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Ausgabe:

1913 Nr. 22

Spalte:

698

Autor/Hrsg.:

Weiß, Bernh.

Titel/Untertitel:

Die urchristlichen Gemeinden im apostolischen Zeitalter 1913

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1913 Nr. 22.

698

Zwecke wird eine neue Gruppierung derfelben nach ihrem
Alter und ihrem Gefchlechte vorgenommen und diefe in
den Gefamtorganismus der Gemeinde eingeftellt. So werden
die fogen. .Banden' oder ,Chöre' gebildet. Kinder, die
noch auf dem Arm getragen werden, bilden das Chor der
Armkinder; daran fchließen fich die Chöre der kleinen
Kinder, der Kinder, der großen Knaben und großen
Mädchen; von diefen geht man über in die Gruppen der
ledigen Brüder und ledigen Schwertern; es reihen fich an:
die Eheleute, die Witwer und Witwen. In diefem Gefamtorganismus
der Gemeinde wurde dann einzelnen Perfön-
lichkeiten die Stellung von Chorführern oder Alterten
bezw. Älteftinnen übertragen, deren Wirkfamkeit den
Charakter des Vorbildlichen haben follte. — Zum anderen
behält das gefamte Erziehungswefen in der Herrenhuter
Gemeinde jener Zeit trotz der erwähnten Entwicklung doch
einen durch und durch pietiftifchen Charakter. Die Unter-
weifung in der Religion prävaliert im Unterricht Jeden
Tag werden 2 Religionsftunden gegeben, die dritte Lehr-
ftunde befchäftigt fich mit Bibellefen. Das Gebet und
wiederum das Gebet bilden gleichfam das pädagogifche
Univerfalmittel; es erfolgt bereits über den Armkindern
und fetzt fich durch das gefamte Gemeindeleben fort. Es
werden Kindergemeinden gebildet, die täglich ihrenMorgen-
und Abendfegen, täglich ihre Kinderfingftunde erhalten;
fonntäo-lich find für fie Kinderftunden angefetzt; fie haben
ihre Kjnderbettage, ihre Feftverfammlungen, ihre Liebesmahle
wie die Gemeinden der Erwachfenen. Daß fich bei
all diefen Einrichtungen die eigentümliche Auffaffung vom
Chriftentum geltend machte, welche Zinzendorf vertrat,
ift natürlich. Für uns hat vieles, wenn nicht das meifte
an all diefen Erfcheinungen etwas Befremdendes. Aber
es läßt fich nicht leugnen, daß das erftrebte Ziel von der
Herrnhuter Gemeinde im Wefentlichen erreicht wurde,
folange Zinzendorf an Ort und Stelle wirken konnte. Nach
feiner Verbannung aus Sachfen fah er fich genötigt, den
Schwerpunkt feiner pädagogifchen Veranftaltungen in die
Wetterau zu verlegen. Über feine Tätigkeit dort wird in
vorliegender Arbeit nicht mehr berichtet. Was fie bietet,
gibt uns aber einen eingehenden Bericht über einen in
mehrfacher Hinficht überaus charakteriltifchen Typus
evangelifcher Erziehungsveranftaltungen, für deffen forg-
falti^e Unterfuchung und Darftellung man dem Verf. nach
verfchiedenen Seiten hin nur dankbar fein kann.

Göttingen. K. Knoke.

Referate.

Holzhey, Prof. Dr. Karl: Kurzgefaßte hebräilche Grammatik. (VIII,
120 S.) gr. 8°. Paderborn, F. Schöningh 1913. M. 2.60
Die Paradigmata (S. 85—120, nur für das Verbum) enthalten
neben vielen Druckfehlern auch Unformen, die man leider nicht
mehr als Druckfehler rechnen kann, wie die Sufflxformen unVcip
(fo) und lrteR (fo), die weiblichen Partizipialformen rtiops, ribaj5a|
nb-jps, ni-3 u. a. und das Imperf. mit Waw consec. hBfjJ.'i mit
ausdrücklich angegebenem Ton auf der vorletzten Silbe. Sonft
fteht die neue Grammatik nicht wefentlich unter dem üblichen
Niveau, obwohl die Regeln oft zu mechanifch oder zu ungenau
formuliert find.

Göttingen. A- Rahlfs.

Goethals, Auguftin: Jesus ä Jerusalem. (Melanges d'histoire du
christianisme, 3. partie.) (82 S.) gr. 8". Paris, Fifchbacher
1912. fr. 3 —

Die Schrift enthält eine Anzahl Auflätze, die Jefus während
feiner letzten Lebenstage in Jerufalem zum Gegenftande haben.
Auch der erfte, über die zwölf Jünger handelnde, gehört hierher,
da Jerus nach G. diefe Männer zu einer Einheit verbunden hat,
um ihm nach der Hauptftadt zu folgen. Uber das ftark Hypo-
thetifche feiner Aufftellungen ift fleh Verf. völlig klar. In den
folgenden Abfchnitten zeigt feine Arbeit dieren Charakter in noch
höherem Grade. Das kommt zum größten Teil daher, daß G.,
wie fchon in früheren Veröffentlichungen (f. z. B. Theol. Litz. 1912,
Sp. 540), fo auch hier wieder den f lavifchen Zufätzen zu Jofephus
übergroßes Vertrauen entgegenbringt. Auf Grund diefer Quelle

und gewiffer fie ftützender Erwägungen kommt G. zu dem Schluß,
daß Jefus zweimal verhaftet worden ift, einmal durch die rö-
mifche Behörde wegen Verdachtes der Teilnahme am Aufftand
des Barabbas, das andere Mal durch die jüdifche Obrigkeit.
Während es Pilatus nicht zur Erhebung der Anklage kommen ließ,
führen die Verhandlungen vor dem Synedrium zum Todesurteil.
Der eigentliche Grund ift das Wort Mt 19,28, durch das fleh Jefus
als König von Israel proklamierte. Judas und noch ein anderer
Jünger, wohl aus dem weiteren Kreife — der flavifche Jofephus
redet von 150 Anhängern — bezeugen die belaufende Äußerung.
Das dürfte das Wichtigfte und Intereffantefte aus Gs. Darlegungen
fein. Einige Anhänge ergänzen die einzelnen Abfchnitte und
bringen allerlei Vermutungen vor.

Marburg/Hellen. Walter Bauer.

Weiß, D. Bernh.: Die urehriftlichen Gemeinden im apoftolirchen Zeitalter
. (32 S.) 8«. Hamburg, Agentur d. Rauhen Haufes 1912.

M. — 50

Die Darftellung der urehriftlichen Gemeinden, die B. Weiß
gibt, umfaßt fechs Abfchnitte, von denen jeder fein Thema felbft-
verftändlich nur in ganz kurzen Strichen behandeln kann: 1. die
judenchriftlichen und heidenchriftlichen Gemeinden; 2. die erften
Verfolgungen; 3. der Kampf um das Gefetz; 4. Libertinismus
und Quietismus; 5. die Irrlehre; 6. die Wiederkunftshoffnung.
Grundlage und Ausgangspunkt der Darftellung find die Gemeinde-
fchreiben in Kap. 2 und 3 der Offenbarung, die B. Weiß bekanntlich
zur chriftlichen Urliteratur (vor 70 gefchrieben) rechnet,
ebenfo wie der erfte Petr.-brief, den er an judenchriftliche Gemeinden
einer vorpaulinifchen Miffton in den afiatifchen Provinzen
, und der Hebräerbrief, den er an Judenchriften Paläftinas
gerichtet wiffen will. Diefe Anfetzung der Quellen allein fchon
bringt es mit fich, daß vieles von den Aufftellungen W. als fchwer
oder unmöglich erfcheint: er nimmt z. B. gleich am Eingang des
erften Abfchnittes an, daß die Gemeinde von Smyrna in der
Hauptfache judenchriftlich war. Völlig unmöglich finde ich auch
die Ausführungen des Schluffes über die Wiederkunftshoffnung,
in denen die Apokalyptik des Judentums garnicht berückfichtigt ift.

Aber doch werden die Darlegungen von W., die an den apo-
logetifchen Kurs von 1912 angefchloffen find, manchem Laien-
chriften aus den Kreifen der Rechten einen Einblick in die Arbeit
der Wiffenfchaft geben können, und das ift es, was dem Verf. am
Herzen liegt.

Wien. R. Knopf.

Hellmanns, Vikar D. theol. Willi.: Wertfchätzung des Martyriums
als e. Rechtfertigungsmittels in der altchriTtlichen Kirche bis
zum Anfang des 4. Jahrh. Eine dogmat. Studie. (VII, 95 S.)
gr. 8». Breslau, Müller & Seiffert 1912. M. 1.20

Der Verf. bezeichnet im Nebentitel feine Arbeit als eine
dogmatifche Studie. Seine Abficht ift zu unterfuchen, in welchem
Sinn die vorkonftantinifche Kirche dem Martyrium rechtfertigende
Kraft zufchrieb; d. h. er will die Anfchauung der alten Kirche
in ihrem Verhältnis zur klaffifchen katholifchen Lehre prüfen.
Demgemäß gliedert er feine Abhandlung nach den drei Gefichts-
punkten: 1. das Martyrium als Mittel vollkommener Sündentilgung
; 2. das Martyrium als Mittel vollkommener Tilgung aller
Sündenftrafen; 3. das Martyrium als Erfatzmittel für die Waffer-
taufe. Den Stoff, mit dem er diefe Fächer füllt, hat H. fleißig
(wenn auch, wie er felbft weiß, nicht zum erftenmale) gerammelt
und für feinen Zweck klar verarbeitet. Die gefchichtlichen Fragen
find allerdings dabei nicht gefördert worden. Der Standpunkt,
den H. einnimmt, bringt es mit fich, das die Ausfagen der Quellen
teils abgeftumpft und gegeneinander ausgeglichen (die Schlüffel-
gewalt der Märtyrer ift nur eine angebliche; bei Origenes klingen
manche Wendungen in feinen Ausführungen ,hart'), teils durch
Beziehung auf fpätere Unterfcheidungen um ihre Einfachheit gebracht
werden.

Berlin- K.Holl.

Krebs, Priv.-Doz. DD. Engelbert: Theologie u. Wiffenfchaft nach
der Lehre der Hochruholaftik. An der Hand der bisher ungedruckten
Defensa doctrinae D. Thomae des Hervaeus Nata-
lis m. Beifügg. gedruckter u. ungedruckter Paralleltexte. (Beiträge
zur Gefchichte der Philofophie des Mittelalters Bd-
XI, Heft 3-4.) (X, 77 u. 114 S.) gr. 8". M.6.50
In einer beachtenswerten Unterfuchung, die einen ungedruckten
Traktat des neuerdings bekannter werdenden Thomiften
Herväus Natalis (f 1323) zum Ausgangspunkt nimmt, befaßt fich
Krebs mit der Frage des wiffenfehaftlichen Charakters der Theo-