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Ausgabe:

1913 Nr. 18

Spalte:

569-570

Autor/Hrsg.:

Grubb, Edward

Titel/Untertitel:

Christianity and Business 1913

Rezensent:

Bussmann, E. W.

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Seite 1

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569 Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 18. 570

Der Gedankengang des Verfaffers ift folgerichtig; aber
feine Vorausfetzung, daß es eine fpezififche Energie be-
ftimmter Nervenbahnen gibt, die man willkürlich aus
einem Syftem in das andere treiben und umkehren kann,
ift hypothetifch und unbewiefen; ebenfo dürfte feine Annahme
, daß — diefe fpezififche Nervenenergie angenommen
— fie auch imftande fei, ohne materielle Vermittlung
außerhalb des Körpers zu wirken, von der Phyfik nicht
anerkannt werden. Trotzdem kann man dies feltfame
Buch, das beim erften Durchblättern abftrus erfcheint,
nicht weglegen und lieft es mit Intereffe bis zum Schluß.
Man muß aber berückfichtigen, das der Verf. doch im
hohen Grade eine pathologifche Natur zu fein fcheint.

Chemnitz. Weber.

Grubb, Edward, M. A.: Chriftianity and Business. (128 S.)
8°. London, T. F. Unwin 1912. s. 2. 6.

Die vorliegende Abhandlung ift aus einzelnen Artikeln
entftanden, die der Verfaffer als Herausgeber einer
Quäkerzeitfchrift in einer Diskuffion über das Thema
.Chriftentum und Gefchäft* gefchrieben hat. In der Vorrede
und an einigen anderen Stellen betont er, daß er
als Dilettant in nationalökonomifchen Dingen an feine
Aufo-abe gegangen ift, aber fich des Beiftandes eines
tüchtigen fchottifchen Nationalökonomen zu erfreuen hatte.
Seine "Abheilt war, der Natur unferes gegenwärtigen, auf
freie Konkurrenz gegründeten Handelsfyftems nachzu-
fpüren, um zeigen zu können, wieweit es in Überein-
ftimmung und wieweit in Gegenfatz mit den Grund-
iätzen chriftlicher Ethik ift, welche Kräfte jetzt in unferer
induftriellen Gefellfchaft am Werke und wieweit fie fähig
find, dem chriftlichen Geift dienender Liebe weiteren Spielraum
zu verfchaffen, und was unter den gegenwärtigen j
Bedingungen denjenigen möglich ift, die ihr Gefchäft nach
chriftlichen Grundsätzen führen wollen.

Sein Buch gliedert fich überfichtlich in acht Kapitel,
jedes mit einem ftreng umgrenzten Problemkreis. Das
erfte: Chriftentum und Gefchäft, fucht das Problem von
verfchiedenen Seiten zu verdeutlichen. Im zweiten lautet
die Frage: Worin befteht das gegenwärtige Handelsfyftem?
und antwortet darauf: In freier Konkurrenz, die zum
Intereffenkonflikt führt zwifchen a) Produzenten und Kon-
fumenten, b) Arbeitgebern und Arbeitnehmern, und die
fich gründet auf die beiden Grundfätze des Privateigentums
und der Unternehmungsfreiheit (free enterprise).
Das 3. Kapitel behandelt die kooperative Bewegung, bei
den Produzenten einerfeits und bei den Konfumenten
anderfeits, die fchließlich zu ftaatlichen oder gemeindlichen
Betrieben führen muß. Es werden dann die Gegengründe
dagegen genannt Das vierte Kapitel ftellt dem gegenüber
den chriftlichen Geift, der Liebe, oder genauer das
Streben nach Gerechtigkeit, Dienft und Fortfehritt. Nun
frägt das fünfte Kapitel: Ift freie Konkurrenz widerchrift-
lich? Es werden die Vorzüge und Schwächen diefes
Syftems befchrieben. Vorzüge find für den Verfaffer:
den rechten Mann an den rechten Platz ftellen zu können,
gerechte Belohnung zu fchaffen und durch Spekulation
Ausgleiche zu befördern. Die Nachteile beliehen ihm
darin, daß es keinen für das Leben ausreichenden Lohn
allen ohne weiteres ficherftellt und daß oft das Privat-
intereffe dem Allgemeinwohl vorangeftellt werden kann.
Aber Syfteme find an und für fich nicht unchriftlich oder
widerch'riftlich, fondern das find die Menfchen, die die
Syfteme handhaben. Und chriftlicher Geift ift leichter
in großen als in kleinen Gefchäften zu bewahren. Im
6. Kap. lautet die Frage: Ift der Sozialismus die Löfung?
Er bietet fich als die einzige an und fetzt an die Stelle
des Privateigentums und der Unternehmungsfreiheit dann
Gemeinfchaftseigentum und Kollektivunternehmung. Er
hat dazu beigetragen, die Übelftände, welche mit dem
gegenwärtigen Syftem verbunden find, klarer zu erkennen,

aber er überfieht die Schwierigkeiten es zu ändern. Die
Kollektivunternehmung würde Entfchädigung der be-
ftehenden Kleinhändler fordern, würde an lokalen und
nationalen Grenzen flehen bleiben müffen, und würde
bei der Landwirtfchaft, der grundlegenden Arbeit, gänzlich
unmöglich fein. Auch würde damit dem chriftlichen
Geift noch nicht ohne weiteres freiere Bahn gegeben;
die Reinheit der allgemeinen Verwaltung würde, wie
Amerika zeigt, nicht allgemein gefichert fein, und fehr
fraglich bliebe, welches Spiel der Kräfte fich dann entfalten
würde. Auf alle Fälle würde der Intereffenkonflikt
zwifchen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht aufgehoben
. Die Gerechtigkeit des Sozialismus fucht dem
gegenüber das folgende Kap. zu behandeln. Der Sozialismus
führt dazu, Eigentum zum Diebftahl zu erklären,
als Raub an den oder Tribut von den Arbeitern. So
ift zu fragen, wie entlieht Eigentum durch Arbeit, und
wie es unrecht wäre nicht zu leihen. Das Recht des
Zinsnehmens wird dann aus der Pachtordnung bewiefen:
Wem foll das Land gehören? Alles das find Fragen der
Zweckmäßigkeit, die nicht aus abftrakten Gründen der
Gerechtigkeit entfehieden werden können, da fie dann
zur größten Ungerechtigkeit führen würden. Endlich fucht
das achte Kap. die Frage zu beantworten: Was follen
wir, nämlich die chriftlichen Gefchäftsleute, tun? Dies
Kap. ift das fchwächfte und hätte wohl weiter ausgeführt
werden können; die dort gegebenen Antworten find zu
dürftig. Vor allem hätte das Prinzip des Fortfehritts,
auch der fortfehreitenden Ethifierung des Lebens durch
das Chriftentum, mehr betont, nachgewiefen und erklärt
werden müffen, gerade im Hinblick auf die Ausführungen
in Kap. 4.

Der quäkerifche Standpunkt kommt nur an einzelnen
Stellen, fo in der Einleitung, wo von dem Licht in uns
geredet wird, zur Geltung. Im ganzen zeigt das Buch
einen klaren, nüchternen Geift, der alles richtig bei Namen
zu nennen weiß. Er fucht den Dingen auf den Grund zu
kommen, bleibt aber oft an der Oberfläche hangen.
Manche treffende Formulierung, worin die Engländer uns
überlegen find, überrafcht, manche fchöne Ausführung
erfreut. So erfcheint mir bef. gelungen, was S. 105 — 111
über Arbeit und Eigentum ausgeführt ift.

Um von der Weife des VcrfafTers eine Probe zu geben, gebe ich
hier noch den Gedankengang des erden Kapitels. ,Chridentum und Gefchäft
', d. h. ob Chridus je der Herr der Menfchheit wird. Das Chriden-
tum hat viel erreicht, aber kontrolliert es fchon das öffentliche Leben?
Solange das nicht gefchieht, id es nutzlos zu träumen von einem Gewinnen
der Welt für Chridus, folauge id's noch keine Weltreligion, und
die ethifchen Kivalen, Muhammed und Nietzfche, find nicht überwunden.
Unterrichtete Inder fenden ihre Kinder nach London, wenn de wiinfehen,
daß de keine Chriden werden follen. Daher folgern manche, i) daß das
jetzige Sydem ganz fchlecht id, und daß es durch ein anderes erfetzt
werden muß, in dem Chridi Geid fich auswirken kann. 2) andere,
Chridus darf nicht herrfchen, wenn unfer ganzes Leben nicht in Gefühl,
Trägheit und Unwirkfamkeit aufgelöd werden foll. Darum dies die wich-
tigde Frage, die es geben kann. Einiges kann hier gleich bemerkt werden:
1) man muß das Sydem zu verdehen fuchen, welche Kräfte darin wirken,
die mit dem chriftlichen Geid in Harmonie find. 2) Was chridlicher
Geid id und 3) ob der Sozialismus die Löfung bietet. Man kann annehmen
, es gibt vielleicht eine mittlere Linie, Konkurrenz id eine notwendige
Folgerung aus der Freiheit und darum unausrottbar, aber es id
möglich, fie fo zu kontrollieren und zu ethifieren, daß auch der chridliche
Geid fich darin auswirken kann. Für Praktiker erfcheint das von geringem
Nutzen, aber es id doch gut, die Dinge vom weiteden Gefichtspunkt an-
fehen. Glücklicherweife gibt es einen Indinkt, aber diefer muß unterdützt
werden durch die begründete Kenntnis der Tatfachen.

Eine Löfung des Problems oder auch nur eine Förderung
gibt das flüffig gefchriebene und angenehm lesbare
Buch des gewandten Journaliften gerade nicht, aber
es bringt Klarheit über die Schwierigkeit des Problems
felber. Und das ift vielleicht bei denen, die im praktifchen
Berufe flehen, fchon eine Förderung.

Ahlden/Aller. E. W. B ussmann.