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Ausgabe:

1913 Nr. 22

Spalte:

679-681

Autor/Hrsg.:

Spitta, Friedrich

Titel/Untertitel:

Ein Lebensbild Jesu aus den drei ersten Evangelien 1913

Rezensent:

Hoffmann, Richard Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 22.

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man von der Einzigartigkeit feiner eigenen Religion überzeugt
war und die Welterbauung als ihre Aufgabe anfah,
um fo mehr fühlte man die Notwendigkeit, das, was an
geiftlichen Gütern auf anderem Boden gewachfen war,
fich anzueignen und feiner eigenen Religion zu affimi-
lieren. In überzeugender Weife legt B. diefe verfchiedenen
im Spätjudentum nebeneinanderherlaufenden religiöfen
bezw. theologifchen Anfchauungen dar und zeigt, wie
nicht wenige von ihnen ohne die Annahme außerjüdifcher
Einflüffe gar nicht begriffen werden können. Der letzte
Paragraph befchreibt die religiöfe Eigenart des Diafpora-
judentums, das fich zwar von dem paläftinenfilchen
Judentum nicht prinzipiell, aber doch durch gewiffe ihm
eigentümliche Züge unterfcheidet: durch die Aufnahme
griechifcher Lebens- und Denkart, durch das ungleich
ftärkere Zurücktreten des Kultifchen und Gefetzlich-Le-
vitifchen und durch das ftarke Hervortreten der apolo-
getifchen Tendenz. Aus dem Erften begreift fich die
Entftehung der LXX, aus dem zweiten die Umdeutung
des Gefetzes durch das Mittel der allegorifchen Exegefe,
eine Umdeutung, die nicht feiten auch durch apologetifche
Motive beftimmt ift, infofern man dadurch das Judentum
heidnifchem Empfinden mundgerechter zu machen fuchte.
Aber bei alledem verliert fich das Judentum doch nicht
an die es umgebende heidnifche Welt, vielmehr wird der
diefem Diafpora-Judentum charakteriftifche fynkretiftifche
Zug durch das andere Beftreben der Selbftbehauptung
überboten. Eine Skizzierung der Anfchauungen Philos,
in dem die Vermifchung des Judentums mit dem Hellenismus
ihren Höhepunkt erreicht, fchließt die Darfteilung
ab.

Ein ausführliches Sach-, Stellen- und Autorenregifter
erleichtert die Benutzung des Buches.

Bei der Schwierigkeit der hier behandelten Probleme,
namentlich bei der Unficherheit des Bodens, auf dem wir
uns mehrfach bewegen, wäre es ein leichtes, eine nicht
kleine Zahl von Differenzen mit dem Verf. herauszuheben.
Der Ref. verzichtet aber gern darauf, denn folche Differenzen
find felbftverftändlich für jeden Urteilsfähigen,
befagen aber nichts über den Wert des Buches. Es kann
nicht zweifelhaft fein, daß diefer zweite Band von B. sich
würdig an den erften von Stade anfchließt: durchfichtige
und fachgemäße Anordnung des Stoffes, klare und in
allem Wefentlichen erfchöpfende Darfteilung, endlich große
Befonnenheit des Urteils, das find die unverkennbaren
Vorzüge des Buches. Möchte es viele dankbare Lefer
finden.

Straßburg i/E. W. Nowack.

Spitta, Friedrich: Die fynoptifche Grundfchrift in ihrer Überlieferung
durch das Lukasevangelium. (Unterfuchungen
zum Neuen Teftament, hrsg. v. H. Windifch, Heft 1.)
(XLVIII, 512 S.) 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1912.

M. 14 — ; geb. M. 15 —

— Ein Lebensbild Jefu aus den drei erlten Evangelien.
Deutfche Überfetzg. der fynopt. Grundfchrift in ihrer
Überlieferg. durch das Lukasevangelium. (36 S.) 8°.
Ebd. 1912. M. —60

Es ift fehr dankenswert, daß der in der Evangelien-
forfchung fo vielfach tätige Verf. fich nunmehr entfchloffen
hat, ein wefentliches Stück feiner Auffaffung von der
fynoptifchen Frage in extenso vorzulegen. Setzten doch
fo manche feiner früheren Arbeiten, die fich mit den
Synoptikern befchäftigten — vgl. die überfichtliche Zu-
fammenftellung derfelben in der Einleitung S. VIIf. — eine
beftimmte, originelle Auffaffung von dem literarifchen
Verhältnis der drei Schriften zu einander voraus, mit deren
Richtigkeit die von ihm vertretenen Pofitionen zum nicht
geringen Teil ftehen und fallen.

Es ift die Urmarkusfrage, die Sp. wiederum aufrollt
, und zwar mit der Problemftellung, ob nicht der
Überlieferungsftoff aus dem Leben Jefu, der uns im
wefentlichen bei Marc, vorliegt, die .fynoptifche Grundfchrift
', wie Sp. fie nennt, in den beiden anderen Synoptikern
oder wenigftens einem derfelben in einer erheblich
älteren Form noch erhalten ift, als bei unlerem zweiten
Evangeliften. Denn es ift nach unferem Verf. klar, ,daß
bei Ausfchaltung des erften und dritten Evangeliums als
von Marc, abhängiger Schriften die Feftftellung der verfchiedenen
Schichten des zweiten Evangeliums in uner-
wünfchtem Maße dem fubjektiven Ermeffen überlaffen
bleibt' (Einleitung S. VI). Während nun frühere Forfcher
bei der Rekonftruktion des Urmarkus fich vor allem auf
das erfte Evangelium geftützt haben, ftellt Sp. zwar auch
an einer Reihe von Stellen des Matth, deutliche Spuren
einer Rezenfion der Grundfchrift feft, die älter als unfer
kanonifcher Marc, ift, fehr viel weitergreifend find ihm
aber die Unterfchiede zwifchen diefer Rezenfion (Marc.1)
und einer noch älteren Form der Grundfchrift (Gr.1),
die er noch aus Luc. glaubt herausfchälen zu können.
Sie ift nach ihm urfprünglich aramäifch verfaßt gewefen
(S. XI u. 498 f.) und in griechifcher Überfetzung von Luc.
wie Marc.1 benutzt worden. Ihre Abfaffungszeit fetzt er
fehr früh an, noch vor der Enthauptung des Zebedaiden
Jakobus, als die Weisfagung Jefu noch zutraf, daß keinem
der Apoftel ein Haar gekrümmt werden follte, vgl.
Luc. 21, 18 (S. 477f.). Über die Verfafferfrage fpricht er
fich leider nicht näher aus, fcheint aber einen Apoftel als
Autor anzunehmen (S. 476).

Von diefer von ihm rekonftruierten Urfchrift erhalten
wir im Eingange feines Buches eine deutfche Überfetzung,
die als ein ,Lebensbild Jefu aus den drei erften Evangelien'
auch feparat erfchienen ift. In Anmerkungen werden
dann noch die Ergänzungen wiedergegeben, durch die
der dritte Evangelift feine Vorlage erweitert haben foll.
Die Grundfchrift enthält natürlich, im großen und ganzen
betrachtet, den allen drei Synoptikern gemeinfamen Stoff,
freilich noch nicht, wie Sp. meint, von kleineren Stücken
abgefehen, die Berichte über die Speifung der $000, die
Vorbereitung des Einzugs Jefu in Jerufalem, die Tempelreinigung
und die Vorbereitung zum Paschamahl (vgl.
die Zufammenfaffung S. 462). Diefe Perikopen follen erft
von Marc.1 flammen und aus diefer Quelle vom dritten
Evangeliften zu feiner Grundfchrift hinzugefügt worden
fein. In diefer Annahme liegt m. E. der fchwächfte Punkt
der Spittafchen Pofition. Denn wenn Luc. neben der
Grundfchrift auch die Matth.-Marc.-Überlieferung (Marc. l)
benutzt hat, fo fragt man vergebens, nach welchen Ge-
fichtspunkten er aus der letzteren nur wenige Stücke
ausgewählt haben follte. Sp.'s Auffaffung erinnert hier
lebhaft an die Art und Weife, wie B. Weiß den erften
Evangeliften fowohl die apoftolifche Grundfchrift als auch
das Markusevangelium benutzen läßt.

Fehlte fo noch einiges in der Grundfchrift von dem
allen drei Synoptikern gemeinfamen Material, fo hat fie
anderfeits nach Sp. doch fchon manches enthalten, was
in Marc.1 refp. unferen Marc, nicht übergegangen ift;
fo z. B. — vgl. die genauere Zufammenftellung S. 480 —
einige Abfchnitte über den Täufer (bei Luc. 3, 1—3. 7—14),
das Gefchlechtsregifter (Luc. 3, 23 — 38), die drei Ver-
fuchungen Jefu (Luc. 4, 3—12), Jefu Predigt in Nazaret
(Luc. 4, 16—22a. 24).

Anderes foll zwar in unferen Marc, aufgenommen worden, jedoch
an einer beftimmten Stelle, innerhalb 3, 2t, durch ein Verfehen fpäter
ausgefallen fein. Diefer V. befage zunächft, daß die Jünger (ol Tiact
avzov) hinausgegangen feien, den Volkshaufen zurückzuhalten. Mit den
darauf folgenden Worten sXeyov yff», ozi breche aber die Darftellung
ab. Denn das letzte Wort des Verfes, it-soir/, fei nur das Überbleibfei
eines Berichts von einer Dämonenaustreibung, die das Erftaunen
(£§ioTao&ai wie in Matth. 12, 23) des Volkes hervorgerufen habe. Diefer
Bericht habe zwar noch nicht in Gr.1 geflanden, wohl aber anderes,
was hier unmittelbar vor ihm bei Marc, ausgefallen fei: die Feldpredigt
und einige den Täufer betreffende Abfchnitte (cf. Luc. 6, 17—49;
7, 1 a. 16—35), — all° Stucke> die in der Regel auf Rechnung der
,Logien' gefetzt werden, während für Sp. die fynoptifche Logienquelle