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Ausgabe:

1913 Nr. 18

Spalte:

562-563

Autor/Hrsg.:

Clemen, Otto (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zwickauer Facsimiledrucke. Nr. 1 - 5 u. 16 1913

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 18.

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fcheinungen auf diefem Gebiet fein eigenartiges und vor
allem fein fyftematifches Gepräge aufdrückt' (S. X). Des-
cartes hatte durchaus keinen Anlaß, feine Abhandlung
Les passions de 1 ame mit der gänzlichen Verurteilung
der Alten zu beginnen und zu glauben, er müffe über
die passiones verhandeln, als wenn vor ihm noch kein
Menfch fich mit diefer Materie befchäftigt hätte.

Ich kann nicht finden, daß Thomas als Theoretiker
gerade der passiones animae die von Meier ihm
gezollte Anerkennung verdient. Die Herabfetzung der
Leiftung eines Descartes auf Kotten derjenigen des Thomas
ift recht bedenklich, denn Descartes gibt eine neue
Orientierung des philofophifchen und pfychologifchen
Problems, nicht nur eine Weiterführung des Ariftotelismus.
Und wenn Descartes mit der Frageftellung der Alten
nichts anfangen konnte, fo durfte er auch an Thomas
vorübergehen, der, wie Meier felbft einräumt, in feiner
Paffionenlehre .vollinhaltlich' von feiner .gelehrten Vorwelt'
abhängig ift und fchließlich alles im Lichte des Ariftotelismus
erblickt. Das reduziert auch Meiers Urteil über
Thomas' fchöpferifche Leiftung. Schließlich äußert fich
die Originalität des Aquinaten doch nur in der .dialek-
tifchen Syftematifierung' des überkommenen Stoffs. Und
die passiones werden wie zuvor nach dem Schema der
Seelenvermögen beftimmt und eingeteilt (S. XIV). Die
Verbindung der metaphyfifchen Spekulationen mit teils
entlehnten, teils eigenen pfychologifchen Beobachtungen
auf dem Gebiet des Affektlebens bedeutet doch nur
eine Belebung des ,toten Schemas'. Das ift wenig, wenn
die Frageftellung die alte bleibt und nirgends eine neue
Idee aufleuchtet. Und der ,lebendige Austaufch' der Lehrmeinungen
der Vorgänger ,zur vollen Harmonie' ift doch
nichts anderes als eine konfequente Harmoniftik. Auch
das räumt Meier fchließlich ein, indem er feftftellt, daß
Thomas häufig einander entgegengefetzte Gedanken in
fein Syftem aufnimmt und mit einander ausgleicht (S. 158).
So hat die Verehrung für Thomas dem Verfaffer Urteile
in die Feder gegeben, die er ficher zu begründen nicht
vermocht hat.

Damit foll freilich die gefchichtliche Bedeutung der
ariftotelifchen Paffionenlehre des Thomas nicht verkürzt
werden. Meier wendet fich mit gutem Grund gegen den
Satz L. Ohlendorfs in feiner Arbeit über Humes Affekten-
Lehre, daß der ethifche Peffimismus des Chriftentums,
der die natürlichen feelifchen Regungen als fchlecbthin verwerflich
und fündhaft bezeichnete, eine unbefangene Unter-
fuchung der Affekte verwehrthabe. Das ift ein fchiefes Urteil.
Meier zeigt, daß nach Thomas die passiones als Tätigkeiten
der irrationalen Seele moralifch indifferent find.
Nur fofern die finnliche Seele Beziehungen zur Vernunft
hat, erhalten die passiones als Apettitivkräfte der finnlichen
Seele Anteil an der Moralität und find, wenn
vernunftwidrig, fchlecht, wenn vernunftgemäß, gut (S. 44).
Die Affekte fchlechthin für moralifch fchlecht zu erklären
und darum folgerichtig ihre Ertötung dem Menfchen zur
fittlichen Pflicht zu machen, wäre darum grundverkehrt
(S. 45). Thomas ift dank feinem Ariftotelismus befonders
»nüchtern'. Nicht affektlos foll der Weife fein, fondern
von gemäßigten Affekten. Die grundfätzliche, übrigens
nicht erft von Thomas getroffene Regelung — vgl. z. B. die
alte Forderung der Diskretion — ift deutlich. Nicht die
passiones an fich, erft die Beziehungen zur .Vernunft' und
dann zur .Übernatur' bedingen abfchließend das ethifche
Urteil über die .Affekte'. Hier taucht dann freilich das
Vollkommenheitsideal auf, das bei aller von Thomas
theoretifch feilgehaltenen .Einheitlichkeit' und abgeftimm-
ten .Mäßigung' tatfächlich doch gefpalten ift und in feiner
höheren Form die .Kafteiung' des begehrenden Lebens
intenfiver fordert, als dem immer doch auf Naturalismus
hinftrebenden Ariftotelismus entfpricht. Doch diefem
Problem nachzugehen hat Meier fich nicht als Aufgabe
geftellt. Seine Arbeit zeigt jedoch die Bedeutung des
Ariftotelismus für die prinzipielle und theoretifche

Würdigung der passiones im thomiftifchen Katholizismus
.

Die — nicht einheitlich zu überfetzende — passio
(Überfetzung des arift. xä&og) ift, allgemein definiert,
eine Bewegung, deren Urfache in einem andern liegt (vgl.
S. 12). Sie ift dreiteilig, (uneigentlich, eigentlich und eigent-
lichft). Die .Bewegung' der uneigentlichen passio befteht ,in
der Verwirklichung einer Potenz, bei der eigentlichen in der
Aufnahme einer Form und der Vernichtung einer entgegengefetzten
und bei der eigentlichften in der Aufnahme
des der Natur des Wefens Unzukömmlichen und in der
Entfernung des der Natur Entfprechenden' (S. 21). Da
die passio im finnlichen Begehrungsvermögen fpielt, ift
nicht die Seele an und für fich, fondern die Seele in und
mit dem Leibe Subjekt der passio. Die Seele ift darum
per accidens, auf Grund ihrer Verbindung mit dem Körper
Sitz der passio.

Tübingen. Otto Scheel.

Zwickauer Faclimiledrucke, hrsg. von Otto Clemen. Nr. 1—5
u. 16. Zwickau, F. Ullmann.

1. Bcham's, Hans Sebald, Holzfchnitte zum Alten Teftament
nach der 1537 bei Chriftian Egenolph in Frankfurt erfchienenen
Ausg.: Biblicae historiae artificiosissime depictae. (83 S.) 8°. 1910.
M. 3.60

2. Murner, Thom.: Die Mühle v. Schwindelsheim. Straßburg,
Matthias Hupfufr 1515. (75 S. m. Abbildg.) gr. 8°. 1910. M. 4.20

3. Ars Moriendi. Holztafeldruck V. c. 1470. (33 S.) Lex. 8°.
1910. M. 4.50

4. Canticum canticorum. Holztafeldr. v. c. 1465. (25 S. m. Ab-
bildgn.) 40. 1910. M. 4.50

5. Man, Wolfg. v.: Das Leiden Jefu Chrifti unsers Erlöfeis.
Augsburg, Hans Schönfperger d. j. 1515. (XVI, 135 S. m. Abbildgn.)
gr. 8°. 1911. M. 10.50; geb. M. 15 —

16. Der Gilgengart. Augsburg, Hans Schönfperger, c. 1520.
(13, 224 S. m. Abbildgn) kl. 8°. 1913. M. 20 —

Zu den vielen Verdienften, die fich der Zwickauer
Otto Clemen um die Kenntnis der Reformationszeit erworben
hat, gehört die Herausgabe diefer Fakfimiledrucke.
Seltene, fchwer zugängliche Druckwerke des ausgehenden
Mittelalters und der Reformationszeit werden uns in der
gleichen künftlerifchen Form geboten, in der fie ihre erfte
Wirkung ausgeübt haben. Dadurch erhält man einen
lebendigen Eindruck von der Freude an der mehr oder
minder gefchmackvollen Verzierung der Drucke jener Zeit
und der Wertfehätzung des Buches, die damals fo viel
größer war als heute. Gerade darum gebührt auch der
Verlagshandlung der wärmfte Dank, da fie die Köllen
für diefe Publikationen nicht gefcheut hat; es ift zu wünfehen,
daß fie in Vieler Hände kommen.

Den Theologen interessiert der Inhalt mehr als die
Form. Es find durchweg für das kirchliche und religiöfe
Leben des ausgehenden Mittelalters und der Reformationszeit
charakteriftifche Drucke. Nicht alle flammen aus der
Zwickauer Ratsfchulbibliothek; doch bewährt auch diese
ihren alten Ruf der Reichhaltigkeit. Ein Exemplar der
Ausgabe der 80 Holzfchnitte Hans Sebald Behams von 1537
(altteftamentliche Gefchichten, die 4 Evangeliften, der
Apoftel Paulus, außerdem die Einrahmung des Titels
ebenfalls mit altteftamentlichen Szenen; gedruckt Frankfurt
a. M. bei Chriftian Egenolph), ift dort wie an 6 anderen
Orten vorhanden. Von Thomas Murners Satyre, die
Mühle von Schwindelsheim (gedruckt Straßburg 1515
durch Mathis Hüpfuff) exiftiert dort das einzige bisher
bekannte Exemplar (je ein unvollftändiges Exemplar in
der Kgl. Bibliothek zu Berlin und in der Herzogl. Bibliothek
zu Wolfenbüttel). Die Ars moriendi, ein oberdeutfeher
Holztafeldruck von ca. 1470, ift eine Nachbildung von
Xylographicon 14 der Münchener Hof- und Staatsbibliothek
, das wahrfcheinlich aus der Zwickauer Ratsfchulbibliothek
flammt; nach der Klaffifizierung von
W. L. Schreiber, Manuel de l'amateur de la gravure etc.