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Ausgabe:

1913 Nr. 23

Spalte:

719-720

Autor/Hrsg.:

Humbel, Frida

Titel/Untertitel:

Ulrich Zwingli u. seine Reformation im Spiegel der gleichzeitigen, schweizerischen volkstümlichen Literatur 1913

Rezensent:

Bossert, Gustav

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719

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 23.

720

Luttor, Dr. Franz t: Biblia Pauperum. Studie zur Herftellg.
e. inneren Syftems. Mit dem Texte der in der k. k.
Hof bibliothek aufbewahrten Handfchrift u. m. e. Lichtdr.
hrsg. (128 S.) Lex. 8°. Veszprem (Ungarn). Wien,
Ambr. Opitz Nachf. 1912. M. 3.50

Luttor teilt den lateinifchenTextdes Wiener Exemplars
der Biblia Pauperum mit (Hofbibliothek No. 1198; wohl
XIV. Jh.) Auf die Befchreibung der Miniaturen und die
kunftgefchichtliche Würdigung verzichtet er; doch ift eine
Seite der Handfchrift in gutem Lichtdruck wiedergegeben,
fo daß man einen Eindruck von der Vortrefflichkeit der
Zeichnungen erhält. Neben diefen lateinifchen Text
ftellt er den deutfchen Text des in der Lyzeumsbibliothek
zu Konftanz befindlichen, von Laib und Schwarz 1867
herausgegebenen Exemplars in moderner Umfchreibung.
Eine genauere Vergleichung der Texte wäre mir notwendig
erfchienen. Dazu fügt er die entfprechenden
Abfchnitte aus dem Speculum humanae salvationis und,
wo dies nicht ausreicht, aus den Concordantiae caritatis.
Zum Schluß verzeichnet er die Bildergruppen des 50-blätt-
rigen xylographifchen Exemplars. Seine Abficht ift, nach-
zuweifen, daß ,die Armenbibel eine lehrreiche dogmatifch-
moralifche Abhandlung ift, in welcher auf die äußeren
Heilsakten der Erlöfung feitens Gottes eine innerlich zu-
fammenhängende Entwicklung der Rechtfertigung des
einzelnen Menfchen geknüpft behandelt wird'. Aber
mögen vielleicht die Parallelen aus dem Speculum und
den Concordantiae eine folche Auffaffung nahe legen, fo
wäre doch damit noch keineswegs bewiefen, daß fie den
ursprünglichen Sinn der Biblia Pauperum trifft. Mir fcheinen
doch die Concordantiae Veteris et Novi Testamenti und
der Gedanke von der Nachfolge des (armen) Lebens Jefu
die vornehmlichften Richtlinien für ihr Verständnis zu
bieten. In der Einleitung verflicht der Verfaffer einen
Überblick über die Entwickelung der Typologie zu geben
und die kritifchen Fragen zu erörtern, wobei er die
neueren Arbeiten über die Biblia Pauperum namhaft
macht. Den Namen leitet er her ,von jenen Zeiten, in
denen es ein Vorzug war, arm fein zu können', alfo von
den predigenden Mönchen aus dem Benediktinerorden,
die fich ausdrücklich arm nannten. Ift aber der Name
alt, was der Vf. nicht leugnet, fo hätte doch erft einmal
unterfucht werden müffen, ob er nicht herzuleiten ift von
jenen Gruppen, deren Mitglieder fich offiziell als die
Pauperes (oder Pauperes Christi oder Pauperes spiritu)
bezeichneten und nichts anderes als Bibliziften fein wollten,
d. h. von den Waldenfern. Mir fcheint die Unterfuchung
dieser Frage jetzt wichtiger als jede andere, die fich an
die Biblia Pauperum anknüpft. — Das Deutfch, das Luttor
fchreibt, ift fehr mangelhaft.

Kiel. G. Ficker.

Humbel, Dr. Frida: Ulrich Zwingli u. leine Reformation im
Spiegel der gleichzeitigen, Ichweizerilchen volkstümlichen
Literatur. (Quellen u. Abhandlungen zur fchweizerifchen
Reformationsgefchichte. [II. Serie der Quellen zur
fchweiz. Reformationsgefch.] I.) (VIII, 299 S.) gr. 8°.
Leipzig, M. Heinfius' Nachf. 1912. M. 8.70

Die Erweiterung des Programms des Zwinglivereins,
wonach neben Quellen auch Abhandlungen zur fchweizerifchen
Ref.-Gefch. herausgegeben werden follen, ift zu
begrüßen, und die Eröffnung diefer zweiten Serie mit der
Arbeit von Dr. Frida Humbel ein glücklicher Wurf, da
fie von gründlichen Studien und Vertrautheit mit der
Literatur, wie von felbftändigem Urteil und Darftellungs-
gabe zeugt. Gefchickt wird die Bedeutung der volkstümlichen
Literatur für das Gefamturteil über die Reformation
beleuchtet, wie für die Reformationsgefchichte
der Schweiz und das Urteil über Zwingiis Perfon und
fein Werk. Nur Unwiffenheit oder Bosheit kann noch

von gewaltsamer Störung der Kulturentwicklung durch
die Reformation reden, wo plötzlich ganz neues Leben
in die Religiosität und die foziale und politifche Ver-
faffung kommt und neue Probleme fich drängen. Bis in
feine untersten Schichten ift das Volk angeregt und
fpricht mit in den einfchneidenften Lebensfragen. Dabei
treten ganz originelle Gedanken zu Tage, daß z. B. der
einfache Mann fich nicht um das Theologengezänke
kümmern foll (S. 198), und daß die Gemeinden in den
Pfarrern keine Vorgefetzte, fondern Diener haben und
kleine Pfarreien zum beffern Unterhalt der Pfarrer zu-
fammengelegt werden follen. Ergreifend ift die Rückwirkung
des Reislaufens, des Kriegsdienstes bei fremden
Mächten um Geld, auf das fittliche und wirtfchaftliche
Leben geschildert. Auch für einzelne Züge in den wichtigsten
Ereigniffen, wie der Berner Disputation, wird der
Historiker dankbar fein. Behandelt wird der überrafchend
reiche Stoff von 1521—31, alfo bis zum Tode Zwingiis.
Wichtig ift die Feststellung, daß in diefer volkstümlichen
Literatur Luther der große Reformator ift, von welchem
die ganze Bewegung ausgeht. Die Evangelischen heißen
Lutheraner auch in den eidgenöffifchen Abfchieden.
Luther ift der Held und Märtyrer, der das Volk ganz
anders anzieht als Zwingli und der Relativift Erasmus,
der Luthers Geiftesfchwung nicht folgen kann, wenn auch
Luthers grobe, herbe Art gegenüber feinen Gegnern öfters
getadelt wird. Zwingli steht im Hintergrund. Auffallend
ift, wie der bedeutendste Volksfchriftfteller, der Berner
Nikolaus Manuel, Zwingli vollständig ignoriert. Ob aus
Lokalpatriotismus? Offen gefteht die Verf. die Beein-
fluffung Zwingiis durch Luther zu. Durch ihn erft hat
Zwingli das volle Verständnis für Paulus gewonnen. Was
er bis 1519 predigt, war Paulus nach Erasmus. Fortan
ift der Paulinismus das Gemeingut Zwingiis und Luthers.
Es wird fich verlohnen, noch genauer, als dies Humbel
getan, die Gedanken Luthers in den Flugfchriften der
Schweiz zu verfolgen, z. B. die zweite Taufe der Mönche
WA. 8, 595, EA. 31, 278, weiter S. 107«., WA. 19, iff.
Zeit und Verfafferfchaft find vielfach beffer nachgewiefen,
aber bedürfen noch weiterer Unterfuchung.

Das ,Kegelfpiel' flammt aus der Gegend von Stäfa und (Ober-)Eß-
Hngen, vgl. Egli, Aktenfammlung S. 421, 608, 731. Alexius S. 238 ift
Bertfchi, nicht Grat, Dr. Gryff zu Murg wird Pfeudonym für Amgrüt
fein (Mörikofer 2, 23). Der Abgefandte Memmingens S. 23g ift nicht
mehr Schappeler, vgl. Dobel, Memm. im Kef.-Z. 2, 59. Zu Hügelin
vgl. Zwingliana 2, 382. S. 108 hofrellig ist der hofkater. S. 109 b
Textrinen (Reim l)=Weberinnen.

Stuttgart. G. Boffert.

Wiener, Dr. Fritz: Naogeorgus im England der Reformationszeit
. (III, 145 S.) gr. 8°. Berlin, Mayer & Müller 1913.

M. 3-

Als Differtation ift diefe Schrift fchon 1907 erfchienen;
die Gründe, warum die Ausgabe im Buchhandel erft jetzt
erfolgt, werden im Vorwort dargelegt. Der Verfaffer
verfolgt die Bedeutung, die der Tendenzdramatiker Thomas
Naogeorgus in den Reformationskämpfen Englands
gewonnen hat. Es handelt fich da in erfter Linie um
fein Drama .Pammachius' mit feiner fcharfen Polemik
gegen das Papfttum. Diefe Dichtung hatte er ja Thomas
Cranmer gewidmet und nach einer anfprechenden
Vermutung Wieners mit der deutfchen evangelifchen Ge-
fandtfchaft, die damals nach England zog, hinübergefandt.
Diefes Stück wurde 1545 in Cambridge von Mitgliedern
des Christ-College zur Aufführung gebracht, und es ent-
fpann fich darüber ein intereffanter Briefwechfel zwifchen
dem damaligen Kanzler der Univerfität, Bifchof Gardiner,
und dem Vizekanzler Parker. Gardiner, entrüftet über
die proteftantifche Gerinnung, die fich durch die Wahl
diefes Stückes offenbart habe, Parker in kühler Sachlichkeit
ihm antwortend. Den Briefwechfel, der in der Hauptfache
bereits bekannt war, vermehrt Wiener durch einen
Brief Gardiners vom 18. Mai 1545, in dem nur die Worte