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Ausgabe:

1913 Nr. 19

Spalte:

586-587

Autor/Hrsg.:

Pfister, Friedrich

Titel/Untertitel:

Der Reliquienkult im Altertum. 2. Halbbd 1913

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 19.

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Seinen Standpunkt enthüllen die Stellung zu den Quellen,
der Gebrauch dogmatifcher Begriffe, die Abfchnitte über
Glauben und Werke oder den Lohngedanken bei Paulus,
das Bedürfnis, die göttliche Offenbarung zu entfchuldigen,
die aus pädagogifchen Gründen die Urchriften nicht in
dem Wahn geftört habe, daß die Parufie nahe bevor-
ftünde (p. in). Es gelingt B. nicht, die hiftorifche Unter-
fuchung rein zu halten von Ausflügen in das Gebiet der
katholifchen und proteftantifchen Kirchenlehre, die zu
Vergleichen führen, bei denen regelmäßig die katholifche
Auffaffung obfiegt. W. Herrmanns Verkehr des Chriften
mit Gott wird in diefer Schrift zitiert; aber Reitzenftein,
Wendland und ihresgleichen fucht man vergebens. Überhaupt
befchränkt fleh Verf. darauf, die paulinifchen Ideen
auf Grund der Briefe vorzuführen, ohne fie in einen weiteren
religionsgefchichtlichen Zufammenhang hineinzu-
ftellen und dadurch das Verftändnis für fie und ihre
Äußerungsformen zu fördern.

Da rächt es (ich denn, daß er, umnureinBeifpielzu n ennen, über nvsvjia
handelt, ohne die bedeutfamen Erörterungen Reitzenfteins in den Helle-
niftifchen Myfterienreligionen 1910 zu berückfichtigen. Auch fonft ift
mancherlei auszufetzen. Daß aib(ia und öäp£ für Paulus das Gleiche
bedeute (S. 14), ift fo wenig richtig wie die Behauptung, das er ,nv£v/ta
und ayanrj promiscue gebrauche, daß mit beiden Ausdrücken im Grunde
diefelbe Sache bezeichnet wird' (S. 74). Durch die Feftftellung: ,wo das
TiVEißa ift, da ift auch die Liebe und umgekehrt', wird das nicht be-
wiefen. Die Liebe gehört zu den zahlreichen .Früchten des Geiftes' und
ift nach Gal. 5,22 von nysvfta ganz ebenfo zu unterscheiden wie etwa
Haxoo&vfiia oder rrpcaTnc. S. 69 findet B. in der paulinifchen Auffaffung
vom Gefetz keinerlei Widerfpruch. Aber er kann diese Meinung
doch nur aufrecht erhalten, indem er S. 95 einen innerlich fo einheitlichen
Satz bildet, wie diefen: ,Wenn aber auch die Verbindlichkeit des Ge-
fetzes erlofchen ift, fo können die heiligen Schriften für die Schärfung
des fittlichen Bewußtfeins dennoch fehr nützlich fein'.

Ernftlich muß man fchließlich noch die Hartnäckigkeit tadeln, mit
der B. gewiffe Namen falfch fchreibt: Hermann (ftatt Flerrmann), Junker
(ftatt Juncker), Jakoby (ftatt Jacoby) begleiten uns durch das ganze Buch.

Breslau. Walter Bauer.

Schubart, Wilhelm: Papyri graecae Berolinenses, collegit
S. (Tabulae in usum scholarum, ed. sub cura I. Lietz-
mann.2.) (50 Lichtdr.-Taf. u. XXXIV S. Text.) Lex. 8°.
Bonn, A. Marcus & E. Weber 1911. Geb. M. 6 —;

in Perg. M. 12 —

Lietzmann hat einen guten Griff getan, als er Schubart
für diefe Tafeln gewann, und Schubart hat achtzig gute
Griffe getan, als er die für das Studium der griechifchen
Papyri intereffanteften Texte des Berliner Mufeums (zwei
Stücke find aus Kairo, eins aus Hamburg) in diefem
prächtigen handlichen und billigen Bande vereinigte. Wie
Schubart mit großer Bereitwilligkeit und trefflichem Ge-
fchick meinen Zuhörern wiederholt im Berliner Mufeum
mündlich ein Privatiffimum über griechifche Papyri an der
Hand der Originale geboten hat, fo führt er hier durch
ausgezeichnete Facfimilia das immer mehr wachfende
Auditorium der für die jüngfte der Altertumswiffenfchaften
Intereffierten in die Geheimniffe der Papyri ein. Der
nächfte Zweck der Veröffentlichung ift die Darbietung
paläo o-raphifch charakteriftifchen Materials für den Anfänger.
Demgemäß find die mit Recht zeitlich geordnetenTextein der
praefatio auch nach ihrer Entzifferungsfchwierigkeit gruppiert
in leichte, mittlere und fchwere, und wer fich an
den fchweren, mittleren und vielleicht auch .leichten' abgequält
hat, 'erhält in den befonders gehefteten Seiten
VII—XXXIII der praefatio diskrete und auch laut vernehmbare
Hilfen des Lehrmeifters genug, braucht alfo
nicht zu verzweifeln. Die zeitliche Anordnung ermöglicht
ihm fodann, die Kultur Ägyptens durch mehr als ein
Jahrtaufend an Originaldokumenten zu ftudieren, Urkunden,
Briefen und (fehr zahlreichen) literarifchen Fragmenten.
Das ältefte Blatt ift ein Stück des 4. Jahrhunderts v. Ch.
aus den .Perfern' des Timotheos, die jüngften find Proben
aus einem chriftlichen Ofterfeftbriefe von etwa 719 n. Ch.
Die meiften Tafeln geben die Texte in Originalgröße; 1

die transfkribierten find fämtlich von Schubart neu ge-
lefen, dabei find nicht wenige Lefungen verbeffert worden.1
Einige Texte find zum elften Male publiziert. Tafel 8
enthält 5 Oftraka der Ptolemäerzeit, 17 eine Wachstafel
des 1. Jahrh. n. Chr., 30a ein Pergamentblatt des 2. Jahrh.
n. Chr., 43 b ein Pergament (jetzt zu Kairo) des 5. und
44a ein Pergament des 6. Jahrh. n. Chr. So fehen wir
neben den Papyri auch die meiften anderen Schreibftoffe
der antiken Welt in Schubarts Tafeln vertreten. Ich
wünfehe dem verdienftvollen Werke zahlreiche Benutzer
und rate ihnen, zur Ergänzung auch Schubarts fchönes
Buch ,Ein Jahrtaufend am Nil', Berlin 1912, zu lefen. Das
ift, nach fleißigen Werktagen über den Tabulae, ein Buch
für den Sonntag.

Berlin-Wilmersdorf. Adolf Deißmann.

Pf ifter, Frdr.: Der Reliquienkult im Altertum. 2. Halbbd. Die
Reliquien als Kultobjekt. Gefchichte des Reliquienkultes.
(Religionsgefchichtliche Verfuche u. Vorarbeiten.
2. Halbbd.) (XI u. S. 401—686.) Gießen, A. Töpel-
mann 1912. M. 10 —

Von dem in Jahrg. 1910 Nr. 20 Sp. 612—4 befpro-
chenen Werk ift foeben der 2. Halbband erfchienen, mit
fortlaufender Seitenzählung und neuem Haupttitel für den
V. Band der RGW — fatal für alle, die fich jenen i.fchon
binden ließen; die fortlaufende Zählung der Anmerkungen
fetzt dagegen neu mit 1 ein — warum das?

Behandelte der 1. Band das Objekt des Reliquienkultes
, fo bringt der 2. als zwei kürzere Teile: die Reliquie
als Kultobjekt und eine Gefchichte des Reliquienkultes
. Wir hören zunächft von dem Aufbewahrungsort:
Heroon und Reliquiar in Antike und Chriftentum, wobei
eine intereffante Parallele aufgewiefen wird: beidemal
wandert die Aufbewahrungsftelle von dem Grab unter
der Erde, über dem der Altar fleht, aufwärts in ein über
den Altar erhobenes Reliquiar, wofür orientalifche Einflöße
angenommen werden; wir möchten hinzufügen: wie im
Hellenismus aus Heroenkult Götterkult wird, fo geht im
Chriftentum das Gebet für die Märtyrer in die Gebetsanrufung
der Heiligen über. Bei der Lage des Grabes
ift die Ausnahme von der antiken Regel: die Toten gehören
aus der Stadt hinaus, von Bedeutung. Bei dem
Gräberkult kommt der Unterfchied von Heroen- und Götterverehrung
(epayiOfiaza und Q-voiai) wieder ftark zur Geltung.
Pfifter fucht in vielen Heroenkulten Züge urfprünglich
göttlicher Verehrung aufzuzeigen und fo die Thefe von
dem zum Heros depotenzierten Gott zu beweifen.

Das Werk gipfelt im 3. Teil, der Gefchichte des Reliquienkultes
, bei der es freilich nicht ohne Wiederholungen
abgeht, teilweife auch Ergänzungen und Korrekturen des
früher Gefagten angebracht werden. Der Reliquienkult
erfcheint als eine Form des Grabkults, mit der Voraus-
fetzung, daß einzelne Menfchen fchon im Leben über-
menfchliche Kräfte zeigen, die dann auch in ihren Über-
reften wirkfam find; zu diefer Heros-bildenden Voraus-
fetzung kann auch die Vermenfchlichung eines Gottes
führen, und diefer Vorgang ift überall da anzunehmen,
wo der Kult nach oben ftatt in die Tiefe weift, ygeoe, im
Epos noch allgemein Kriegs-Held, auch vom Zeitgenoffen
gebraucht, wird feit Hesiod auf die Helden der Vorzeit
befchränkt, um dann erft in helleniftifcher Zeit, als die
Apotheofe häufiger wird, weiteren Umfang zu bekommen.
Die Heroifierung Lebender bringt Pf. mit den Geburtstagsfeiern
und der Enkomien-Sitte zufammen; zuerft in

1 Ich verweile bei diefer Gelegenheit auf das verdienftvolle Unternehmen
von Friedrich Preifigke, Berichtigungslifte der griechifchen
Papyrusurkunden aus Ägypten, Heft i, Straßburg 1913; ohne diefe Lifte
von Verbefferungen und Ergänzungen kann man jetzt die älteren Papyruspublikationen
nicht mehr gut benutzen. Das erfte Heft enthält Liften
zu den Amherft-Papyri, den im Archiv für Papyrusforfchung veröffentlichten
und den BGU Bd. I—-IV.

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