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Ausgabe:

1913 Nr. 18

Spalte:

557-558

Autor/Hrsg.:

Loeschcke, Gerhard

Titel/Untertitel:

Zwei kirchengeschichtliche Entwürfe. Hrsg. v. Hans Lietzmann 1913

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 18.

558

folchen Beweis niemals die Gottheit Chrifti anerkannt
hätte, auch die Apoftel nicht (l77 ff.). Eine eigentümliche
Verwendung eines modernen Gedankens ift die Beweisführung
: Jefus teilte die Anfchauungen feiner Zeit; diefe
waren in Beziehung auf die Wunder bekanntlich realiftifch.
Alfo habe auch Jefus fo gedacht, und Jefus hat natürlich
recht! (232). Veraltet könnte die Polemik gegen den Heidelberger
Paulus erfcheinen, aber mit Recht wird gezeigt
, daß beim Speifewunder und Seewandel dergleichen
noch im Schwange ift (i89ff). Verwerflich feien auch die
Hinweife auf fuggeftive Heilung nervöfer Zuftände; hier
triumphiert Lourdes genüber la Salpetriere, die Schule
von Nancy und Charrot (217. 223). Nicht nur bei den Be-
feffenen des N.T. (212), fondern auch bei der Hypnofe
denkt B. an böfe Geifter mit übernatürlichem Können und
Wiffen (206). Einleuchtender ift, daß bei der Hochzeit zu
Kana und dem Stater Petri die Berufung auf unbekannte
Naturkräfte nichts hilft. Noch erfreulicher ift dann der
Hinweis auf die felbftlofe und keufche Art, wie Jefus feine
Macht verwendet, ein fittliches Wunder! (263) Das führt
zu einer begeifterten Schilderung der Heiligkeit Jefu,
der ohne Askefe das Vorbild aller fchlichten Frommen
wurde (301). Ein ausführliches Zitat aus Pascal über den
Sieg Jefu in feiner Niedrigkeit ohne eclat (274 fr) ift wohl
das&befte im ganzen Buch und würde eigentlich auf den
von uns vertretenen, von B. bekämpften Standpunkt
der ftttlich-religiöfen Würdigung Jefu führen.

Zürich. Arnold Meyer.

Loefchcke, Gerh.:Zwei kirchengefchichtlicheEntwürfe. Hrsg.
v. Hans Lietzmann. (VII, 78 S.) gr. 8°. Tübingen,
J. C. B. Mohr 1913. M. 2 —

Am 17. Juli 1912 ftarb als Privatdozent in Göttingen
Gerhard Loefchcke, jung an Jahren, reich an Gedanken
und wiffenfchaftlichen Plänen, die auszuführen ein zarter
Körper ihm unmöglich machte. Hans Lietzmann hat aus
dem Nachlaß des Freundes zwei Stücke herausgegeben,
von denen er im Vorwort fagt, daß er von ihnen eine
Wirkung auf die wiffenfchaftliche Arbeit der Gegenwart
auch in ihrer unvollendeten Form erwarte. Das eine
Stück ift eine .Quellenkunde der alten Kirchengefchichte'.
Vor Jahren hatte ich Loefchcke als Mitarbeiter an dem
von mir herauszugebenden Handbuch der Kirchengefchichte
geworben. Die .Quellenkunde' follte er bearbeiten, etwas,
was fich in unferen Handbüchern entweder gar nicht oder
nur in Form eines dürftigen Abriffes, verbunden mit der
fogenannten Gefchichte der Kirchengefchichtsfchreibung,
findet. Auch diefe follte natürlich Loefchcke in den Rahmen
feiner Betrachtung einbeziehen. Er ift nicht dazu gekommen
, die Arbeit zu Ende zu führen. Ich habe das
Handbuch ohne feinen Beitrag, leider auch ohne Erfatz
für diefen Beitrag ausgehen laffen müffen. Was uns jetzt
im Bruchftück für die alte Kirche vorgelegt wird, ift, vom
Standpunkt des Handbuchs aus gefehen, nur Vorarbeit.
Lietzmann weift felbft darauf hin, daß Loefchcke die
Umarbeitung in ufum ftudiofae juventutis der Zukunft
vorbehalten habe. Wirklich hat man nicht den Eindruck,
daß Loefchke zu Studenten fpricht, fondern zu Sachverftän-
digen oder wenigftens zu folchen, die es werden wollen. Er
redet zu ihnen als ein Mann, der .Gefchichte zu begreifen
und zu fchreiben verftand'. Mir, der ich die Quellen zu
kennen glaube und im eigentlichen Sinn Neues kaum zu
finden hoffen durfte, find doch an einer ganzen Reihe
von Stellen wertvolle Beobachtungen begegnet, die ich
mir zu eigen machen möchte, oder über die wenigftens
nachzudenken der Mühe lohnt. Loefchcke hatte einen
weiten Horizont: er überfchaute die Überlieferung in ihrem
ganzen Umfang, nicht nur die literarifche, auch die un-
hteranfche und gerade fie; er hatte auch befonderen
Sinn für die Wechfelwirkung von Chriftentum und Antike
innerhalb der Uberlieferung und ging gerade ihr mit
Verftändnis, faft mit Liebe nach. Auch da, wo er fich auf

andere ftützt, gefchieht es ftets auf Grund eigener Überlegung
und oft unter Anbringung leifer Korrekturen.
So darf man auch hoffen, daß feine Arbeit Frucht tragen
wird.

Dem längeren Stück hat Lietzmann das kürzere vor-
angeftellt. Unter dem Titel: Die alte Kirche und das
Evangelium find hier, immer noch fkizzenhaft, Gedanken
verarbeitet, die Loefchcke fchon als jungen Anfänger
ftark befchäftigten. Eine feiner Promotionsthefen lautete:
,Der Einfluß des Evangeliums auf die alte Kirche ift fehr
gering. Er hat im Laufe der Kirchengefchichte eher
zu- als abgenommen'. Diefe fchwerwiegende Thefe foll
aus der Gefchichte der alten Kirche erwiefen werden.
Die Kirche ift nicht auf dem Boden des Evangeliums
aufgebaut, fondern aus der helleniftifch-jüdifchen Synagoge
herausgewachfen. Schon die paulinifche Verkündigung
flammt nicht aus der Verkündigung Jefu, fondern
ift die Verkündigung einer jüdifch-helleniftifchen Erlöfungs-
religion, die unter dem Eindruck der Erfcheinung von
Damaskus fpontan ausgelöft worden ift. Auch in der
nachapoftolifchen Zeit ift das Evanglium nicht das Ent-
fcheidende, fondern die Grundlage von Glaube und Ethik
bleibt helleniftifch-jüdifch. Ebenfo im Frühkatholizismus,
trotzdem das Bild hier reicher wird. Juftin, Irenäus,
Klemens und Origenes, Tertullian, fo verfchieden fie orientiert
fein mögen, mit dem Evangelium haben fie alle nicht
viel Fühlung, und bei der Maffe ift es nicht anders.
Wenn Harnack auf die Märtyrerakten und ähnliche Urkunden
als Zeugniffe evangelifcher Frömmigkeit verwies,
fo lebt freilich in ihnen Kraft, und der Weg zu Gott
wird ficher gefunden, aber Jefus und dem Evangelium
flehen auch fie fern. Gewiß, zur Nachfolge Chrifti hat
die Kirche des 2. und 3. Jahrhunderts oft genug aufgefordert
, aber Jefus gilt ihr als Vorbild der syxQctrEta,
dyvsia ufw., auch des Martyriums, und beides war er nicht.
Nun hat — fo fagte die Thefe — der Einfluß des Evangeliums
im Laufe der Kirchengefchichte zugenommen.
Gemeint find — wie Loefchcke in einem Briefe an Lietzmann
fagt, der im Vorwort abgedruckt ift — die Zeiten
der Unzufriedenheit mit der Kirche, Franz von Affifi,
Reformation, Gegenwart, in denen man eben um der Unzufriedenheit
willen dem Evangelium mehr Einfluß geftattet
hat. Leider ift das im Auffatz felbft nicht mehr ausgeführt
oder auch nur klargelegt. Doch denkt man gern
auch diefen Thefen nach. Aber vielleicht geht es anderen
wie mir: ich vermiffe vor allem eine klare Begriffs-
beftimmung, was denn nun eigentlich nach Loefchckes
Meinung ,das' Evangelium ift, mit dem als einer fo
bekannten Größe operiert wird. Deckt es fich mit dem
Glauben an den Vatergott? Gehört auch der Sohn in
das Evangelium? Ift die Nachfolge Jefu das Evangelium?
,Tut Buße, und glaubt an das Evangelium.' An welches
Evangelium? Es fcheint mir hier nicht der Ort, und ich
empfinde es auch nicht als meines Amtes, über diefe
Fragen dieDiskuffion fortzufpinnen. So gebe ichLoefchckes
Thefen einfach weiter. .Recht habe ich fo gut wie ficher',
fchrieb er an feinen Freund, ,aber wenn der Gedanke
nicht ohne weiteres überzeugt, fo wird er allerdings ausführlicher
begründet werden müffen. Abfchleifen wird er
fich dabei ja von felbft.'

Gießen. G. Krüger.

Swete, Prof. Henry Barclay, D. D., D. IfittTTthi7~Hoiy
Spirit in the Ancient Church. A study of Christian tea-
ching in the age of the fathers. (VIII, 429 S.) gr. 8°.
London, Macmillan & Co. 1912. s gg

Diefe Fortfetzung der Studie über die Lehre vom
h. Geift ift ein ausgezeichnetes Mufter englifcher Theologie
älterer Schule: an den Vätern intereffiert, vorzüglich
philologifch gefchult, will man die Lehre der Kirche
(dies emphatifch genommen) in ihrem Werden erkennen.
I Der Ausgangspunkt ift die entwickelte Trinitätslehre des