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Ausgabe:

1913 Nr. 2

Spalte:

38-39

Autor/Hrsg.:

Konrad, Alois

Titel/Untertitel:

Johannes der Täufer 1913

Rezensent:

Bauer, Walter

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 2.

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Verliehe ich C. recht, fo ift diefe der Arbeit Sellins an 1 als die kritifche Schule zugeben will; aber was bei unterer
Umfang fall gleiche Replik weniger um deswillen ver- J Anfchauung^ eine Äußerung fieghaften Glaubens und
öffentlicht, weil in jener bahnbrechende, neue Ergebniffe
vorliegen, als um der Beleuchtung willen, in die Sellins

1 kühnfter Hoffnung ift, wird fo zur hohlen, nichtsfagenden,
noch obendrein aus dem Ausland importierten Phrafe'.

Arbeit durch andere gerückt ift, ift es doch in neuerer
Zeit Mode geworden, nicht nur das Totenlied der alten
literar-kritifchen Schule zu fingen, fondern auch im Gegen-
fatz zu diefer fogenannt negativen kritifchen Schule
von der durch Sellin inaugurierten ,gläubigen Kritik' zu
fprechen. Es ift begreitlich, daß Cornill, der Verfaffer
des verbreitetften Lehrbuches der altteftamentlichen Einleitung
aus jener kritifchen Schule, fich veranlaßt fah,
Sellin gegenüber auf den Plan zu treten. Der Eindruck
, den Sellins Schrift auf Cornill gemacht hat, ift
ficher derfelbe bei vielen anderen gewefen: einerfeits muß
man fich der weitgehenden Zuftimmung zu vielen Reful-
taten der kritifchen Schule freuen, denn auf keinem Gebiete
der theologifchen Wiffenfchaften hat die ,rechte' Seite in
folchem Umfang umlernen müffen als auf dem der altteftamentlichen
VViffenfchaft — anderfeits wird man den
Eindruck nicht los, daß Sellin noch mitten aus dem
Gärungspro zeß heraus diefe Einleitung veröffentlicht hat,
denn nur fo laffen fich eine ganze Reihe feiner abweichenden
Refultate begreifen: fie find nur möglich, weil er nicht
die Konfequenzen aus feiner in vielen anderen Fällen vertretenen
Anfchauung gezogen hat, Reffe der alten An-
fchauung find geblieben, eben lediglich als erratifche
Blöcke, fie ftehen nicht in organifchem Zufammenhang
mit den jetzt von S. vertretenen Grundanfchauungen.

Wie verhängnisvoll diefe Gefichtspunkte wirken, erkennt
man am deutlichften an S.'s Stellung zu Jeremja: wo wir
den aus der Tiefe eines gefchlagenen Herzens hervorquellenden
Ton der Klage vernehmen, wo wir mit dem Herzblut
gefchriebene Ergüffe des Jer. fehen, findet S. ,den
freien Gebrauch von Zitaten aus betenden Liedern' vgl.
S. iosff.

Es würde zu weit führen, weitere Beifpiele zu geben,
ift auch nicht nötig, jeder wird aus dem oben Dargelegten
den Wert der Gabe Cornills erkennen, vielleicht trägt fie
zu einer ruhigeren Würdigung der Refultate der jüngeren
kritifchen ,pofitiven' Schule bei.

Straßburg i. E. W. Nowack.

Pottgießer, Rekt. Relig.-Lehr. Dr. Alex.: Johannes der
Täufer u. Jehls Chriftus. (168 S.) gr. 8°. Köln, J. P.
Bachem 1911. M. 2.40

Kon rad, Realfch.-Relig.-Prof. Dr. Alois: Johannes der Täufer.

Von der Wiener Univerfität ausgezeichnete Schrift.
(VI, 292 S.) 8°. Graz, Styria 1911. M. 4.20

P. wird bei feiner Arbeit von apologetifchen Zwecken
geleitet. Seine hiftorifche Unterfuchung foil das Ergebnis
abwerfen, daß das gefamte Leben des Täufers ein einziges
Cornill weift das treffend an Sellins Pentateuchkritik nach i großes Zeugnis für Jefus, d. h. den Chriftus der katho-

und zeigt mit unwiderleglichen Gründen, auf wie mor- lifchen Kirche und des Dogmas ift. In der Theologie
fchen Stützen diefe von der kritifchen Schule abweichende I des heutigen Proteftantismus nimmt die Apologetik keinen
fogenannte ,pofitive' Kritik fteht. Treffend zeigt Cornill an j hervorragenden Platz ein. Und wo fie gepflegt wird, hat
verfchiedenen Beifpielen aus der prophetifchen Literatur, fie ein wefentlich anderes Ausfehen. Da kann fie eine
wie gewiffe Refultate Sellins nur dadurch erkauft find, | Terminologie entbehren, wie der katholifche Apologet fie
daß er es verfäumt hat, diefelben Grundfätze zur Geltung j handhabt, wenn er von der .fundamentaltheologifchen

Bedeutung' des Täufers, von .Trinitätswundern' und Ähnlichem
redet. Doch nicht nur die Form in der fie dargeboten
werden, auch die Refultate felbft und die Methode
ihrer Gewinnung dürfen fich Eindruck wohl nur bei Kon-
feffionsgenoffen des Verf. verfprechen. Zwar fällt für die
evangelifche Theologie, foweit fie ,chriftusgläubig' ift, allerlei
Lob ab, und einem ihrer Vertreter wird fogar be-
fcheinigt, daß fich manche Abfchnitte feines Buches durchaus
wie die eines katholifchen Autors' lefen (S. 33). Daß
diefe Kreife aber das Entzücken P.s über die .Löningen
fo ganz katholifcher Art' (S.49), die er findet, teilen follten,
ift mir doch zweifelhaft.

Von den ,verneinungsfrohen Kritikern' aber, deren
/.erfahrene und fich gegenfeitig widerfprechende Darftellungen
' in fo fcheußlichem Gegenfatz zu der wohltuenden
Übereinftimmung der Anflehten der katholifchen
Johannesliteratur' ftehen (S. 30), hat der Verf. nur eine
unumwundene Ablehnung zu gewärtigen. Die .kritifche
Schule' wird ihm zunächft beftreiten, daß er fie überhaupt
fo gut kennt, um Wendungen wie die ,faft die ganze
liberale Richtung des Proteftantismus heute' (S. 77) wagen
zu dürfen. Ein fo wichtiges Buch z. B. wie Baldenfpergers
Prolog des 4. Evangeliums 1898 hat er offenbar nicht
gelefen, und die Bekanntfchaft des .hinlänglich bekannten'
D. Fr. Strauß fcheint er der Volksausgabe des Lebens J.
für das deutfehe Volk zu verdanken. Sodann werden
viele der Anficht fein, daß feine Stellung den Evangelien
gegenüber fchlechthin kritiklos ift. Wie wenig P. die
Fälligkeit befitzt, hiftorifch zu denken, zeigt die triumphierende
Erklärung, daß die Kritik die Evangeliften zu
.raffinierten Betrügern' mache und deshalb an ihren eigenen
blasphemifchen Konfequenzen hilflos zu Grunde gehen
müffe (S. 8. 9). Ift ihm fo der Standpunkt des freifinnigen
Proteftantismus gänzlich unannehmbar, fo hat diefer wieder
keinerlei Verwendung für Feftllellungeu wie die: ,Auf die
Engelsbotfchaft hin geht Maria zu Elifabeth, beide tun
fich ihre hohe Begnadigung kund, und zugleich erhält der



zu bringen, die bei dem Urteile über andere Stellen der
prophetifchen Literatur für ihn beftimmend waren. Be-
fonders gelungen fcheinen mir die Partien zu fein, wo
C. fich mit Sellin-Greßmann auseinanderfetzt, denn fo fehr
auch Sellin betont, daß er feine felbftändigen Wege geht,
es find doch von Greßmann zuerft ausgefprochene und
immer wieder geltend gemachte Gedanken, mit denen er
feine .pofitiven' Refultate gewinnt. Der eine Gedanke ift
der ,des Schemas': die Propheten übernehmen von den
Babyloniern ein fertiges Schema und ,es war ihre Aufgabe,
das ihnen überlieferte Schema mit den konkreten Situationen
in Einklang zu fetzen'. Selbft bei einem fo ,mit
Herzblut gefchriebenen elementaren Ausbruch der Verzweiflung
', wie er Jer. 20, 14 fr. vorliegt, muß ,das Schema'
herhalten, um die von diefer Stelle aus für Hiob fich
ergebenden Konfequenzen zu befeitigen. Solch Schema
ift begreitlich für die babylonifch-affyrifche Literatur mit
ihrem .abfoluten Mangel jedes perfönlichen Moments', der
durch die Jahrhunderte ein im Wefentlichen ftets gleichartiges
Bild des religiöfen Lebens gibt (vgl. O. Weber),
aber, wie Cornill mit Recht heraushebt, unvereinbar mit
dem Charakter der israelitifchen Literatur, die überall
Individualität, Leben und Entwicklung zeigt. Mit folchen
Mitteln gewinnt S. für die ältere Zeit ein paar prophetifche
Stellen mehr als die kritifche Schule, aber um den Preis, daß
er das, was nach der kirchl. Anfchauung das Herz der
ganzen Prophetie ift, als einen heidnifchen Importartikel
anerkennen, ja, daß er die Propheten zu Schwächlingen
machen muß, die nicht den Mut haben, ihre Gedanken zu
Ende zu denken, und ihnen fremde Ideen und felbft un-
verftändliche Vorftellungen fich aneignen, vgl. S. 76 ff. Zu
diefem Gedanken des Schemas kommt der andere des
,Hofftils', kraft deffen fich der jüdifche König offiziell
als erwarteter Heiland, göttlicher Erretter und Wtltregent
feiern läßt. Auch hier trifft C. mit feiner Kritik den Nagel
auf den Kopf: ,Man erreicht dadurch, daß wieder ein
paar Lieder des Pfalters für älter gehalten werden können,