Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1913 Nr. 18

Spalte:

550-552

Autor/Hrsg.:

König, Eduard

Titel/Untertitel:

Geschichte der alttestamentlichen Religion, kritisch dargestellt 1913

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

549

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 18.

550

erfetzen. Denn die Religion ift praktifche Angelegenheit,
Lebensmittel, fchöpferifches Lebensmittel. Faft wie ein
Hymnus auf die Religion klingt es je und je durch das
Buch, das, wie man nicht überfehen darf, aus pofitivi-
ftifchem Milieu flammt.

Freilich mit demjenigen Wahrheitsbeweis, der darin
zugunften der Religion geführt wird, kann fich felbft-
verftändlich kein religiöfer Menfch zufrieden geben. Er
wird auch dem Wefen der Religion nicht gerecht, weil er
von falfchen Vorausfetzungen darüber ausgeht. Es rächt
fich, daß der Autor, obwohl er grundfätzlich die Möglichkeit
, die Befchaffenheit der allererften Religion feftzuftellen,
beftreitet, doch tatfächlich fo verfährt, als ob der Totemis-
mus die urfprüngliche Religionsform gewefen wäre, und
daraus alle anderen ableitet. Das ift unwiffenfchaftliche
Willkür, die Dürkheim als kritifcher Theoretiker ebenfo
verwirft, wie er ihr als felbfttätiger Theoretiker verfällt.
Es befiehlt kein Recht, den Totemismus für älter auszugeben
als, fagen wir einmal, den Geifterkult oder die
Ahnenverehrung. Zwar,.das ift gewiß richtig: fofern die
Religion gewöhnlich die Überzeugung in fich fchließt, daß
eine beftimmte Menfchheitsgruppe oder die ganze Menfch-
heit etwas überindividuell und objektiv Gewolltes, etwas
gleichkam von der Weltordnung Gewolltes und etwas Sein-
follendes ift, verbindet fich mit ihr in der Regel das Bewußtfein
von dem Wert einer Gefellfchaft, von Pflichten
o-eo-en diefe, von der Heiligkeit gefellfchaftlicher Inftitu-
tionen. Damit ift aber nicht gefagt, daß die Gottheit mit
der Gefellfchaft identifch ift; fie fleht vielmehr über der
Welt und der Gefellfchaft und erfüllt eben deshalb diefe
gegebenen Falls mit dem Mut und der Kraft fich gegen
die Welt durchzufetzen.

Es ift nicht zu leugnen, daß trotz des fehr reichen
empirifchen Materials, über das der Autor verfügt, fich
in dem Buch etwas von dem echt romanifchen Rationalismus
bemerkbar macht, für den Descartes typifch ift, und
der von einem oder zwei Prinzipien aus mit erftaunlicher
Sicherheit und Eleganz ein himmelanragendes Gebäude,
ein umfallendes Syriern konftruiert und ihm eine Fülle
einzelner Tatfachen mit Gefchick einfügt. Solchen Mangels
ungeachtet, ift es keine Übertreibung, wenn man das Werk
Dürkheims ein Zeichen der Zeit nennt, ein hochintereffantes
Dokument, überaus lehrreich, zugleich mit feinen auf Grund
des Studiums einzelner Naturreligionen gewonnenen Er-
gebniffen über das Wefen der Religion eine Art Beftätigung
der Refultate, welche die evangelifche Theologie durch
faure auf die Analyfe höherer Religionen gerichtete Arbeit
errungen hat. Es fei geftattet, dies zum Schluß in drei
kurzen Sätzen zu veranfchaulichen.

1. Die ethnologifche Schule war bis vor kurzem mit
einem unheilvollen Intellektualismus in der Beurteilung der
Religion erblich belaftet. Hier wird es unzweideutig aus-
gefprochen, daß die Religion .praktifche Angelegenheit',
Lebensmittel fei.

2. In der ethnologifchen Schule hatte fich die Idee
feftgefetzt, daß die Religion ihren Urfprung haben müffe
inGedankenprozeffen, die nur auf einer fehr unvollkommenen
Kulturftufe möglich find. Hier wird es unzweideutig aus-
gefprochen, daß die Religion auf bleibenden, auch dem
raffinierteften Kulturmenfchen zugänglichen Erfahrungen
emotionaler Art beruhe, nämlich auf Erlebniffen der Abhängigkeit
, der Gebundenheit einerfeits, der Aufrichtung
und Erhebung anderfeits.

3. In der ethnologifchen Schule war es nahezu Dogma
geworden, daß die Religion für die Kultur entbehrlich, ja,
geradezu fchädlich fei. Hier wird fie als Keimzelle und
als unentbehrlicher Rückhalt aller Kultur gepriefen und
verherrlicht. So hat fie kaum je ein Apologet gefeiert,
wie der — ich weiß keinen anderen Ausdruck — Pfeudo-
apologet, der aus dem Durkheimfchen Buche fpricht.

Straßburg i. E. ( E. W. Mayer.

König, Geh. Konfift.-R. Prof. D. Dr. Eduard: Gelchichte
der altteltamentlichen Religion, kritifch dargeftellt. (VIII,
608 S.) gr. 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1912.

M. 7—; geb. M. 8 —

Ed. König will uns die Entwicklungsgefchichte der
.legitimen Religion Ifraels' geben, welche von dem Zeitpunkt
datiert, wo Abraham fich aus religiöfen Gründen
von feinen Verwandten in Mefopotamien trennte und nach
Kanaan auswanderte. Demnach behandelt K. zuerft die
altteftamentliche Religion auf der Stufe der Patriarchenreligion
. Ihr Wefen ift negativ dahin zu beftimmen, daß
fie über den Polytheismus, den Gebrauch von Gottesbildern
und über Menfchenopfer erhaben war; pofitiv dahin, daß
man Gott als den allgewaltigen und als fittlich beftimmtes
Wefen dachte, den man durch Opfer und Gebet verehrte.
Worin befiehl nun der Fortfehritt auf der mofaifchen und
altprophetifchen Stufe der altteftamentlichen Religion?
Lediglich darin, daß Gott hinfort als Jahve verehrt
werden wollte. Diefes Namens Bedeutung: der Seiende,
Bleibende, Ewige, zugleich der Beftändige, Getreue paßt
in die vorliegende gefchichtliche Situation, ja ein Name
von folcher Bedeutung war in ihr einfach gefordert'. Durch
den ,als gefchichtlich geficherten' Akt des Bundesfchluffes
am Sinai wurde eine religiöfe Verbindung zwifchen Jahve
und dem Gefamtvolke begründet. Die Bundesbedingungen
entfalteten fich als Forderungen und Verheißungen. Jene
umfaffen die alleinige und bildlofe Verehrung Jahves, die
religiöfe Orientierung der Sittlichkeit, endlich auch die
Erfüllung .anthetifcher' Pflichten wie Wafchungen, Reinigungen
ufw. Neben diefen Forderungen kommen die kul-
tifchen erft in zweiter Linie in Betracht, was daraus folge,
daß jene dem Volke direkt mitgeteilt feien, diefe aber nicht!
Die Verheißungen befagen, daß Ifrael ein .Königreich von
Prieftern' und ein .heiliges Volk' fein foll, fie weifen aber
auch auf Ifraels fiegreiche Stellung unter den Völkern;
zugleich verengert fich der Urfprungskreis des Heilsvermittlers
immer mehr, indem er an der Menfchheit über
Abraham undjuda hinweg zur Familie Davids geht vgl.
2 Sam. 7,1 ib ff. Diefe in kurzen Zügen dargelegte Religion
Ifraels wurde in Pal. weder kanaanitifiert noch
babylonifiert, auch das neuhervortretende Königtum hat nur
in peripherifcher Weife in den Beftand der legitimen Religion
Ifraels eingegriffen. Die Leiftung der Propheten
des 8. und 7. Jahrhunderts bezog fich zunächft auf die
Religion felbil, infofern fie den Gedanken der Alleinverehrung
und Bildlofigkeit Jahves aufs eifrigfte geltend machen
, im Charakter Jahves einige Züge mit neuem Nachdruck
vertreten und auch feine Weltregentenftellung fchon
betonen. Ein zweiter Teil ihrer Leiftung beftand in der
religiös fittlichen Leitung des Gottesreiches, ein dritter
Teil endlich lag in der Behütung, Ergänzung und Ver-
geiftigung des Gefetzes. Der Hauptinhalt der prophetifchen
Weisfagungen umfaßte die Zeichnung der Grundlinien der
zukünftigen Gottesreichsgefchichte, und zwar legten fie
allen Nachdruck auf die Vergeiftigung diefer Weisfagung,
die längft vor ihnen da war. Demnach kann von einer
eigentlichen Neuheit der prophetifchen Religion nicht die
Rede fein. Nach einer Auseinanderfetzung über die Bedeutung
der Bundeserneuerung unter Jofias legt K. dar,
was der Prophetismus auf feinem Höhepunkt durch Jeremia
gefchaffen: er ging auf den Urbeftand der Bundesbedingungen
, die von Gott direkt zur ganzen Volksgemeinde
gefprochen waren, zurück vgl. Jer. 7,22f, und er nahm zugleich
einen neuen Ausgangspunkt in der Ankündigung
vom Neuen Bund Gottes mit feinem Volk Jer. 31,31 ff. in
Ausficht. Davon, daß Jer. der Begründer des Individualismus
fei, kann keine Rede fein, denn die Behauptung von
dem Volk als Subjekt der Religion in älterer Zeit ift falfch,
nur dies kann gefagt werden, daß das Bewußtfein eigener
Verantwortlichkeit fich durch Jer. u. a. zu immer größerer
Helligkeit erhob. Der letzte Teil diefes Kap. befchäftigt
fich mit dem Einfluß des Exils und feinen Propheten,

«