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Ausgabe:

1913 Nr. 20

Spalte:

615-617

Autor/Hrsg.:

Heitmüller, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Jesus 1913

Rezensent:

Wernle, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 20.

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fange herangezogen; auch hier habe ich durch zahlreiche
Stichproben einen günftigen Eindruck erhalten. Wertvoll,
wenn auch noch nicht abfchließend, find die femafiolo-
gifchen Teile und die bei wichtigeren Wörtern hinzugefügte
Skizze der Verbreitungsgefchichte (die nicht immer, wie nach
dem Vorwort zu erwarten wäre, die,Entwicklungsgefchichte'
gibt). Erwünfcht wäre der Hinweis auf moderne lexika-
lifche Einzelunterfuchungen und im Verzeichnis der Autoren
fchon jetzt die Angabe des Todesdatums und der Ausgaben
.

Der Benutzung hinderlich ift der Umftand, daß die
Wörter nicht alle in ftreng alphabetifcher Folge gegeben
find. Crönert wird dafür feine Gründe haben (er hat fie
bis jetzt nicht angedeutet), aber in praxi wird dadurch
manches Wort unauffindbar. Wer würde z. B. in der
Lieferung a—aifiazoQQVzoq die 8 Wörter av^rj—avgrjzög
fuchen? Oder die vielen Wörter von aifioßaQrj—aifio-
Qvyxiaq? Unbedingt nötig find dann doch Verweife, wie
fie z. B. bei astvariq ufw., dd-yLsvz^g ufw. flehen, für
dyiözevm ufw. aber fehlen.

Daß eine Anzahl von Verfehen flehen geblieben ift,
kann bei einem fo umfaffenden Mofaik von Einzelobferva-
tionen entfchuldigt werden.

äßßä ift nicht hebräifch, fondern aramäifch. ayaXXiäo) fteht nicht
„i. Eph. 92", fondern I(gnatius) Eph. 92. ayyeXoQ bedeutet Luk. 952
nicht Jünger, fonderu Bote, obwohl Jünger die Boten find. ayia'Qut
bedeutet weder Deut. 1519 noch Matth. 2319 opfern; warum fteht bei
Tjyiaa/xsvoc Hebr. 1010 und nicht eine ältere Paulusfteile? ayviafiog
fteht nicht Act. 226, fondern 2126. Bei äyvörjßa fehlt die neutft. Stelle
und ift ftatt lob Tob. zu lefen. Die Abkürzung „Gal." bedeutet „Galeu"
und „Calaterbrief"; das hat auch fchon in anderen Lexika zu Verwechslungen
durch die Leser geführt.

Ein Wort über das äußere Gewand des Lexikons
muß hinzugefügt werden. Man weiß, daß die Firma
Vandenhoeck & Ruprecht in der vorderften Reihe der
modernen typographifchen Bewegung fleht; der eine ihrer
Chefs gehört zu den Autoritäten in den Fragen der Aus-
ftattung wiffenfchaftlicher Bücher. Auf das vorliegende
Werk ift denn auch zweifellos eine ungewöhnliche Sorgfalt
verwandt worden: eine neue, von dem etwas fchnip-
pifchen & abgefehen, fehr gefchmackvolle griechifche Type
hat der Verlag fchneiden laffen, die, der englifchen Type
ähnlich, durch ruhige Gedrungenheit wohltut; Zweifpalten-
druck mit Linienbezifferung, plaftifche Zitierungsart und
ein Syftem praktifcher Textfektionen erleichtern das Lefen,
auch bei Lampenlicht lieft fich der komplizierte Satz aufs
bequem fie. Daß die Göttinger Firma dem Lafler der
Raumverfchwendung frönen werde, hat wohl niemand
erwartet; ich finde aber, die Raumausnutzung ift zu öko-
nomifch. In einem Lexikon will man doch ein wenig
freies Papier für Nachträge und Korrekturen haben, und
daran fehlt es etwas. Wo fich einmal eine halbe freie
Zeile ergibt, wird fie oft durch einen Bruchteil der vorhergehenden
oder nachfolgenden ausgefüllt. Dadurch
wird ja manche ganze Zeile gefpart, aber ob der Vorteil
bei einem auf 250 Bogen Lexikonformat berechneten
Werke fo groß fein wird? Ich würde da lieber einen
halben Bogen mehr haben und im Buche dafür mehr
Raum.

Dem verdienten Bearbeiter find neuerdings noch
Mitarbeiter zur Seite getreten; möchte die Riefenarbeit,
deren Wert allein durch einen Vergleich mit dem bis
jetzt Vorhandenen erkannt werden kann, zu einem guten
Abfchluffe kommen!

Korrektur-Nachtrag. Inzwischen ift die 2. Lieferung
(atfiazoöJiöörjzoq-a/Lcpixov) erfchienen.

Berlin-Wilmersdorf. Adolf Deißmann.

Heitmü11er, Prof. D.W.: Jefus. (VIII, 184 S.) 8». Tübingen,
J. C. B. Mohr 1913. M. 2 —; geb. M. 3 —

Diefe Schrift will zwei bereits gedruckte Arbeiten
Heitmüllers, den Artikel: Jefus aus .Religion in Gefchichte
und Gegenwart' Bd. III und den vor der chriftlichen Studentenkonferenz
in Aarau gehaltenen Vortrag Jefus von
Nazareth, der Weg zu Gott' einem weitern Leferkreis
darbieten. Den äußern Anlaß gab der Angriff des Frei-
I herrn von Schenk zu Schweinsberg auf einen Paffus des
Artikels Jefus' im preußifchen Abgeordnetenhaus am
I 12. April 1913, ein Angriff, der auf Grund eines aus dem
1 Zufammenhang geriffenen Zitates die dezidierte Unchrift-
lichkeit, ja moniftifche Lebensauffaffung diefes Univerfitäts-
lehrers bloßlegen wollte, um damit gegenüber Jülichers
neuefter Brofchüre das Recht der Entmündigung der Marburger
Fakultät zu beweifen (Vgl. den Abdruck der Rede
i am Schluß diefer Schrift). Heitmüller wählt den einzig
j richtigen Weg der Verteidigung: er druckt jenen ,fkan-
dalöfen' Artikel unverändert ab, begleitet von dem Vortrag
, den er drei Wochen vor jener Debatte in Aarau
I gehalten hatte. Völlig genügt zur Verteidigung hätte der
Artikel Jefus' allein. Wer ihn lieft, zufammen mit dem
Angriff, den er veranlaßte, fteht zunächft vor einem pfy-
chologifchen Rätfei, deffen nächfte Löfung in der Annahme
beliehen dürfte, der Angreifer habe Heitmüllers
| Artikel nicht, oder auf alle Fälle nicht ganz gelefen; denn
er traut Heitmüller auf Grund einer Stelle in allem Ernft
' einen Zweifel an der geiftigen Gefundheit Jefu zu, deffen
I Ausfprache ein Verfahren wegen Gottesläfterung rechtfertigen
würde, ohne die andere Stelle: Jefus wie je ein
Menfch gefund' überhaupt zu berückfichtigen.

Allein auch ohne diefe naheliegende Annahme ergibt
fich die Löfung des Rätfels ganz einfach aus der Taktik
des Parteikampfs um die Macht. In einem folchen
Kampf braucht nach Wahrheit und Gewiffen überhaupt
nicht gefragt zu werden; worauf es allein ankommt, ift,
, den Gegner vor der Öffentlichkeit herunterzumachen, und
] dazu gibt es kein befferes Mittel, als irgend eine fcharf ne-
j gativ oder fkeptifch klingende Stelle nach katholifchem
Müller aus dem Zufammenhang zu reißen und den Lefern
oder Hörern zu ihrem Entfetzen zu zeigen: fo fchreibt
der Mann wörtlich, was bedürfen wir weiter Zeugnis!
Es ift auch gar nicht zu zweifeln, daß das Mittel in diefem
Fall feinen Zweck erreicht hat, und für alle im Bann der
Partei Stehenden Heitmüller und mit ihm die ihm gleich-
gefinnten Kollegen der Marburger Fakultät gerichtet find.
Zu fürchten ift bloß, daß das Chriftentum, das mit diefer
Taktik wieder einmal vor dem Monismus gerettet wird,
ein folches ift, das einen Hohn nicht nur auf den Geift
Jefu, fondern auf Anftand und Billigkeit bedeutet, und daß
vor dem Forum der Ewigkeit das Urteil über Chriftlich-
keit überhaupt fehr anders ausfallen dürfte, als hier vor
dem preußifchen Abgeordnetenhaus.

Die Veröffentlichung der beiden Dokumente wird
doch auch, losgelöft von ihrem unmittelbaren Anlaß, ihr
gutes Recht behalten. Redet auch das einemal der Hi-
ftoriker, das anderemal der religiöfe Menfch der Gegenwart
, in Wahrheit ift es diefelbe einheitliche Perfönlich-
keit, die als Gegenwartsmenfch nie das ftrenge kritifche
Gewiffen des Hiftorikers, und als Hiftoriker nie die Ehrfurcht
und warme Liebe zu Jefus verleugnet. Man erkennt
in Aufriß und Tenor der beiden Schriften diefelbe
Geiftesart: das erfte Wort haben immer die Ehrlichkeit,
die Kritik, die Bedenken, und gewiffermaßen bleibt das
auch das letzte Wort; kein Pathos, keine Begeifterung
darf bis zuletzt einen Zweifel in eine Pofition verwandeln und
den Autor mehr fagen laffen, als er mit fauberem Gewiffen
verantworten kann. Aber gerade das ift der Grund, warum
mancher diefem Autor befonders gern fein Vertrauen
fchenken wird, wenn er ihn Schritt für Schritt vorwärts
führt zu feinen feilen hiftorifchen und religiöfen Pofitionen.
In befonders feiner Weife macht es der Aarauer Vortrag
klar, daß eigenes religiöfes Erleben allein der Weg zum
religiöfen Verftändnis Jefu fein kann, daß aber dies eigene
Erleben feil und reich wird durch Jefus und das Schöpfen
aus feiner Kraft. Nun, dasfelbe eigene, an Jefus vertiefte
und gekräftigte religiöfe Erleben wird ein Lefer, der dafür
überhaupt Gefühl hat, der hiftorifchen Skizze über