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Ausgabe:

1913 Nr. 24

Spalte:

744-746

Autor/Hrsg.:

Gunkel, Hermann

Titel/Untertitel:

Genesis, übers. u. erklärt. 3. Aufl 1913

Rezensent:

Bertholet, Alfred

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 24.

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flehen ließ, ohne bei feinem Schöpfungsakte ein weibliches
Wefen heranzuziehen. (Vgl. Wiedemann, Ein altägyp-
tifcher Schöpfungsmythus in Urquell VIII S. 57 ff, denen
Ausführungen durch den Auffatz von Chaffinat, Bull, de
l'Inftitut Frangais du Caire X p. 159 f. ergänzt undbeftätigt
werden.)

Der Vorfchlag (S. 43 ff) den heiligen Phönix, der
dem Sonnengotte entfpricht, von dem Phönix zu fcheiden,
in den fich der Tote verwandeln konnte und der ein
wirklicher Vogel gewefen fei, erfcheint Referenten wenig
ausfichtsvoll. Die Angaben über letztern (vgl. Wiedemann,
Ägypt. Zeitfchr. XVI S. 89 ff; Zimmermann, Die ägypt.
Religion nach Darfteilung der Kirchenfchriftfteller S. 123 fr
und in Theologie und Glaube IV S. 202 ff) Phönix fprechen
entfchieden dafür, daß er nicht als ein irdifches Tier aufgefaßt
wurde, fondern als ein Gefchöpf, das einer höheren
Welt angehörte. Auch unter den übrigen, in den Verwandlungskapiteln
des Totenbuches dem Verftorbenen
zur Verfügung geftellten Formungen finden fich göttliche
Geftalten, wie der Goldhorus, der Gott Ptah, uff, fo daß
das Auftreten einer der Erfcheinungsformen des Sonnengottes
in diefem Zufammenhange nichts Überrafchen-
des hat.

Bonn. A. Wiedemann.

Frazer, Prof. J. G., D.C.L., L.L.D., Litt. D.: The Belief in
Immortality and the Worship of the Dead. Vol. I. The
. Belief among the Aborigines of Australia, the Torres
Straits of Islands, New Guinea and Melanesia. (The
Gifford Lectures, St. Andrews 1911—1912). (XXI,495S.)
gr. 8°. London, Macmillan and Co. 1913. s. 10 —

Das Buch enthält Gifford-Vorlefungen des berühmten
englifchen Eorfchers, die in den Jahren 1911 und 1912
gehalten worden find. Es will einen Beitrag liefern zur
natürlichen Theologie', wir würden fagen, zu einer auf
den Offenbarungsbegriff verzichtenden Theorie über die
Urfprünge der Religion, wobei es im Sinne der ethno-
logifchen Religionswiffenfchaft die ausfchlaggebenden Auf-
fchlüffe vom Studium der Naturvölker erwartet.

Der Autor meint, es feien nur zwei natürliche'
Wege denkbar, auf denen die Menfchen zur Gottesvor-
ftellung und Gottesverehrung gelangt fein können: die
,innere'und die ,äußere'Erfahrung. Auf Grund der elfteren,
das heißt, auf Grund ,außerordentlicher' Gefühle und
Gedanken fei die Vorftellung von infpirierenden, d. h. die
betreffenden Gefühle und Gedanken eingebenden Geiftern
und damit zugleich die von infpirierten, religiös zu
verehrenden Menfchen (Gottmenfchen) entftanden. Auf
Grund der äußeren Erfahrung, das heißt, auf Grund der
Betrachtung der Naturerfcheinungen fei durch Kaufal-
fchlüffe die Vorftellung von bewegenden Prinzipien in
der Natur und eben damit die Vorftellung von Natur-
geiftern und -göttern entftanden. Abgefehen von den
beiden erwähnten Religionsformen gebe es aber bei den
Naturvölkern eine dritte, den Ahnenkult. Diefer fetzt
den Unfterblichkeitsglauben voraus, der wiederum nur
auf Grund innerer Erfahrung, das heißt hier, auf Grund
von Träumen und Ahnlichem, und auf Grund äußerer
Erfahrung, das heißt, auf Grund der Beobachtung vorkommender
Ähnlichkeit zwifchen Lebenden und Verftorbenen
, entftanden fein könne. Und nun ftellt fich der
Verfaffer die fpezielle Aufgabe, die Entftehung und die
mannigfache Geftaltung des Unfterblichkeitsglaubens und
der Ahnenverehrung bei den primitivften Naturvölkern
zu fchildern. Er befpricht die Auftralier, zunächft die
Zentralauftralier, dann die übrigen Auftralier, die Eingeborenen
der Torresftraße-Infeln, die Eingeborenen von
Englifch-, Deutfch- und Holländifch-Neu-Guinea, endlich
die Eingeborenen von Süd-, Zentral-, Nord- und Oft-
Melanefien. Das Ganze wird beherrfcht von dem Gedanken
, daß der Ahnenverehrung der bloße Glaube an

das Fortleben der Seele des Verftorbenen vorausgegangen
fei, der fich auch allmählich zum eigentlichen Ahnenkult
entwickelt habe.

Die Darfteilung ift echt Frazerfch: ein umfaffendes
Material, unzählige Details und Einzelheiten find ge-
fammelt und zufammengetragen; eine feine Ironie fpielt
über dem Ganzen. Was freilich die angedeutete Theorie
über die Entftehung der Religion betrifft, fo bedeutet
fie unzweifelhaft einen Rückfehritt. War der berühmte
Cambridger Gelehrte im ,Golden Bough' über den Intellektualismus
und über Tylor und Spencer einigermaßen
hinausgekommen mit der Thefe, daß ein Hauptmotiv
zur Religion in dem Erlebnis der Befchränktheit
menfehlichen Könnens liegt, fo finkt er hier in eine in-
tellektualiftifche Auffaffung und in Spencerfche Anfchau-
ungen zurück. Das hindert nicht, daß das vorliegende
Buch als ein ausgezeichnetes Nachfchlagewerk, zum
Studium des Unfterblichkeitsglaubens und Ahnenkults
bei den Naturvölkern, empfohlen werden kann, namentlich
demjenigen, der es mit der nötigen kritifchen Vorficht
zu benutzen vermag.

Straßburg i. E. E. W. Mayer.

Gunkel, Prof. D. Dr. Hermann: Genefis, überfetzt u. erklärt
. 3. Aufl. (Göttinger Handkommentar zum Alten
Teftament. I. Abteiig. Die hiftorifchen Bücher. i.Bd.)
(CIV, 510 S.) Lex. 8°. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht
1910. M. 11—; geb. M. 12 —; in Halbldr. M. 13 —

Gunkel felber nennt die vorliegende Auflage feines
Genefiskommentares im Vorwort ein ,neues Buch'. In
der Tat zeigt ihre genaue Vergleichung mit den bisherigen
Auflagen faft auf jeder Seite die nachbeffernde Hand ihres
Verfaffers. Aber daß unter ihr das Buch ein neues geworden
fei, ift doch wohl zu viel gefagt. Was vor Allem
den Unterfchied der Neuauflage bedingt, ift, neben mancher
ftillfchweigend vollzogenen Korrektur, im Wefentlichen
das Plus des von den verfchiedenften Seiten herangezogenen
Materiales; aber das ändert am Gefamtcharakter
des Werkes im Grunde recht wenig, es macht es namentlich
mehr als bisher zur Fundgrube von Sagen- und Er-
zählungsftoff, der dem in der Genefis verarbeiteten
parallel läuft. Zur Gefchichte von der Ehebrecherin z. B.,
zu der früher 2 Parallelen angeführt waren, ift jetzt eine
ganze Fülle von folchen hinzugekommen (S. 421 f.), und
entfprechende Erweiterungen laffen fich durch den ganzen
Kommentar hindurch aufweifen (vgl. S. LXIf. 8. 12. 17.

21. 25. 30. 34. 73ff. 87. I04f. IO7. 128. I93f. 211. 213 f.

218. 236. 251 f. 269. 308f 317h 362. 381 f. 399h 407. 419.
440f.). Man kann dem Verfaffer dafür nur dankbar fein.
Aber wo der Stoff dermaßen zu fchwellen anfängt, läßt
fich die Frage nicht ganz unterdrücken, ob nicht im In-
tereffe der Überfichtlichkeit und Folgerichtigkeit des
Kommentars, der doch in erfter Linie eine fortlaufende
Erklärung des biblifchen Textes fein will, folche fagen-
vergleichende Angaben beffer in befondere Exkurfe, die
vielleicht auch durch den Druck deutlicher abzuheben
wären, verwiefen würden.

Die Zunahme diefes fagengefchichtlichen Materials
hängt innerlich mit dem zufammen, was nach wie vor
(vgl. meine Anzeige der erften Auflage diefes Kommentares
in diefer Zeitung 1902, Sp. 133—138) Gunkel be-
fonders am Herzen liegt: ein tieferes Eindringen in die
rein literargefchichtlichen Probleme, die der Bibeltext vor
uns eröffnet. ,Wie lange wird es noch dauern, bis die alt-
teftamentlichen Forfcher endlich einfehen, welche gewaltigen
Aufgaben ihnen durch die literaturgefchichtlichen
Probleme, auch auf dem Gebiete der Erzählungen gefleckt
find, und wann wird das Teftament des großen Herder
endlich voliftreckt werden?' fo ruft Gunkel im Vorwort
klagend aus. Daß er felber diefes Erbe bewußt aufzunehmen
gewillt ift, zeigtfehon eine Reiheneuaufgenommener