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Ausgabe:

1913 Nr. 24

Spalte:

753-754

Autor/Hrsg.:

Seeholzer, H.

Titel/Untertitel:

Staat u. römisch-katholische Kirche in den paritätischen Kantonen der Schweiz 1913

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 24.

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ericheinen. Er ift freilich überzeugt von der ungewöhnlichen
Oberflächlichkeit und von der ihresgleichen
fuchenden Haltlofigkeit der Forfchung Denifles. Aber
um das zum Ausdruck zu bringen, waren perfönliche
Apoftrophen nicht nötig. Hoffentlich werden die guten
Beobachtungen, die Müller gemacht hat, nicht durch die
ungewöhnliche Form der Polemik und die ftarken Mängel
in Beweisführung und hiftorifcher Anfchauung unwirkfam
gemacht.

Tübingen. Otto Scheel.

Borrmann, Pfr. A.: Ermland und die Reformation. (1523
— 1772). Schriften der Synodalkommiffion f. oftpreuß.
Kirchengefchichte 14.) (VII, 135 S.) gr. 8°. Königsberg
i. Pr, Ferd. Beyer 1912. M. 2.75

Während über die Reformation im Herzogtum Preußen
verfchiedene recht gute Arbeiten aus alter und neuer Zeit
mit den eingehendften Nachrichten vorliegen, find wir
über den Gang der reformatorifchen Bewegung in den
Nachbarländern, wo fie alsbald unterdrückt wurde, nur
mangelhaft unterrichtet. Für das Ermland waren wir noch
immer auf das angewiefen, was einft der Thorner Profeffor
Hartknoch 1686 in feiner großen preußifchen Kirchen-
hiftorie auch über diefen Teil Altpreußens geboten hat.
Diefem Mangel fucht B. abzuhelfen. Mit Benutzung Hart-
knochs und unter Heranziehung neuerer Veröffentlichungen
zeichnet er die Stellung des Bistums Ermland zur Reformation
, d. h. er berichtet über ihre Unterdrückung im
Bistum. Erft Friedrich der Große gab hier 1772 den
Evangelifchen, die heut im Gebiet des alten Bistums etwa
25taufend Seelen zählen, das Niederlaffungsrecht. Neue
Nachrichten auf Grund archivalifcher Forfchungen bietet
uns B. nicht. Auch die vorhandene Literatur hat er nicht
ganz ausgefchöpft. An meinem Artikel,Herzog Albrecht
und die Übergriffe der katholifchen Geiftlichkeit Ermlands'
(Altpr. Monatsfchrift Bd. 46) ift er vorübergegangen, obwohl
er darin unter anderem eine recht intereflante Nachricht
über die Unterdrückung der Reformation in Allen-
ftein gefunden hätte. Selbft den Briefwechfel des Hofius,
deffen Herausgabe für die Jahre bis 1558 wir Hipler
und Zakrzewski verdanken, verwertet B. nicht. Die 1854
erfchienene Biographie des ermländifchen Bifchofs von
Eichhorn, welche er heranzieht, kann den Briefwechfel
nicht erfetzen. Noch habe ich es vermißt, daß B. nicht
die verfchiedenen Univerfitätsmatrikel benutzt hat, um an
dem Befuch der evangelifchen Hochfchulen durch Erm-
länder die Stärke der evangelifchen Strömung im Bistum
zu zeigen. Immerhin danken wir es aber B., daß er fleh
der vernachläffigten ermländifchen Gefchichtsfchreibung
angenommen und eine trotz der erhobenen Ausftellungen
brauchbare Gefchichte der Reformation in diefem Bistum
geliefert hat.

Eutzfch. Lic. Dr. Wotfchke.

Seeholzer, Dr. H.: Staat u. römifch-katholifche Kirche in
den paritätifchen Kantonen der Schweiz. (VIII, 181 S.)
gr. 8°. Zürich, Rafcher & Co. 1912. M. 3.50

Wie die proteftantifchen kirchlichen Verhältniffe der
Schweiz über ihre Grenzen hinaus beachtet werden, von
den einen mit Bewunderung ob ihrer glücklichen Freiheit,
von den andern mit geheimem Grauen ob der hier herr-
fchenden .Anarchie', fo bietet die katholifche Kirche bei
uns des Intereffanten und Eigenartigen genug, fodaß die
Differtation Seeholzers, von Prof. Max Huber in Zürich
veranlaßt, auf alle Fälle dankbar zu begrüßen ift, da eine
derartige Zufammenfaffung bisher nicht exiftierte. Vf.
befchränkt fleh freilich auf die fogen. paritätifchen Kantone
, d. h. diejenigen, ,in welchen die römifch-katholifche
Kirche neben der reformierten (und auch chriftkatho-

lifchen1) landeskirchlich organifiert oder doch wenigftens
als Landeskirche anerkannt' (S. 5) ift. Solche Kantone
find Aargau, Bafelland, Bern, Glarus, Graubünden, St. Gallen,
Thurgau. Da die Verhältniffe in diefen Kantonen im
Einzelnen wieder fehr differenziert find, wäre es praktifcher
gewefen, jeden Kanton für fich als ein abgerundetes
Ganzes vorzuführen; S. hat es ftatt deffen vorgezogen,
fachlich zu rubrizieren (z. B. Staat und Bistümer, Tempo-
ralien, Mitgliedfchaft in der Kirche, Bifchof und Domkapitel
, Pfarramt ufw.), auf Kotten der Überfichtlichkeit.
Ferner hat der Vf. wefentlich das geltende Recht wiedergegeben
und die Gefchichte zwar nicht ganz vernach-
läffigt, aber fehr ftiefmütterlich behandelt. Geht er doch
S. 4 in einem großen Sprunge von 1531 fofort auf 1848
überl Das fo ungemein intereflante Werden der Parität
infolge der langfamen Zerfetzung der Landeskirchen und
dann des großen Stoßes der franzöfifchen Revolution
wird gar nicht berückfichtigt; und doch war in Öchsli's
Gefchichte der fchweizerifchen Eidgenoffenfchaft im
19. Jahrhundert oder Bloefch's Gefchichte der fchweizerifchen
reformierten Kirchen das Material angegeben.
Diefe Gefchichte wird uns alfo noch gefchrieben werden
müffen.

Die Einzelheiten der gegenwärtigen Rechtsverhältnifle kann ich
hier natürlich nicht angeben, nur einige specialia feien erwähnt. Für
die römifch-katholifchen Kirchgemeinden des Kautons Bern befteht kein
ftaatlich anerkannter römifch-katholifcher Bifchof, doch ift im Staatsbudget
eine Summe zur Vergütung der bifchöflichen Funktionen vor-
gefehen. Sehr intereffant find die Beftimmungen über die Rechtsftellung
des Churer Bifchofs (S. 28 ff. u. 117 ff.). So ift ,Chur das einzige Bistum
der katholifchen Welt, in welchem der Oberhirte vollftändig frei nach
dem im Mittelalter allgemein geltenden Rechte vom Domkapitel gewählt
wird'. Doch erhebt Graubünden den Anfpruch, daß der Bifchof Bürger
diefes Kantons fein muß, und der Staat behält fich die Ratifikation der
Wahl vor. Im Aargau müffen die Konfeffionen ihr Kirchenwefen aus
eigenen Mitteln unterhalten, der Staat räumt ihnen nur das Recht des
Steuerbezuges ein und ift nur auf Grund befonderer Rechtstitel zu Lei-
ftungen an diefe oder jene Konfeffion verbunden. Hindeuten kann ich
nur auf den intereffanten Prozeß der bündnerifchen Gemeinde Valcava
betr. Läuten der Nacht- und Morgenglocke oder der Prozeffionen (S. 99 ff.).
Im Kanton Aargau werden Jefuitenzöglinge nicht zur Maturitäts- oder
einer fonfligen Staatsprüfung zugelaffen. Daß die Kirchgemeinden die
Wahl ihrer Geiftlichen haben, wird auch außerhalb der Schweiz bekannt
fein, in Graubünden erfolgt — zum großen Arger des Churer
Bifchofs — fogar alle 3 Jahre Neu- bezw. Wiederwahl. Die Kurie in
Rom hat 1873 alle diefe Wahlbeftimmungen verworfen als ,freche Anmaßung
'. Doch vermiffe ich gerade hier bei S. eine genaue gefchicht-
liche Darftellung. Die meiden diefer Rechte find, foviel ich weiß, mit
dem politifchen Liberalismus der 40er Jahre gekommen, und Vf. hätte
klar machen follen, wie denn nun praktifch angefichts des kurialen Wider-
fpruchs fich die Sache regelt? Wohl fo: Gemeindewahl, mehr oder
minder nach bifchöflichen Direktiven, Amtsantritt nicht ohne bifchöfliche
Autorifation. — Stiliftifch ift in der Schrift nicht alles glatt.

Zürich. Walther Köhler.

Heim, Priv.-Doz. Karl: Das Gewißheitsproblem in der fyfte-
matifchen Theologie bis zu Schleiermacher. (IX, 385 S.)
gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1911. M.7— ;geb.M.8 —

Heims Monographie über das testimonium spiritus
saneti ift von der Uberzeugung getragen, daß wir auf
die Scholaftik zurückgehen müffen, um die Reformatoren
und orthodoxen Theologen zu verliehen. So behandelt
der größere Teil des Buchs (S. 1— 219) das Problem der
religiöfen Gewißheit in der Scholaftik und Myftik unter
Zurückgreifen auf Auguftin und den Neuplatonismus; der
kleinere Teil (S. 220—380) erörtert das Problem in der
Theologie von Luther bis Schleiermacher. Materiell ift
die Frageftellung Heims der durch Ritfehl, Kaehler
Frank üblich gewordenen Methode entgegengefetzt. Heim'
geht nicht von der Eigenart der religiöfen Gewißheit
gegenüber aller übrigen Erkenntnis aus. Sondern die
BTage, wie wir zur religiöfen Gewißheit gelano-en fteht
nach ihm im engften Zufammenhang mit logifchen er-
kenntnistheoretifchen, pfychologifchen und metaphyfifchen
Fragen, wie fich dies befonders in der Scholaftik und
Myftik erhärten läßt. Aber auch noch an Schleiermachers

) So ift es bekanntlich in Bern.