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Ausgabe:

1913 Nr. 22

Spalte:

695-696

Autor/Hrsg.:

Cambell, R. J.

Titel/Untertitel:

Zehn Predigten 1913

Rezensent:

Niebergall, Friedrich

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 22.

696

in dem Ausdruck liegt, daß er und Gott von,Natur' gleich, j fruchtbar, indem er aus dem Chriftus in uns Mahnungen
in gewiffem Sinne ,eins' find, einer im andern leben. Die I und Troft, Motive und Quietive herauszieht, und das gibt
letzte, achte Vorlefung bringt noch einmal einen Blick keinen üblen Klang.

auf den gegenwärtigen Stand der Chriftusfrage. Im An- j Homiletifch ift mehreres intereffant. Einmal entfpricht
fchluß an ein Supplement des (amerikanifchen) Hibbert j in der Regel jenem Verhältnis von Verkündigung und
Journal von 1909 ift auch er bereit, den Gegenfatz, der Anwendung der Aufbau der Predigt. Auf einen ausführ-
durch die Theologie unferer Tage geht, in der Frage 1 lieh religiös theologifchen Teil folgt die kräftig anfallende
Jesus or Christ?' zur Anfchauung zu bringen. Jefus, der j Anwendung. So bekommen dann alle Reden eine mehr
religiöfe Genius und Held, der an fich der Vergangen- j vortragsartige Geftalt, als uns Deutfchen zu paffen pflegt,

heit gehört, aber in feiner Größe noch und vielleicht immer
bei denen nachwirkt, die Gott fuchen, oder Chriftus, der
ewige, überweltliche Gott felbft in menfehlicher Geftalt,

Aber follte nicht diefe ausführliche und freimütige Erörterung
von religiöfen Zeitfragen überall eine große
Aufmerkfamkeit finden? Diefer echt englifchen Gleich -

der wirkliche Herr Himmels und der Erde, der nicht j gültigkeit gegen die Form entfpricht auch der Ton der
nur gelebt ,hat', fondern ,lebt und regiert'? S. meint, es j edlen Umgangsfprache, wie er durch die faft fehlerlofe
komme doch nicht auf die Disjunktion, fondern die Kom- i Überfetzung hindurch klingt. Natürlich fehlt es auch nicht
bination von Jefus' und .Chriftus' an, auf Jefus-Chriftus': an einem komifchen Bild; denn wer muß nicht fchmunzeln,

ein Liebhaber paradoxer Rede könnte fagen, ,die Kirche
fei auf einem Bindeftrich (upon a hyphen) erbaut'; dies
Wort von Percy Gardner eignet er fich an. Ich bin, ohne

wenn C. Seite 53 ausführt, falls die guten Lebensverhält-
niffe ausreichten, die Seele dem Lichte zu erfchließen,
dann gliche das Haus der Lords einer Verfammlung von

gerade Paradoxien zu lieben, der gleichen Meinung. Die Erzengeln? Endlich aber: der Mann kann reden, reden

Formel, Jefus-Chriftus oder Jefus der Chriftus ,ift' Gott, kann
ich mir freilich nicht mit zu eigen machen. Wo die Kirche
fo geredet hat, ift fie zu Gedanken übergegangen, die das
Neue Teftament nicht bietet, nicht Jefus felbft, nicht
Johannes, nicht Paulus. Aber Jefus der Chriftus war und
ift die slxmv rov &sov, das ajtavyaaua rrq dbg^c avrov,
der xaQaxrrjQ rfjq vjcooraOemq avrov. Diefe biblifchen
Ausdrücke kommen bei S. nirgends vor, und fofern fie
mir der eigentliche Leitftern der rechten Chriftologie
dünken, kann ich in beftimmtem Maße nicht S.'s .fuller
type' für ganz den richtigen halten, fo beftimmt ich mich

Wie fließt feine Sprache fo leicht dahin, wie wechfeln
gedankliche Ausführungen mit eindrucksvollen Gleichniffen
und Bildern! Wie beherrfcht er den Gebrauch der Fragen
und der Imperative! C. fcheint mir ein Typ des großen
Redners, wie er bei uns in Deutfchland feiten ift. — Nur
eine Predigt hat mir gar nicht gefallen können, nämlich
Nr. 7 über Judas, in die er aus einer katholifchen Legende
einen üblen, sentimentalen Zug hineinbringt. Aber fonft
verfteht C. es, biblifche Geftalten, wie Jefus und feine
Eltern oder Elias pfychologifch vertieft zu zeichnen, und
das Ewige an ihrer Gefchichte vergeiftigt als unfere Entfern
halte von dem, was er den .reduced type' nennt, i Wicklung oder unfere Aufgabe herauszuftellen.
Ich komme mit dem ,Chriftus'-Gedanken als folchem Heidelberg- F Niebergall

weiter als S. Vielleicht darf ich, ohne unbefcheiden zu 1

werden, dabei auf meinen Auffatz ,Das Meffiastum Jefu' ! uttendörfer, Sem.-Dir. Gv. Das ErziehungsweTen Zinzendorfs

in .Zeitfchr. f. neuteftamentl. Wiffenfchaft etc.' (von Preu- ■ o.jij.._«_,«:_„ ;„ r«:.,__«„,-____ .

fchen), 1911, verwehen. Einiges habeich da vorgebracht, £ der Brtidergemeine .n Temen Anlangen. (Monumenta

was S. trotz feiner weitumfehauenden Betrachtung nicht Germaniae paedagogica. 51. Bd.) (X, 271 S.) Lex.-8».

fleht an dem chriftologifchen Problem. Berlin, Weidmann 1912. M. 7.20

Je weiter die Vorlefungen vorrücken um fo mehr j Es ift fchlechthin unmöglich, die Fülle von Gedanken,

4. a ■ ■ » am am 1 * 4 a L a I "L. a a 1 a a- a m D . . a 1 -fi rtU 4- T a L L a 1a a . « . _ <-> _ . _ _

nimmt S. auf englifche Theologen Rückficht. Ich habe
da vieles aus der Theologie feines Landes und Amerikas
im 19. und 20. Jahrhundert erfahren, was ich noch nicht
kannte. Es find viel feine Gedanken dort aufgebracht.
In dem Anhang .Symbolism' bringt auch S. felbft noch
einmal fehr feine Gedanken, nämlich darüber, wie man
die Bibel und ihre Ausdrucksweife würdigen müffe. Es
find Gedanken, die mich fehr an Newmans (des fpäteren
Kardinals) jugendliche Anfchauungen erinnern.

Halle a. S. F. Kattenbufch.

welche gedruckten und ungedruckten Urkunden über das
Erziehungswefen nach den Anfchauungen Zinzendorfs und
der Brüdergemeine in der Zeit von 1723 bis 1738 entnommen
und von dem Verfaffer geordnet und mit verbindenden
bezw. abfchließenden Bemerkungen zufammen-
geftellt und beurteilt find, in einer Anzeige für eine
theologifche Zeitfchrift in irgendwie erfchöpfender Weife
zu veranfehaulichen und zu würdigen. Ich befchränke
mich darauf, den ungewöhnlich reichen Inhalt diefer ver-
dienftvollen Arbeit nur unter zwei Gefichtspunkten zu
fixieren. Erftlich ergibt fich aus derfelben, daß fich in

Campbell, R. J.: Zehn Predigten. Autorifierte deut. Über- j der kurzen Zeit von anderthalb Jahrzehnten bei Zinzen-
fetzg. v. Martha Pick. Mit e. Vorwort v. Otto Baum- ! dorf und feiner Gemeinde eine fehr wefentliche Wandlung
garten. (VII, 107 S.) 8<>. Tübingen, J. C. B. Mohr 1912. j ^ «Jeren Erziehungsanfichten vollzogen hat Am Anfang
s • / 1 M — hM —t ^EEgt man ln Herrnhut im Anfchluß an die große ,Er-

2 , geb. M. 3 j Weckung'1727, welche auch die Kinder ergreift, im Wefent-
Natürlich fleht jedermann gleich nach der dogmatifchen 1 liehen den Anfchauungen des älteren, namentlich des
Haltung diefer Predigten; ift doch C. der Mann der .Neuen j Hallefchen Pietismus, unter deffen Einfluß Z. bekanntlich
Theologie', einWort, das er freilich felbft in einer der Predig- j felbft in feiner Jugend ftark geftanden. Wie Spener arbeitet
ten ablehnt Wann werden wir aufhören alles ohne Unter- ! Zinzendorf an der religiöfen Erziehung der Jugend durch
fchied, Predigten und Agenden dogmatifch zu richten, j einen eigens von ihm zu diefem Zwecke zufammengeftellten
anftatt Homiletifches homiletifch und Liturgifches litur-| Spruchkatechismus; wie Francke begründet er ein Waifen-
gifch zu richten? — Immerhin bedarf es bei C. auch einiger haus, aus dem fich eine Latina abzweigt, und ein Päda-
Worte über den Inhalt feiner Verkündigung, aber nur i gogium für Zöglinge höherer Stände, welches letztere aller-
unter dem praktifchen Gefichtspunkt. In ihrem Mittelpunkt dings nur kurze Zeit beftand. Das Ziel, das man anfangs
fteht Gott, der überweltlich und innerweltlich ift, oder j mit pietiftifchem Drängen erftrebt, ift die .Bekehrung' der
Chriftus, der ewig und gefchichtlich, der über und in Zöglinge. Unter diefem Gefichtspunkte gruppiert man
uns ift. Diefe Gedanken treten häufig und mit Kraft die Zöglinge in Tote, Erweckte und Bekehrte. Beobach-

immer wieder hervor, wie es bei allen felbft errungenen
Gedanken der Fall ift. Aber das ift die Hauptfache: diefe
feine Logosreligion — ift fie nicht ein Zeichen einer Wendung
von den Synoptikern zu Johannes? — macht er in
feinen eigentümlichften Predigten mit Kraft praktifch

tung und Erfahrung führen dazu, fich von diefer Auf-
faffung abzuwenden und unter Anerkennung der Tatfache
einer individuellen Verfchiedenheit der Entwicklung der
einzelnen Kinder es als eine Hauptaufgabe zu betrachten,
die Zöglinge vor dem Böfen zu bewahren. Zu diefem