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Ausgabe:

1913 Nr. 18

Spalte:

563-565

Autor/Hrsg.:

Klingenburg, Georg

Titel/Untertitel:

Das Verhältnis Calvins zu Butzer untersucht auf Grund der wirtschaftsethischen Bedeutung beider Reformatoren 1913

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 18.

564

4. 253ff-> gehört es zur Ausgabe IVD. Ebendaher ftammt
die Vorlage des Canticum Canticorum, eines (nieder-
ländifchen?) Holztafeldrucks von ca. 1465 (Xylogra-
phicon 33.). Für Wolfgang von Mäns; des Kaplans Kaifer
Maximilians, Leiden Jefu Chrifti unferes Erlöfers (Augsburg,
Hans Schönfperger d. j. 1515) ift außer dem Exemplar
der Münchener Bibliothek das der Herzoglichen Bibliothek
zu Gotha benutzt; die Ausgabe enthält Holzfchnitte
Burgkmairs, Schäufelins, Jörg Breus mit Darftellungen
aus der Paffionsgefchichte. Das Gebetbuch der Gilgengart
ift nach einem Exemplar der 3. Ausgabe in der Kgl.
Bibliothek zu Berlin (Augsburg, Hans Schönfperger,
ca. 1520) unter Benutzung des Zwickauer, allerdings einer
andern Ausgabe angehörigen Exemplars hergeftellt. In
den Einleitungen bringt Clemen mit feiner ausgebreiteten
Gelehrfamkeit die nötigen Erläuterungen, die Befchreibung
der Holzfchnitte und macht auf die religiöfe Bedeutung
diefer Drucke, der Holzfchnitte wie des Textes, aufmerkfam.
,Als die beiden Brennpunkte der Volksfrömmigkeit des
endenden Mittelalters heben fich uns heraus: das Miterleben
des bitteren Leidens des Erlöfers und die Andacht
zur jungfräulichen Gottesmutter, der ffeuden- und fchmer-
zenreichen, endlich zur Himmelskönigin erhobenen'. Die
Drucke geben hierfür markante Beifpiele und man wird,
wenn man fie gründlich beachtet, nicht lange nach den
Gründen zu fuchen brauchen, warum die Volksfrömmigkeit
eine Reformation erforderte.

Kiel. Gerhard Ficker.

Klingenburg, Georg, Das Verhältnis Calvins zu Butzer unter-
fucht auf Grund der wirtfchaftsethifchen Bedeutung
beider Reformatoren. (110 S.) gr. 8°. Bonn, Carl
Georgi 1912. M. 2 —

Der Verfaffer diefer fleißigen, auf wertvollen Stellen-
fammlungen beruhenden Arbeit geht von der Kontroverfe
über Kapitalismus und Calvinismus aus und unterfucht
die Frage, ob und inwieweit die von Weber und mir behauptete
Thefe fchon für Calvin felbft gilt. Da er hierbei
auf eine Harke Übereinftimmung Calvins mit Butzer
ftößt, welch letzterer neuerdings in theologifchen Dingen
fehr ftark als der Lehrer Calvins betont wird, fo behandelt
er beide zufammen und verfucht die Beftimmtheit
C.'s durch Butzer zu beweifen, deffen wirtfchaftsethifche Anflehten
feinerfeits er aus dem Straßburger Milieu und aus
der Korrektur des täuferifchen Ideales erklärt.

Was nun zunächft den letzteren Punkt betrifft, fo ift
der Beweis nur ein indirekter, aus dem allgemeinen Verhältnis
C.s und B.s und aus fchlagenden Übereinftimmungen
ihrer wirtfchaftsethifchen Anflehten entnommener. Der
Beweis ift fo überzeugend, als ein folcher indirekter Beweis
überhaupt fein kann. Jedenfalls nehmen beide Reformatoren
eine klare und fcharfe Ausnahmeftellung ein
unter den übrigen und dürfen beide zufammengenommen
werden, wie ja auch ihre Nachwirkungen fleh auf ein
gemeinfames Gebiet erftrecken. Die Andeutungen über
die Art wie B.s Anflehten, die K. als für C. grundlegend
betrachtet, entftanden fein mögen, find freilich noch gänzlich
unbewiefen, wenn auch wahrfcheinlich. Hochinte-
reffant find aber die Mitteilungen über Butzers Programm-
fchrift für eine geiftliche, nationale und wirtfehaftliche
Wiedergeburt Englands ,De regno Christi'. Der Verf.
meint mit Recht: ,Hier dürfte an einer bis dahin nicht
beachteten Stelle Material für den quellenmäßigen Nachweis
innerer Beziehungen zwifchen Kapitalismus und
Calvinismus, den Rachfahl wünfeht, beigebracht fein' S. 18.
Ja, bei Butzer find die von Weber hervorgehobenen
Eigentümlichkeiten des Puritanismus fchon viel mehr
ausgeprägt als bei Calvin, z. B. die Betonung des
himmlifchen Segens der Arbeit, die Verwendung des
Berufsgehorfams als Erkenntnisgrund für die Erwählung,
die Rationalität und foziale Nützlichkeit der Berufsarbeit,

das Recht des Berufswechsels, die Bekämpfung jeder
Untätigkeit und die Methodik der Arbeit.

Aber auch von Calvin felbft weift K. nach, daß ,die
Weber-Troeltfch'fche Thefe auf ihn Anwendung verträgt
und der in feiner Wirtfchaftsführung von religiös-flttlichen
Kräften beeinflußte Calvinismus auch in diefer Beziehung
von dem Genfer Meifter aus verftanden fein will' S. 94.
Mit Recht bezeichnet er genau wie ich Rachfahl als abhängig
von Kampfchultes fehr voreingenommenem Urteil,
daß ,ein Syftem, welches die Kanzel in den Mittelpunkt
des gefamten Lebens rückte und überall den geiftlichen
Gefichtspunkt als maßgebend annahm, den Bedürfniffen
der bürgerlichen Gefellfchaft nicht genügen konnte.'
Gerade das Gegenteil ift richtig, nämlich, ,daß vielleicht
nichts fo fehr einen wirtfchaftlichen Auffchwung Genfs
und der Länder, denen Genf als Mufter galt, herbeigeführt
hat, wie die energifche Verchriftlichung des gefamten
Lebens, die Calvin gerade durch das Syftem, welches
die Kanzel in den Mittelpunkt rückte, erreicht hat' S. 86.
Ebenfo führt der Verf. gegen Martin Schulze, der die
Ethik C.s als ftark asketifch und jenfeitig bezeichnet, aus,
daß gerade diefe Askefe, indem fie die lückenlofe Berufsarbeit
zur Bewährung der Erwählung macht, die innerweltliche
Leiftungsfähigkeit, insbefondere auf wirtfehaftlichem
Gebiet, fteigerte. /Trotz des Jenfeitschriftentums und der
weltverachtenden Töne, die gewiß bei C. anklingen, wird
von dem Genfer die durch eschatologifche Orientieruug
geforderte Negation gerade um des Jenfeits willen eine
pofitive. Wohl nimmt bei C. der Blick ins Jenfeits jedem
Weltdienft feine Selbftzwecklichkeit; aber er fteigert
gleichzeitig die Intenfität des Dienftes Gottes in der Welt
fo, daß die meditatio futurae vitae, weit davon entfernt,
zu einer mönchifchen Weltflucht zu führen, ein Antrieb
zur Weltüberwindung wird, zur Weltbeherrfchung führt,
eine pofitive Wertung des Diesfeits, feiner gottgefchenk-
ten Gaben und Aufgaben fordert' S. 50. Das ift nichts
anderes als mein Begriff der ,innerweltlichen Askefe',
deffen fich K. auch gegen Lang annimmt S. 51. Im einzelnen
ift nun mit zahlreichen Zitaten gezeigt, wie diefer
Gedanke der Bewährung der Erwählung in lückenlofer
Berufsarbeit aus dem Begriff von Gottes Ehre, von der Berufung
und der Erwählung, der Rechtfertigung und
Heiligung folgt. Ja, während Weber, Schneckenburger
folgend, gemeint hatte, bei C. finde fich die Behandlung
des Berufsgehorfams als Erkenntnisgrund für die Erwählt-
heit noch nicht, zeigt K., daß C. allerdings diefen Gedanken
nicht feiten, wenn auch ftets accidentell, äusfpricht.
Damit ift dann die Herrfchaft des Berufes und die rationelle
Vollftändigkeit der Arbeitsleiftung religiös begründet.
Im einzelnen ergibt fich dann weiter die utilitarifche
Rationalität der Berufe, die Rückficht auf die Gefamt-
wohlfahrt, die Zuläffigkeit des Berufswechfels, die Ausdehnung
der zuläffigen Berufe auf Kaufmannfchaft und
Zinswefen, wo aber C. perfönlich den Bankier noch verwirft
und nur Verwertung flüffiger Kapitalien zum Zwecke
der Anregung und Ermöglichung der Produktion wünfeht.
Für die Arbeit felbft ergibt fich die Sparfamkeit, Vermeidung
des Luxus, die nach Standesgemäßheit abge-
ftufte Lebenshaltung, die Hochfehätzung des Befitzes und
Reichtums trotz aller Gefahren, die Verwertung des Ertrages
für die Liebestätigkeit, die Eingliederung in die
Gefamtwohlfahrt der Gefellfchaft, die Forderung von Treue,
Fleiß und Folgerichtigkeit. Aus alledem folgert K., daß
für C. felbft fehr wohl ein Zufammenhang zwifchen feiner
Ethik und der wirtfchaftlichen Förderung der Bevölkerung
befteht, von ihm gewollt ift und noch mehr in der Konfe-
quenz feiner Grundfätze liegt. Wie weit diefe Wirkung
dann auch tatfächlich eingetreten ift, das zu unterfuchen
überläßt er den Wirtfchaftshiftorikern. Nur für Genf
felbft behauptet er, daß C.s Wirtfchaftspolitik und darauf
erftreckte Seelforge es aus feinen Wirren emporgehoben
habe, und verweift auf eine Äußerung C.s in einer Predigt
CR. 55 p. 82, wonach er fich felbft diefes Verdienft zu-