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Ausgabe:

1913 Nr. 20

Spalte:

614-615

Titel/Untertitel:

Passow‘s Wörterbuch der griechischen Sprache, völlig neu bearb. v. Wilhelm Crönert. 1. Lfg 1913

Rezensent:

Deissmann, Adolf

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613 Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 20. 614

Text zu korrigieren und Streichungen vorzunehmen. Sprach- und Stilgefühl
reagiert eben bei uns verfchieden und mit verfchiedener Stärke. Übrigens
läßt er fich durch diefen bewußten Widerfpruch nicht hindern, neben vereinzelten
Berufungen auf mich auch ein rundes Viertelhundert meiner Änderungen
und Streichungen anzunehmen, ohne mich zu nennen, ein Verfahren
, das man feit feinem Buche ,Das affyrifche Weltreich im Urteil
der Propheten' 190S fchon bei ihm gewohnt iß. Meine Unzurechnungsfähigkeit
in metrifchen Dingen erklärt er auf S. 107 in den Ausdrücken
höchfter Überlegenheit und unter Verweifung auf die Feftfchrift für Kittel
S. 202 f., wo er bereits vorher die Gelegenheit dazu ergriffen hatte. Ich
kann ihm verfichern, daß ich nach nunmehr vierzigjähriger Mitarbeit feine
Belehrung auf diefem Gebiete recht wohl entbehren kann, zumal nach den
Proben, die er uns an Propheten und Pfalmen in Fülle geboten hat.

Der Raum verbietet, auf alle Angriffe und Widerlegungsverfuehe,
auf alle Übergehungen und Mißdeutungen im einzelnen einzugehn und
fie zu widerlegen. Ich kann nur verfichern, daß keine feiner fo fieges-
gewiß vorgetragenen Ausführungen mich überzeugt und in meinem bisherigen
Urteil wankend gemacht hat. Gern überlade ich ihm die Wahl,
ob er das auf Befchränktheit oder Verftocktheit zurückführen will; denn
daß ihm das tertium non datur in diefem Falle feftfteht, fcheint mir bei
feiner offenbaren Unfähigkeit zu begreifen, wie man bei vollem Sach-
verftändnis und gutem Willen über diefelben Fragen zu entgegengefetzten
Urteilen kommen kann, ganz ficher. Daher eben feine immer wieder
ausbrechende zornige Entrüftung. Bedenkt man, wie viele neben mir davon
getroffen werden, weil fie in gleicher oder doch ähnlicher Verdammnis
find bis zu Leuten die Staerk fo hoch einfchätzt wie etwa Sellin, fo tun
fich' ganz überrafchende Ausblicke auf, und erft dann begreift man es
recht weshalb er fich lieber ein einzelnes Opfer ausgefucht hat.

Um aber auch den Verfaffer felbft zu Worte kommen
zu laffen und dem Lefer nicht vorzuenthalten, was er zu
bieten hat, will ich zum Schluß verfuchen, feine Ergebniffe
o-anz kurz und fachlich, in möglichft genauem Anfchluß
an feine eigenen Worte zufammenzufaffen, und zwar in
zeitlicher Reihenfolge der von ihm unterfchiedenen Faktoren
. Zuerft, etwa am Anfang des Exils (S. 127), ent-
ftand das Triptychon der drei erften Ebed Jahwe-
Lieder (42,1—4. 49,1—6. 50,4—9), aber in umgekehrter
Reihenfolge, das dritte voran, das erfte am Schluß (S. 123).
Der Held diefes Liederkranzes ift eine Idealfigur, fchon
mit einem Janusgeficht (S. 124), eine univerfale Erretter-
geftalt, ein prophetifch-priefterlicher Meffias, der idealifierte
Jeremia (S. 122—129). Das letzte Ebed Jahwe-Lied
K. 53 fchildert einen königlichen Märtyrer, deffen Martyrium
freilich durch konventionelle Hyperbeln in der Sprache
der Krankenpfalmen fehr übertrieben erfcheint (S. 1316*);
ihm wird eine glänzende Reftitution durch eine künftige
Herrfchaftsftellung in der Welt verheißen. Gemeint ift
König Jojachin, entftanden ift das Lied fehr bald nach
feiner Entlaffung aus langer Haft i. J. 561 (S. 129—136).
Über die Frage, wie der Liederkranz und das Einzellied
in ihrem Sonderdafein eingeführt oder eingefaßt gewefen
fein mögen, um verftändlich zu werden, erfahren wir nichts.
Als Dritter verfaßte Deuterojefaja vor 538 (S. 94) die
Jakob-Ifrael-Hyro.nenK.40f. 42,10—48,21. Er kannte
die Dichtungen von dem prophetifch-meffianifchen Ebed,
übertrug aus ihnen abfichtlich den Ehrentitel ,Knecht
Jahwes' auf Ifrael und wurde zugleich unbemerkt von
deren Stil und Sprache beeinflußt (S. 141). Ein anderer
Dichter fchuf die Zion-Jerufalem-Hymnen 49,8—
tjI;I_52,12 K 54f., und zwar nach Erlaß des
al'lo-emeinen Edikts, alfo Ende 539 oder Anfang
538&(S. 96). Die Heilshofihung ift hier nicht nur enger,
fondern auch mehr irdifcher und nationaler Art (S. 72).
Die letzte Arbeit an dem Buche tat ein Bearbeiter aus
den von Deuterojefaja angeregten prophetifchen
Kreifen (S. 140). Vielleicht hat auch er erft K. Aoff. und
K. 49fr. mit einander vereinigt; die andere Möglichkeit
wäre alfo, daß eine fünfte Hand fchon vor ihm diefe Vereinigung
'vollzogen hätte. Jedenfalls hat er aus den vorhandenen
Ebed-Dichtungen eine Anzahl ausgewählt, fie
durch kühne Umdeutung auf das Volk, als ideales Ganzes,
in feinen Begleitworten (42,5—9- 49,7- 50, 10. 52,13—15)
zu beleuchten verflicht, fle in die große Doppelfchrift
eingefügt und dadurch ,die Leitmotive, die fich in verfchiedener
Geftaltung durch die ganze Schrift Jef. 40fr.
hinziehen, kräftig herausgehoben'. ,Die enge Verwandt-
fchaft der Leidens- und Siegergeftalten des Ebedliedes
49, iff. und des Hymnus 53, 1 ff.' hat ihn wohl zur Aufnahme
auch des letzteren veranlaßt (S. 140). So kam
durch die auf einander folgende Arbeit von fünf oder
fechs Dichter-Perfönlichkeiten unfer Buch bis auf Kleinigkeiten
zu Stande.

Die Wahrfcheinlichkeit des fo vorgeftellten Prozeffes
kann ich ganz auf fich beruhen laffen. Selbft wir hart-
näckigften Vertreter der Einheit des Buchs und der Kol-
lektivauffaffung des Knechtes Jahwes können uns der
fchönen präftabilierten Harmonie, die in diefem Endergebnis
zu Tage tritt, aufrichtig freuen und uns damit tröffen, daß
auch nach Staerk nicht nur der letzte Redaktor, fondern
fogar Deuterojefaja felbfl unferen Irrtum zur einen Hälfte
geteilt, zur anderen gewollt haben.

Marburg. K. Budde.

Patfow's Wörterbuch der griechilchen Sprache, völlig neu
bearb. v. Wilhelm Crönert. 1. Lfg. (160 Sp.) Lex.-8°.
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1912. M. 2.80

Wer die Notftände der griechifchen Lexikographie
kennt, wird das neue Unternehmen Crönerts. an dem
auch der rührige Verlag das vollgerüttelte Verdienft der
Initiative und Fundierung hat, aufs wärmfte begrüßen.
Auf keinem Gebiete der griechifchen Philologie herrfchen
zurzeit fo jammervolle Zuftände, als auf dem Felde der
Wörterbücher. Der ungeheure Ertrag der feit Jahrzehnten
neuerfchloffenen literarifchen und unliterarifchen Texte
ift überhaupt noch nicht regiftriert worden, der Fortfehritt
der Sprachforfchung, Textkritik und Interpretation iftin den
Lexika fo gut wie gar nicht zu verfpüren, — begreiflicher
Weife: fpiegeln doch die heute immer noch gebrauchten
Werke im ganzen den Stand der fünfziger Jahre des
vorigen Jahrhunderts wider, beftenfalls. Auch das in
Athen erfchienene Miya Ae^ixov ift nur ein fehr kleiner
Fortfehritt gewefen. Warum nun das vom Verlag Vandenhoeck
& Ruprecht feit Jahrzehnten erftrebte neue Lexikon
abfolut den Namen ,Paffow' weiterführen foll, ift mir nicht
recht verftändlich; fachliche Gründe liegen nicht vor, denn
auch Paffow, der Erneuerer des .Schneider', ftand in der
weit überwiegenden Zahl feiner Angaben auf den Schultern
der Vorgänger. Es find wohl verlagstechnifche Rück-
fichten (z. B. auf den leichteren Abfatz unter dem alten
Namen) maßgebend gewefen; ich glaube aber, auch für
den Abfatz war die Fortfchleppung des veralteten Namens
unnötig. Jedenfalls muß der Käufer wiffen, daß der völlig
neu bearbeitete Paffow tatfächlich ein völliger Crönert
ift. Und er mag fich diefen Namen bei den Heiligen der
Studierftube merken; ift doch die Lexikographie die recht
eigentlich moderne Form des Martyriums: quem Di oderunt
lexicographum fecerunt. Crönert erträgt feine Paffion mit
guter Haltung, und feine Qualen werden zur Zuflucht der
anderen. Er hat, das gilt jedenfalls für die Teile feiner
Arbeit, die zu beurteilen ich in der Lage bin, in diefer
erften Lieferung ein Werk unermüdlichen Fleißes, trefflicher
Sachkenntnis und namentlich größter Vertrautheit mit den
bisher nicht ausgefchöpften Quellen vorgelegt. Der gefamte
griechifche Sprachfehatz (ohne die Eigennamen) von Homer
bis zur byzantinifchenZeit ift einbezogen; von Prokop anfällt
die byzantinifche Gefchichtsfchreibung fort, während die
gleichzeitigen Dichter und Philofophen noch berückfichtigt
find. Innerhalb diefes ganzen Gebietes find große Bereicherungen
natürlich durch die Infchriften und Papyri
gekommen, aber auch durch die Gloffen undLehnwörterder
Lateiner, die Lehnwörter der Kopten und Armenier, felbft-
verftändlich auch durch die neuentdeckten oder doch zum
erften Male verwerteten Autoren. Ich habe z. B. fofort
geprüft, ob die Arifteasepiftel und der Periplus des Ery-
thräifchen Meeres verwertet feien (beide ftehen nicht im
Verzeichnis der Abkürzungen von Autorennamen) und
fand beide in allen Fällen meiner Stichproben zuverläffig
benutzt, ebenfo wie z. B. auch Vettius Valens. Septua-
ginta und Neues Teftament find ebenfalls in einem in
allgemeinen Wörterbüchern bisher nicht gekannten Um-