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Ausgabe:

1913 Nr. 19

Spalte:

582-583

Autor/Hrsg.:

Trabaud, Henri

Titel/Untertitel:

L‘Indroduction à l‘Ancien Testament dans sa Phase actuelle. Premièr partie: La Loi ou le Pentateuque 1913

Rezensent:

Steuernagel, Carl

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 19.

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muß nichtfo gefaßt werden). Andererfeits aber glaubeich
allerdings noch immer wie auch Sellin, daß fich des Arnos
Wort nicht gegen Juda und Jerufalem gerichtet, daß er
an die Wiederaufrichtung der zerfallenen Hütte Davids
in der Zukunft geglaubt habe, nehme ebenfo mit Sellin
die meiften Heilsweisfagungen bei Hofea als wirklich
hofeanifch an. Doch fcheint es mir ein Fehler, daß Sellin
nicht mit einer Entwicklung der Ideen bei den einzelnen Propheten
zu rechnen fcheint. Bei Jefaja, wo der Immanuel wieder
als der Meffias gefaßt wird, fpielt das meffianifche Bild
für Sellin nach meinem Empfinden eine zu große Rolle.
Wenn ich auch zugebe, daß Jes. 9,1 ff. 11,1—8 jefajanifch
fein können: fo im Mittelpunkt der Gedanken des Propheten
hat der Meffias nicht geftanden, wie Sellin das meint.
Auch ift bei Heranziehung der in Jes. 36—39 gebotenen
Sagen doch m. E. mehr Vorficht anzuwenden als Sellin
das tut.

Sellins Stellung zu Deuterojefaja, feine Meinung, die
Gottesknechtlieder waren früher felbftändig, bezogen
fich auf Jojachin, wurden aber fpäter von ihrem eigenen
Verfaffer in einen größeren Zufammenhang hineingearbeitet
, ift ja bekannt — und beftritten. Gewiß find
wir auch heute noch weit von einer Löfung des Rätfels
entfernt, und man wird Grund haben, auch Sellins Ver-
fuche immer wieder zu erwägen, aber ob auf feinem
Wege die Löfung zu finden, fcheint mir recht zweifelhaft.

Daß er bei dem Verderbervolk in Habakuk (1,5 ff.)
nicht mit Duhm an Alexander und feine Makedonier
denkt, ift wohl zu billigen; auch ich glaube, daß diefe
Deutung nicht haltbar ift. Da nun aber auch die Schilderung
des Feindes, der mit feinen Reiterfcharen fturmwindgleich
daherbrauft, feine Waffen göttlich verehrt (1,15 vgl. auch 1,11,
wo vielleicht 1^3 IT zu lefen ift), auf die Baby-

lonier recht wenig, fehr gut dagegen auf die Scythen
paßt (vgl. Herodot B V. 52.69), fo liegt es nahe, an diefe
zu denken und in dem D^TOD V. 6. ein Verderbnis des
Namens der Scythen (niis» etwa) zu fehen. Da diefer
fonft im A. T. nicht vorkommt — die Scythen find ja
nur noch bei Jeremia und vielleicht auch bei Ezechiel
berührt —, wäre eine Änderung in die bekannten D'H'EO
leicht begreiflich. Übrigens fcheint mir Sellins Konjektur
zu 2,4: irt; nEsr b]9 = ,fiehe der Frevler, ohnmächtig
ift feine Seele in 'ihm', nicht fehr glücklich. Ich lefe ftatt
"3 rntjH: ^ !T1J5^ und bekomme dann den Sinn: feft
fteht — und fchreib das auf die Tafel als Deines Gottes
Wort —, daß am Ende doch der Frevler vergeht — fein
Leben hat vor Gott keinen Wert, — wogegen der Fromme
wegen feiner Treue den Lohn feines Lebens davontragen
wird: des foll fich Ifrael getröften.

Die 2. Studie über das Alter, Wefen und Urfprung
der altteftamentlichen Eschatologie bringt die Darfteilung
diefes Gegenftandes in Anlehnung und Auseinanderfetzung
mit Greßmanns bekannter Monographie. Auch Sellin ift
der Meinung, daß die Zukunftsfchau der ,Schriftpropheten'
ficher auf eine in ihren Zügen allgemein bekannte Unheilserwartung
zu führen fei. Sowohl Unheil- wie Heils- und Heilandserwartung
find nicht erft prophetifch oder gar nach-
prophetifch und nachexilifch, fondern vorprophetifch und
altifraelitifch. Dazu gilt: 1) daß man aus prophetifchen
Worten Dinge und Vorausfetzungen entnommen hat,
wozu diefe keinen Anlaß geben. Gewiß rechnet Jefaja,
Hofea, auch Arnos zum Teil mit fchweren Naturplagen,
worauf ich meiner Zeit in meinen Studien zur ifrael.
Religionsgefchichte auch hinwies; ob man dem nun mit
Sellin aber diefe Bedeutung geben kann, daß es fich hier
um ein altbekanntes Gemälde des Weltgerichts handelt,
in das die Propheten ihr Bild vom Gericht über Ifrael
hineinmalten, ift doch eine recht große Frage. Auch
vor Arnos weisfagten Propheten Unglück. Das wiffen
wir von Micha ben Jimla (1. Kön. 22), wie Sellin mit
Recht bemerkt, wogegen fein Verfuch, aus dem Vorwurf
des Ahab gegen Elias, den ,Unglücksbringer für
Ifrael', eine Unglücksweisfagung des Elias, zu erfchließen,

kaum auf Beifall rechnen darf. Aber es fragt fich, ob
fie bekannte Bilder des Unheils bei ihren Worten verwendet
haben — wofür bei dem Fehlen des Materials
der Beweis kaum zu erbringen ift; fragt fich dann weiter,
wie fie ihr Urteil begründet haben. Wenn Elias das
Niederreißen der Jahwealtäre in erfter Linie als Zeichen
des Abfalls vom Jahwebund hervorhebt (1. Kön. 19,14),
fo fpricht daraus doch ein recht anderer Geift als aus
den Worten eines Arnos, Hofea und Jefaja. Auch der
Gedanke des heiligen Reftes, den ich nie für exilifch oder
nachexilifch habe halten können (fiehe meine oben erwähnte
Schrift), läßt fich als von Arnos, Jefaja ufw. aus
bekannten Vorftellungen übernommen, kaum erweifen.

Was nun die Frage nach dem Wefen und Urfprung
der Heilserwartung in Ifrael betrifft, fo freue ich mich,
daß Sellin es glatt und klar ausfpricht: ,den eschatolo-
gifchen König kennt der alte Orient nicht', natürlich
Ifrael ausgefchloffen. Wenn er nun aber feinerfeits meint,
daß fchon in Altifrael der Glaube herrfchte, der ,Zukunfts-
herrfcher war von jeher bei Gott und infofern der erfte
aller Menfchen' (S. 177), wenn er die meffianifche Idee
fchon von Anfang an mit der Sinajreligion auf das innigfte
verbunden behauptet, fo ift das doch lediglich Phantafie.
Der meffianifche König hat doch feine Wurzel im Königtum
Ifraels. Über Davids Zeit führen die Quellen gewiß
nicht hinaus. Diefe aber nun nach Kräften wieder
möglichft in ein höchftes Alter zurückzufchieben, ganz
ohne Rückficht auf fprachliche Erwägungen (Pf. 2 aus
der Zeit des David oder Salomo trotz des Aramaismus
öyidl), geht nicht an. Es wird und muß notwendig auch ein
Rückfchlag gegen folche Übertreibungen erfolgen. Sellins
Aufriß von derHeils- und Unheilserwartung kommt doch im
wefentlichen auf die Pofitionen der alten Schule (Keil,
Delitzfch, Hofmann) hinaus. Die aber find durch die
kritifcheSchule endgültig niedergeworfen. Derzumachende
Neubau wird und muß einen anderen Anblick gewähren,
als wie es nach Sellin den Anfchein hat.

Auch der dritte Teil bringt viel Erwägenswertes, betont
mit Recht die Eigenart und Einzigartigkeit des hebräi-
fchen Prophetismus, hebt mit Recht hervor, daß die vergleichende
Religionsgefchichte durchaus nicht imftande
ift, die religiöfe Bedeutung Ifraels und feiner Propheten
zu mindern. Das bleibt beliehen, auch wenn man nicht
wie Sellin die Sinaioffenbarung fo hoch wertet, daß damit
ein Verftändnis der vorprophetifchen Jahwereligion Ifraels
mit ihren vielen ethnifchen Zügen erfchwert, wo nicht
geradezu unmöglich gemacht wird. So wird man bei
Ablehnung der Gefamtauffaffung der Sellinfchen Auf-
faffung doch mancherlei Anregung gern und mit Zu-
ftimmung entgegennehmen.

Als Verfehen find anzumerken: S. 6. Rieht. 3,6. 8
foll heißen Richter 4,6. 8. S. 26. Z. 11. v. u. 10,32 ft. 11,32.
S. 218. Anm. 6. Zeile 23 ft. 29. Auffallend ift die Behauptung
, daß die Stelle Jef. 30,28 noch nie angefochten fei.
Das Gegenteil trifft zu.

Bonn. Meinhold.

Trabaud, H., Docteur en theologie: L'lndroduction ä l'An-
cien Teftament dans sa Phase actuelle. Premiere partie:
La Loi ou le Pentateuque. (IV, 216 S.) 8°. Sainte-Blaise
et Roubaix, Foyer Solidariste 1911.

Den Anlaß zur Abfaffung diefes Werkes hat das Er-
fcheinen der Introduction ä l'Ancien Testament von
L. Gautier (vgl. die Anzeige von Volz in diefer Zeit-
fchrift 1907, Sp. 711 f.) geboten. Zu einem guten Teil ift
es ein kritifches Referat über diefes Buch. Doch geht
es in zwei Beziehungen darüber hinaus: gegenüber dem
etwas zaghaften, zu Kompromiffen geneigten Standpunkt
Gautiers vertritt Trabaud entfehiedener die Ergebniffe
der modernen Einleitungsarbeiten, wo fichere oder wahr-
fcheinliche Ergebniffe noch nicht gewonnen find, wenig-
ftens in der Form des Referates über die verfchiedenen