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Ausgabe:

1913 Nr. 18

Spalte:

568-569

Autor/Hrsg.:

Staudenmaier, Ludwig

Titel/Untertitel:

Die Magie als experimentelle Naturwissenschaft 1913

Rezensent:

Weber, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 18.

568

Es ift das Charakteriftifche für Ihmels, wie er fchließlich
das Dogma in feiner hiftorifchen Gewordenheit als
den richtigen Exponenten des ,Glaubens' in ,Erkenntniffen'
hinftellen zu können bzw. zu ,müffen' meint. Er ift mit
Bewußtfein in dem Sinne kirchlicher Theolog, daß er auch
konfeffioneller Theolog ift, einfchließlich froher Bejahung
des altkirchlichen Dogmas. Wider Kaftan verficht er es,
daß der evangelifche Glaube nicht eines ,neuen Dogmas'
bedürfe, fondern nur eines wachfenden Verftändniffes,
reicherer klarerer Anwendung des alten Dogmas. Denn
diefes habe feine Bedeutung daran, daß es die ,Tatlachen'
von Gott, die er uns in feiner Selbftkundmachung in Jefus
Chriftus als wefenhafte Realitäten vor Augen gerückt, ein
für alle Mal im Anfchluß an die Bibel und unter Beziehung
auf die lebendige, ihrer felbft ,gewiffe' Erfahrung der Kirche
(der Chriftenheit als congregatio fidelium) feftgelegt habe.
Durch Luther find uns erft vollends die Augen aufgegangen
für diefe Tatfachen in Gott felbft und in der Welt, der
,Heilsgefchichte'. Der evangelifche Glaube kommt immer
wieder, wenn er nur fich wirklich auf fich, feine Entftehung,
feine Erfahrungen im Gewiffen, den ihm gegenftändlich
gewordenen Jelüs Chriftus und das ,Worf, das von ihm
zeugt, befinnt, auf das ,kirchliche', das fo alte wie neue
Dogma der Reformation zurück. An einigen ,Zentralfragen
', die der Glaube aufgeworfen hat, auch ,in der
Gegenwart' aufzuwerfen den innern Zwang hat, zeigt
Ihmels das.

Ich möchte nur zwei Punkte berühren, wo meine Wege
als Dogmatiker fich von denjenigen Ihmels abzweigen.
Es handelt fich um Methodifches. Ihmels ftellt nach
meiner Meinung den Glauben zu fehr als eine gegebene
Größe in den Vordergrund. Natürlich weiß er, daß es
Schwankungen des Glaubens gibt und alle Arten von
Abftufung. Aber das ift nicht, was ich meine. Vielmehr
ift es dies, daß wir nirgends eine Mufte r form des
Glaubens vor uns haben. Gewiß: der allgemeine Charakter
des Glaubens ift das Vertrauen. Aber in perfönlicher
Form ift das Vertrauen nicht nur in feiner Stärke wech-
felnd, fondern auch in feinem Inhalte unterfchiedlich. ,Der
Glaube' exiftiert nicht, fondern nur viele ,Gläubige'. Wir
find als Chriften in unferm Glauben verbunden, erbauen
uns miteinander im Glauben, aber doch nicht fo, daß wir
zueinander von ihm und von unferer,Gewißheit' reden, fondern
lediglich objektiv von Gott (in Chriftus). Jedem von
uns ift etwas Befonderes an Gott die perfönliche Hauptfache,
eventuell eine .Gewißheit'. Der Prediger kann nicht immer
und jeder Seele gegenüber, für jede Situation, bei jeder
Frage .Zeuge' fein. Er hat nicht .feinen' Glauben kund
zu tun, allüberall zu .bekennen'. Sondern er hat fich felbft
fo gut wie die anderen zur Befinnung auf das Evangelium
und feine vielerlei Seiten zu führen. So ift es auch für
den Dogmatiker nicht richtig, vom Glauben wie einer
irgendwo und irgendwie normal vorhandenen Größe auszugehen
. Mir gehört die Frank'fche Methode — von
der fich Ihmels übrigens auch in bemerkenswerten Punkten
abgelöft hat — zu den größten Irrungen in der Theologie.
Vielleicht kein Chrift, deffen Glaube in feiner .perfönlichen'
Form nicht auch Einbildungen für feinen Arm hielte;
.Erfahrungen', .Erlebniffe' wollen nicht minder geprüft fein,
als .Theorien'. Es ift nicht viel gewonnen, wenn man
meint den Glauben der .Kirche' (der evangelifch gedachten
Chriftenheit) als eine gegebene Normalgröße und als eine
von Gewißheit allerfeits getragene innere Stellung zu Gott
vergegenwärtigen zu können. Auch diefer Glaube ift eine
gefpaltene und der Prüfung bedürftige .Wirklichkeit'. ,Der
Glaube' kennt fich felbft nur in Hoffnung. Nicht als Be-
fitz, fondern nur als erfehntes Kleinod können die Chriften
ihren Glauben, .Vertrauen' kundgeben. Es find gottgegebene
Höhepunkte des Lebens, wenn man in wirklicher
Gewißheit fich und andern gegenüber das ,Ich weiß
an wen ich glaube' ausfprechen kann. Bei Luther ift
doch alles was er von dem certum esse des Glaubens
preift, ganz objektiv als Klarheit des Evangeliums

gemeint. Soweit das Evangelium uns übermocht hat,
haben wir .Gewißheit' von Gott. Dann zeige man als
Dogmatiker doch auch nur, was uns am Evangelium, an
Chriftus, entgegenleuchtet und fuche die Punkte zu zeigen,
wo es uns den Mut zum .Glauben' weckt. Vom Evangelium
aus kommt man auch noch auf eine weitere
.Zentralfrage'. Das ift der zweite Punkt, wo ich Ihmels
methodifch einen Vorhalt machen möchte. Er erörtert
nirgends den Gottesgedanken als folchen. In der
.Gegenwart' ift es in der Dogmatik aber doch deutlich
eine, wenn nicht die .Zentralfrage', was uns überhaupt das
Wort ,Gott' bedeute. Eine Fülle von Unklarheiten in den
Diskuffionen der Gegenwart, auch unter uns evangelifchen
lutherifchen Theologen würde fchwinden, wenn wir uns
überall darauf vorab befännen. Wir würden uns dann
fruchtbarer als es vielfach gefchieht, darüber austaufchen
können, welche religiöfe Erfahrung echt fei, wann wir
glauben dürfen, Gott felbft .gefpürt' zu haben. Ich weiß
nicht, was für einen .Begriff Ihmels mit dem Worte Gott
verbindet. So kann ich Fragen über einzelnes, die ich
gern an ihn richten möchte, nicht recht formulieren.

Halle a. S. F. Kattenbufch.

Staudenmaier, Prof. Dr. Ludwig: Die Magie als experimentelle
Naturwilfenfchaft. (III, 184 S.) gr. 8°. Leipzig,
Akadem. Verlagsgefellfchaft 1912. M. 4.50; geb. M. 5.50

Diefes merkwürdige Buch wird nicht nur den inter-
effieren, der fich mit der Pfychologie der .occulten Phae-
nomene' befaßt, fondern es bietet auch den Pfychopatho-
logen fehr viel; denn es enthält Selbftbeobachtungen
eines geiftreichen und ehrlichen Mannes, der an der
Grenze geiftiger Gefundheit und Krankheit fleht. Der
Verf. will die .Magie' — darunter verlieht er im Ganzen
die fpiritiftifchen Phaenomene und ihre Erklärung — als
eine echte Experimentalwiffenfchaft konftruieren. Dazu
ift er im Verlauf von Experimenten gekommen, die er
an fich felbft anftellte und die ihn fchließlich in einen
fo erregten Zuftand brachten, daß er Sinnestäufchungen
namentlich akuftifcher und optifcher Natur hatte. Hier
fetzt er mit feiner Theorie ein und entwickelt folgenden
Gedankengang: Um einen beliebigen Gegenftand optifch
wahrzunehmen (zu fehen), müffen Lichtftrahlen (Aether-
fchwingungen) von ihm ausgehen, Umfetzungen in der
Netzhaut des Auges und durch diefe eine Erregung der
Sehnervenbahnen, der optifchen Zentren der Hirnrinde
und endlich der höheren den Bewußtfeinsvorgängen dienenden
Hirnzentren hervorrufen. Der Verf. meint nun,
daß man diefe.fpezififcheEnergie'beftimmterNervenbahnen
auch ,in entgegengefetzter Richtung' peripherifch treiben
könne, indem eine lebhafte Vorftellung zuerft die optifchen
Zentren der Hirnrinde errege. Ein derartiger Vorgang
wird tatfächlich bei der Theorie der Halluzinationen angenommen
; man glaubt, daß bei befonders disponierten
Perfonen eine lebhafte Vorftellung genügt, um durch
rückläufige Erregung der Sinneszentren Halluzinationen,
die aber nur etwas Subjektives find, zu erzeugen. Der
Verf. geht aber noch weiter: er meint, er könne durch
Übertragung anderer Energieformen, z. B. von den moto-
rifchen Syftemen her diefe Energie fo fteigern, daß auch
die peripheren, optifchen Organe (die Netzhaut) wieder
in Erregung geraten, ihrerfeits .Aetherfchwingungen' ver-
urfachen und fo ein wirkliches, außerhalb des Individuums
liegendes Bild hervorrufen, das unter Umftänden auch
von anderen Beobachtern gefehen wird. Weiter verknüpft
er mit diefer Auffaffung die Theorie vom Unterbewußtfein
, das ja neuerdings eine große Rolle in der Pfychologie
fpielt, glaubt, daß fich einzelne Vorftellungen von
felbft oder durch allmähliche Erziehung zu felbftändigen
.Perfonifikationen' oder .Individualifationen' entwickeln
können. Auf diefe Weife fucht er die Geiftererfchei-
nungen der fpiritualiftifchen Medien, ihren Verkehr mit
Verdorbenen und andere occulte Phaenomene zu erklären.