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Ausgabe:

1913 Nr. 23

Spalte:

713-714

Autor/Hrsg.:

Milligan, George

Titel/Untertitel:

The New Testament Documents. Their Origin and early History 1913

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Seite 1

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713

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 23.

714

den Täufer (III, fehr ausführlich), Jefu Predigt vom Gottesreich
(IV) und von der Vorbereitung auf diefes (V Ethikl),
das meffianifche Selbftbewußtfein (VI), die Titel Davids-
fohn und Menfchenfohn (VII); Jefu Gedanken über fein
Leiden und feinen Tod (VIII). Der Verfaffer hat einen
guten Überblick über die hier aufgeworfenen Fragen und
Problemstellungen. Mit feinem eigenen Urteil wandelt er
die goldene Mittelftraße. D er durchgängige eschatologifche
Charakter des Reichgottesgedankens Jefu wird gut hervorgehoben
; auch zugegeben, daß die Reichgottespredigt
Jefu in der Gemeindeüberlieferung durch den Gedanken
der Kirche möglicherweife hier und da umgebogen fei.
Doch wird von diefem Zugeftändnis kein praktifcher Gebrauch
gemacht (z. B. gegenüber Mt. II, Ii). Bis zu einem
gewiffen Grade wird daneben der Gegenwartscharakter
des Gottesreiches behauptet, doch wie es fcheint richtig
eingefchränkt auf Wundertun und Dämonenaustreiben Jefu,
ohne daß diefer Gefichtspunkt klar herausgearbeitet wäre.
Mit den fogenannten Reichsgottesgleichniffen fetzt fich
der Verfaffer, foweit ich fehe, gar nicht auseinander. —
Der Gedanke einer,Interimsethik' wird abgelehnt, in feinen
fittlichen Weifungen verkündet Jefus die Gefetze des
künftigen Gottesreiches. (Aber mit diefer Auskunft, bei
der Verfaffer fich beruhigt, beginnt ja erft recht eigentlich
das' Problem der Ethik jefu). Das meffianifche Selbftbewußtfein
fteht S. zweifellos feft. Das Stillfchweigen Jefu

bei ift er kein Fanatiker des Neuen: die befonnene Art,
wie er über Zahns Deutung der 7 Siegel, über Deißmanns
Unterfcheidung von Brief und Epiftel inbezug auf die
Paulusbriefe urteilt, verdient alle Anerkennung. Bei den
in der 3. und 4. Vorlefung zur Sprache kommenden kri-
tifchen Fragen der fpeziellen Einleitung macht fich neben
ausgefprochen konfervativer Neigung die Tendenz angenehm
fühlbar, beiden Seiten ihr Recht zu wahren. Wie
die Unterfchiede der paulinifchen Briefe, fpeziell Eph. und
Paft., aus der Verwendung verfchiedener Amanuenses,
fo wird die Ähnlichkeit von I Petr. aus der Mitwirkung
des Paulusfchülers Silvanus erklärt. Die 5. Vorlefung zeigt
nicht nur, daß grade anfänglich auf Genauigkeit der Überlieferung
wenig Wert gelegt wurde, daß fich viele Varianten
vielleicht auch aus falfcher Ergänzung brüchiger
Papyrusftellen erklären, fondern zugleich die Möglichkeit,
daß verfchiedene Schriftftücke abfichtlich oder irrig mit
einander verbunden wurden. 14 additional notes bringen
teils wertvolle bibliographifche Zufammenftellungen, wie
z. B. eine Lifte von 23 NTlichen Papyrusftücken, teils
wichtige Quellen in Urtext und englifcher Überfetzung.
12 gut gewählte Facsimilia erhöhen den Wert des Buches
für Lehrzwecke. Die deutfche Literatur ift verhältnismäßig
reichlich berückfichtigt. Ref. vermißte bei NoteJ:
von Gebhardts Fakfimile Ausgabe des Petrus-Evangeliums,
bei Note M: K. Schmidts Ausgabe des koptifchen Textes

gegenüber feiner Meffianität erklärt er durch die Annahme, von Athanafius' Feftbrief. Über Lukas als Maler habe

daß diefe ihm felbft noch ein Problem gewefen fei. Die
beiden Titel Davidsfohn und Menfchenfohn werden auf
Jefus felbft zurückgeführt. Die eigentümliche Polemik
gegen den Gedanken der Davidsfohnfchaft (Mrk. 12,35—37)
bekommt eine ganz harmlofe Wendung. Die Menfchen-
fohnftellen Jefu abzufprechen, fei fchon deshalb nicht
möglich, weil die außerevangelifche kirchliche Überlieferung
den Titel nicht mehr kenne, er deshalb auf Jefus zurückzuführen
fei. (Aber das fchließt doch nicht aus, daß der
Titel eine Schöpfung der Urgemeinde fein könnte, die
dann auf helleniftifchem Boden wieder verfchwand!). Der
Titel ift aus Dn. 7 zu erklären, Jefus eignet ihn fich in
einer gewiffen Antizipation an. Bei der Besprechung der
Leidensgedanken wird an der Echtheit der Stelle Mk. 10,45
wie an der Beziehung des Abendmahls auf den Tod festgehalten
. Aber mit den aus der Parallele Lk. 22, 27 fich
ergebenden Bedenken fetzt S. fich nicht auseinander, und
die moderne ,religionsgefchichtliche' Betrachtung der
Abendmahlsfeier (Wellhaufen, Heitmüller) berührt er nicht.
Alles in allem, wir haben hier den Stand der Wiffenfchaft,
den fie erreicht hatte, ehe Wrede fein Meffiasgeheimnis
fchrieb. Die weitergehenden Fragestellungen und Probleme
kennt der Verfaffer zum Teil, aber innerlich berührt
ift er von ihnen nicht. Aber die Durchfchnitts-Über-
zeugung, die er übernimmt, hat er gut und gewandt dargestellt
'

Göttingen. Bouffet.

Milligan, Prof. George, D. D.: The New Testament Docu-
ments. Their Origin and early Hiftory. (XVI, 322 S.
m. 12 Fakf.-Taf.) London, Macmillan & Co. 1913. s. 10.6

ich in meinen Chriftusbildern S. 267**—280** ausführlich
gehandelt. Und vielleicht darf ich auch meinen Vortrag
über den gegenwärtigen Stand der NTlichen Exegefe 1906,
der in England garnicht beachtet zu fein fcheint, hier in
Erinnerung bringen.

Halle. von Dobfchütz.

Severus ihn al Muqaffa: Alexandriniiche Patriarchenge-
fchichte von S. Marcus bis Michael I. 61—767. Nach
der ältesten 1266 gefchriebenen Hamburger Hand-
fchrift. Im arab. Urtext hrsg. v. Chriftian Frdr. Seybold.
(Veröffentlichungen aus der Hamburger Stadtbibliothek
. 3. Bd.) (IX, 208 S. m. 5 Lichtdr.-Taf.) Lex. 8°.
Hamburg, L. Gräfe 1912. M. 8 —■

Der Inhalt diefes einft fchon von Renaudot in feiner
Gefchichte der alexandrinifchen Patriarchen verwerteten
Werkes war uns durch die arabifche Textausgabe Sey-
bold's in dem Corpus scriptorum christianorum orienta-
li um genauer bekannt gemacht. Die Textausgabe des
Corpus wie die vorliegende neuere enthalten nur den ersten
Teil des großen, mehrmals weitergeführten Werkes
des Severus; durch eine andere Einteilung des Stoffes
find in der vorliegenden Publikation fogar noch fechs
Viten weniger enthalten. Trotzdem hier alfo inhaltlich
wenig Neues, ja quantitativ noch nicht foviel geboten wird,
wie in der Corpusausgabe, ift der Abdruck diefer von
Brockelmann in das verdiente Licht gefetzten Handfchrift
der Hamburger Stadtbibliothek Cod. Orient. 26 40 doch
hervorragend wichtig, weil diefe Handfchrift einen fehr
abweichenden Text hat, welcher uns ein intereffantes li-

Diefe 6 Edinburger Croall-Lectures entfprechen nicht terarkritifches Problem stellt. In der Hamburger Handeigentlich
dem, was wir Einleitung ins Neue Testament | fchrift, die am Anfang unvollständig ift, fehlt der Name
nennen, wohl aber dem, was ich z. B. feit 1896 als deren des Severus auch vor deffen Vorwort, während die Cor-
I. Kapitel vortrage: die literargefchichtlichen Voraus- j pusausgabe ihn dort S. 5 Z. 6 hat, und da nun die Handfetzungen
. Die 1. Vorlefung handelt von Schrift und j fchrift fonft einen teils kürzeren, teils längeren und einen
Schreibmaterial, die 2. von der Sprache, die 3. und 4. j auch in anderer Hinficht abweichenden, jedenfalls aber
von den Litera'turformen, die 5. von der Art der Ver- j älteren Text hat, fo erhebt fich die Frage, ob wir hier
breitung und Überlieferung, die 6. von der Sammlung.
In höchft anfchaulicher Weife orientiert der mit der neueren
Papyrus- und Sprachforfchung ausgezeichnet vertraute
Verfaffer über die reiche Belehrung, die wir von dorther
für das NT erhalten haben. Klar und doch zugleich pietätvoll
stellt er den Fortfehritt über die durch Männer ! im vulgären Text dem Severus zugefchrieben wird; für
wie Lightfoot und Westcott vertretene Exegefe dar. Da- ! letzteres tritt Seybold ein und wird, wie wir aus dem Vorein
von Severus benutztes, für uns jetzt anonymes Werk
oder nicht vielmehr die Urform des Werkes des Severus
felbft vor uns haben. Für erfteres ift Brockelmann eingetreten
, allerdings mit durch die irrige Vorausfetzung
geleitet, daß im cod. Hamb, die Vorrede fehle, welche