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Ausgabe:

1913 Nr. 2

Spalte:

36

Autor/Hrsg.:

Völter, Daniel

Titel/Untertitel:

Mose u. die ägyptische Mythologie 1913

Rezensent:

Herrmannn, Johannes

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 2.

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ziner zu wenig zu ihrem Rechte gekommen. Fredrichs
hippokratifche Unterfuchungen werden zwar zitiert, aber
feine Nachweife, wie bei den Medizinern die eine Richtung
eine naturphilofophifche Begründung fucht, die
andere fie ablehnt, werden nicht ausgenützt. Vor allem
war zu erwähnen, daß die Theorie von den vier Grund-
fäften Hippokrates nicht mehr zugefchrieben werden
darf und nur einer kleinen Gruppe der hippokratifchen
Schriften eignet. Bei den Kynikern ift die namentlich
von Ed. Schwartz betonte Tatfache, daß erft von Diogenes
dem Hunde an von einer kynifchen dycoyrj (nicht Schule)
die Rede fein kann, nicht berückfichtigt.

Große Erweiterungen hat der Abfchnitt über Plato
erfahren. Denn hier fügt Bonhöffer eine Analyfe jeder
einzelnen Schrift hinzu, die fich freilich mehr auf die
Hervorhebung von wichtigen Einzelgedanken als auf die
Gefamttendenz erftreckt. Die Scheidung von drei fchrift-
ftellerifchen Perioden billige ich natürlich, nur durfte die
Blütezeit nicht als Übergangsperiode bezeichnet werden.
Durchaus ftimme ich zu, wenn Bonhöffer die Zweifel an
der Echtheit von Parmenides, Sophift und Politikos fallen
läßt, wenn er in der Chronologie z. B den Phaidon viel
früher als den Sophift anfetzt. Leider hat Bonhöffer
daraus nicht die nötigen Folgerungen für die Darfteilung
der Lehre gezogen. Er fchließt fich im wefentlichen
Windelbands Auffaffung der Ideenlehre an, aber für diefe
war wefentlich, daß der Phaidon fpät gefchrieben ift und
auf die Kritik des Sophiftes Rückficht nimmt. Ebenfo
lieft man in der Pfychologie, wie Plato zunächft die Dreiteilung
der Seele lehrt und ,noch' im Phaidon die Spuren
diefer Auffaffung zeigt. So flehen hier auch im Text zwei
unvereinbare Anfchauungen. Das hätte Bonhöffer, auch |
wenn er Windelband möglichft zu folgen fuchte, vermeiden
müffen. Wer A fagt, muß auch B fagen.

Befonders erweitert ift natürlich mit Recht der Abfchnitt
über die helleniftifch-römifche Philofophie, namentlich
der über die Stoa. Hier fieht man, wie Bonhöffer
fich auf feinem eigenften Gebiete bewegt, und läßt feine
Ausführungen auch da auf fich wirken, wo man fich
felber andere Anflehten gebildet hat. Natürlich ftellt er
die Bedeutung und die Selbftändigkeit des Syftems höher
als Windelband. Betonen konnte er dabei noch, daß die
innere Unabhängigkeit des Individuums der Stoa durchaus
nicht bloß mit dem Kynismus gemeinfam ift, fondern
vom ganzen Rationalismus des vierten Jahrhunderts
verfochten wird. Die Mittelftoa konnte wohl noch
ftärker als felbftändige Bewegung gewürdigt werden und
hätte am heften eine gefonderte Behandlung erfahren.

Eine Frage fei dabei noch geftellt: Woher ftammt
die Lehre vom Xoyog jcgocpopixbc und avöiddstog, die
für die Späteren wie Philo fo wichtig ift? Für die alte
Stoa ift fie, wenn nicht ausgefchloffen, fo mindeftens
nicht nachweisbar.

Unter den Nachariftotelikern erfcheint wieder auch
Pyrrhon. Damit bin ich ebenfo wenig einverftanden
(vgl. Hermes XXXIX) wie mit der Darfteilung des Arke-
filaos, bei dem v. Arnims richtige Auffaffung nur nebenher
erwähnt wird, und des Karneades. Daß deffen Haupt-
leiftung nicht die ,Wahrfcheinlichkeitslehre' ift, fondern 1
die fcharfe Unterfcheidung eines objektiven Kriteriums,
das er leugnet, von dem fubjektiven (jti&avov), das für
praktifche Zwecke für uns ausreicht, habe ich in der
Einleitung zu meinem Kommentar zu Ciceros Tuscu-
lanen ausgeführt.

Beim Neuplatonismus finden fich manche gute neue
Bemerkungen, fo die Ablehnung der Bezeichnung ,dyna- 1
mifcher Pantheismus' für Plotins Lehre und der Hinweis 1
auf den ftarken Einfluß, den auf diefe der Stoicis-
mus geübt hat. Im Abfchnitt über die Patriftik vermiffe
ich befonders beim Gnoftizismus, der wie bei Windelband
als chriftliche Religionsphilofophie gefaßt ift, einen
Hinweis auf die entgegenftehenden Anflehten und Arbeiten
Bouffets.

Bonhöffer wird bei den fpäteren Auflagen noch
manches zu beffern haben. Jedenfalls muß man aber
anerkennen, daß fchon in der jetzigen Geftalt das Buch
ein fehr nützliches Hilfsmittel bildet.

Der in den beiden erften Auflagen als Anhang beigegebene
Abriß der Gefchichte der Mathematik und
Naturwiffenfchaften im Altertum foll in erweiterter Geftalt
gefondert erfcheinen.

Göttingen. Max Pohlenz.

Völter, Prof. Dr. Daniel: Mofe u. die ägyptilche Mythologie.

Nebft e. Anh. üb. Simfon. (IV, 59 S.) Lex.-8°. Leiden,
E. J. Brill 1912. M. 1.50

Völters Schrift,Ägypten und die Bibel' ift von A. Er-
man völlig abgelehnt worden. Demgegenüber will Völter
in der vorliegenden Schrift zeigen, daß er mit aller Ent-
fchiedenheit an feiner Pofition fefthält. Ermans ägypto-
logifche Einwände feien gering und für die Sache felbft
ohne Bedeutung. Es handle fich ja auch nicht fo fehr
um die Auslegung ägyptifcher Texte als um das Ver-
ftändnis altteftamentlicher Erzählungen und darin eben
weiche Erman prinzipiell von Völter ab. — Völter wird
fchwerlich durch die neue Brofchüre feine Pofition ftärken;
denn für die, welche wie der Rez. feine Beweisführung
ablehnen müffen, handelt es fich um die Methode überhaupt
, die Völter anwendet. Einige wenige Beifpiele,
ohne befondere Wahl herausgegriffen, werden genügen.
Bekanntlich ift Mofe für Völter urfprünglich ein Gott,
nämlich der ägyptifche Gott Thot, und erft fpäter ift aus
ihm eine hiftorifche Perfon gemacht worden.

Zu den Erzählungen, aus denen ,fein lunarer Charakter überhaupt mit
aller Deutlichkeit hervorzugehen fcheint', gehört vor allem Ex. 33, 12—23.
Das ift ,eine handgreiflich mythologifche Erzählung'. ,Daß Gott vorüberzieht
, während Mofe in eine Felfenhöhlung geftellt und fein Angefleht bedeckt
ift, weift auf eine Naturerfcheinung, nämlich auf die Konjunktion
von Sonne und Mond. In diefem Augenblick des Zufammentreffens beider
ift der Mond gleichfam verborgen, fodaß man ihn nicht fehen kann,
und fein Angefleht bedeckt, fodaß er felbft nichts fehen kann, d. h. es ift
dann unfichtbarer Neumond. Jahwe als Sonnengott und Mofe als Mondgott
flehen alfo hier nebeneinander.' Oder Ex 34, 29 ff! ,Mofe ift auch
hier der Mond, der nach einem Augenblick der Verborgenheit zur Zeit
der Konjunktion mit der Sonne als fichtbarer Neumond den Menfchen
erfcheint und in zunehmendem Glänze ihnen fichtbar bleibt, bis er als
abnehmender Mond eine Decke auf fein Angefleht zu legen beginnt und
im Augenblick der wiederkehrenden Konjunktion von Sonne und Mond
fich ganz den Blicken der Menfchen entzieht.' Das find noch garnicht
die fchlimmften Stellen. Mit dem Anhang über Simfon fleht es nicht
anders. Daß die Simfongefchichten folare Motive enthalten, ift hinreichend
bekannt. Für Völter liegt es fo ,daß alle vornehmen und charakteriftifchen
Züge von Simfons Perfon und Gefchichte von der Sonne und ihren Eigen-
fchaften aus ihre belle Erklärung finden', und zwar foll bei der Erklärung
im Einzelnen wiederum die ägyptifche Mythologie die bellen Dienfte
leiden. So z. B. Richter 16, 1—3! ,Die Hure, bei der Simfon in Gaza
im Wellen die Nacht zubringt, entfpricht der Göttin Amenti, der Re-
präfentantin des Weftens und der Unterwelt. Der Durchbruch Simfons
durch die Stadtpforte von Gaza um Mitternacht erklärt fich daraus, daß
der Sonnengott nach der altägyptifchen Mythologie um die 12. Stunde
der Nacht, d. h. gegen Morgen, die letzte Pforte der Unterwelt paffiert.
Und wenn Simfon das Stadttor von Gaza famt Türen, Pfoften und
Riegel nach Ollen auf die Höhe des Berges vor Hebron trägt, fo hängt
das wohl damit zufammen, daß nach ägyptifcher Darfteilung in der örtlichen
Himmelszone von On die Himmelspforte war, aus welcher, nachdem
der Riegel zurückgefchoben ift, der Sonnengott zu neuem Laufe hervortritt
', ufw. Infonderheit wird dann noch der Turiner Papyrus mit dem
Mythus von Ra und Iiis verwendet. Aber der gleiche Zug, daß ein Weib
dem Manne das Geheimnis feiner Kraft entlockt, reicht zu fo weit gehender
Parallelifierung freilich nicht aus, bei welcher Stellen wie diefe vorkommen
. ,Wenn das Mittel, das die Ifis dem Ra gegenüber zur Erreichung
ihres Zweckes anwendet, das Gift einer von ihr hergeftellten Schlange
ift, fo ift es bei Delila das Gift der Liebe, das fie dem Simfon einflößt'!
Durch diefe Beifpiele ift auch der Anhang genügend charakterifiert.

Breslau. J. Herrmann.

Cornill, Carl Heinr.: Zur Einleitung in das Alte Teftament.

(124S.) gr.8°. Tübingen, J.C.B. Mohr 1912. M. 3 —

Cornill fetzt fich in diefer Schrift mit der 1910 in der
.Evangelifch-theologifchen Bibliothek' erfchienenen Einleitung
in das Alte Teftament von E. Sellin auseinander.