Pflichtenkreife, deren Verhältnis
zu einander fogar durch eine graphifche Darfteilung veranschaulicht
wird; das eheliche Leben; die Stellung zu
den politifchen Parteien; die Beziehungen der Kunft zur
Ethik; der Selbftmord, das Duell, die Todesftrafe, der
Krieg. Der Keufchheit wird ein hoher Wert beigelegt.
Das Gebot der Nächftenliebe erhält eine alles überragende
Bedeutung. Ausführlich ift die Rede von der Gottes-
vorftellung, von der Religion. Desgleichen vom Gebet:

holungen desfelben oder doch eines fehr ähnlichen Gedankens
mit fehr leifer Abfchattierung. Durch eine ftarke
Kürzung des Umfanges würde das Ganze an Gefchloffen-
heit der Wirkung gewinnen. Doch ift der Verfaffer für
diefen Gedanken vielleicht ganz unempfänglich. Nicht
nur, weil diefe Gefchloffenheit ja gerade nicht in feiner
Abficht lag — es ift ein intellektualiftifches Ideal —;
fondern auch darum, weil er ja gar nicht .wirken' will,
fondern nur Gedanken zur Menfchenkenntnis und Lebenswahrheit
aussprechen, ihnen und ihren Lefern überlaffend,
was bei jedem einzelnen persönlich daraus wird, er felbft
jedenfalls vermeidend, .aufdringlich' zu fein.

Gedanken zur wirklichen Menfchenkenntnis und

'?aK ^eten- auch das innigfte und andächtigfte ift in Lebenswahrheit will S. geben, Menfchen und Leben fo
Anbetracht unferes Exiftenzgottes durchaus nicht fo un- fehen lehren, wie fie wirklich find. Das eben ift es, was
finnig wie heilfam. Es wird in der Tat erhört'. Ebenfo 1 allerlei moderner Wiffenfchaft, Kunft und Lebens-