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Ausgabe:

1913 Nr. 17

Spalte:

533

Autor/Hrsg.:

Wundt, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Kleine Schriften. I. Bd 1913

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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533

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 17.

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Linie verfchuldet hat, worauf Apelt mit Recht aufmerk-
fam macht.

Marburg. G. Weiß.

Wundt, Wilhelm: Kleine Schriften, gr. 8°. Leipzig, W.

Engelmann. ErfterBand. (VIII, 640S.) 1910. M. 14—;

geb. M. 15.20; Zweiter Band. (VII, 496 S.) 1911.
Die in diefen beiden Bänden vereinigten Abhandlungen
des unermüdlichen Forfchers find zu fehr ver-
fchiedenen Zeiten entftanden und mit Ausnahme der letzten
Abhandlung des L Bandes (Pfychologismus und Logizis-
mus), die für diefe Sammlung neu gefchrieben ift, in ver-
fchiedenen Zeitfchriften bereits veröffentlicht worden. Sie
find dazu beftimmt, teils ergänzende Ausführungen zu
Wundts größeren Werken, teils kritifche Auseinander-
fetzungen mit anderen Richtungen zu geben. Der Verfaffer
hielt es aber für feine Pflicht, die einzelnen Auffätze vor
ihrer Drucklegung noch einmal gründlich durchzufehen,
Überflüffiges auszufcheiden und, wo es wünfchenswert
fchien, Neues hinzuzufügen, fo daß, wenn auch die leitenden
Gedanken die gleichen geblieben find, das Neue
manchmal mehr Raum einnimmt, als das Alte. Bei umfangreicheren
Ergänzungen diefer Art ift jedoch der
Jahreszahl der erften Niederfchrift die der neueren Umarbeitung
beigefügt. Der erfte Band enthält folgende
Abhandlungen: I.Uber das kosmologifcheProblem II.Kants
kosmologifche Antinomien und das Problem des Unendlichen
III. Was foll uns Kant nicht fein? IV. Zur Ge-
fchichte und Theorie der abftrakten Begriffe, V. Über
naiven und kritifchen Realismus (eine Auseinanderfetzung
mit der ,immanenten Philofophie' von Schuppe und v.
Schubert-Soldern und mit dem Empiriokritizismus von
Avenarius). VI. Pfychologismus und Logizismus. Der
zweite Band der Sammlung enthält ausfchließlich Arbeiten
aus dem Gebiete der Pfychologie, die während einer Reihe
von Jahren in den von Wundt herausgegebenen Philo-
fophifchen und Pfychologifchen Studien erfchienen find,
und zwar hauptfächlich folche, die fich mit prinzipiellen
Fragen befchäftigen, und unter ihnen wiederum vorwiegend
diejenigen, welche befonders umfbrittene Fragen der Gegenwart
behandeln. Die Titel derfelben find: 1. Über phy-
fifche Kaufalität. II. Die Definition der Pfychologie. III.
Über pfychologifche Methoden. IV. Zur Lehre von den
Gemütsbewegungen. V. Hypnotismus und Suggeftion.

So gibt diefe Sammlung nicht bloß eine bequeme
Zufammenftellung vieler wertvoller in verfchiedenen Zeitfchriften
zerfbreuter Abhandlungen Wundts, fondern zugleich
eine durch die vielfache Auseinanderfetzung mit
modernen Richtungen ermöglichte Überficht über die
Stellung feiner Philofophie und Pfychologie in der Gegenwart
. Auf Einzelnes einzugehen, muß ich mir hier ver-
fagen (vgl. hierzu des Referenten eben erfchienenes .Lehrbuch
der Pfychologie' befonders § 1—5. Es fei aber
doch auf die' erkenntnistheoretifchen Ausführungen der
III. und V. Abhandlung des erften Bandes und auf die
Auffatzgruppe des zweiten Bandes .Über pfychologifche
Methoden' noch kurz hingewiefen, in denen Wundts
Stellung zu modernen Richtungen, hauptfächlich zu ge-
wilfen Erweiterungen der experimentellen Methode in der
.Denkpfychologie' und der .experimentellen Pädagogik'
befonders deutlich zum Ausdruck kommt.

Dresden. Th. Elfenhans.

Bißch, Stadtvik. Dr. K. A.: William James als Religions-

philotoph. (VIII, 88 S.) gr. 8°. Göttingen, Vandenhoeck
u. Ruprecht 1911. M. 2.40

William James, den ich im Oktober des Jahres 1907
in dem Studierzimmer feines eigenen Haufes in Cambridge
bei Bofton befuchen durfte, ift uns am 27. Auguft
1910 entriffen worden. Seit der Veröffentlichung feines

großen zweibändigen pfychologifchen Hauptwerkes ,The
Principles of Psychology' im Jahre 1890 zählte er unbe-
ftritten zu den bedeutendften Vertretern moderner Pfychologie
. Speziell theologifch.es Intereffe erregten erftmalig
die philofophifchen Effays, die er 1897 unter dem Titel
,The Will to believe' herausgab. 1902 erfchien dann das
Buch, das James in theologifchen Kreifen Deutfchlands
befonders bekannt gemachthat,diereligionspfychologifchen
Studien, ,The Varieties of religious Experience'. In den
letzten Jahren feines Lebens ift James ganz durch den
Kampf um die Weltanfchauung in Anfpruch genommen
worden, indem er fich als eifrigften Anwalt des Pragmatismus
betätigte (The Pragmatism 1907, Meaning of
Truth 1909). Und die pragmatiftifche Denkweife ftand
für ihn wieder in engftem Zufammenhang mit feiner plu-
raliftifchen Metaphyfik, wie er fie fchon im Schlußwort
der Varieties angedeutet und in dem Buche A pluralistic
Universe, 1909, ausgeführt hat.

Unter den hiermit gegebenen Gefichtspunkten ftellt
der Verfaffer vorliegender Arbeit James' Religionsphilo-
fophie dar. Er war für diefe Arbeit befonders berufen,
da er ein Jahr lang an der Harvard Univerfität, an der
James lehrte, ftudieren konnte. Demgemäß zeigt die Arbeit
denn auch faft durchweg ein tiefdringendes Verftändnis
für James' Pofition und ift daher als vorzügliches Hilfsmittel
für das Studium derfelben zu empfehlen. Ihr Haupt-
intereffe konzentriert fich naturgemäß und berechtigter
Weife auf James' religionspfychologifche Leiftung.

Nun hat kürzlich Willi. Wundt in feinen Problemen
der Völkerpfychologie denjenigen deutfchen Theologen,
die für James' religionspfychologifche Arbeit Intereffe zu

| wecken fich bemüht haben — in Sonderheit Ernft Tröltfch

' und dem Unterzeichneten — den Vorwurf gemacht, fie
fuchten den Pragmatismus in die deutfche Theologie einzuführen
. Diefer Vorwurf geht offenbar von der Voraus-
fetzung aus, daß jene religionspfychologifche Arbeit James'

1 mit feinem Pragmatismus wurzelhaft und unzertrennlich
verbunden fei. Diefe Vorausfetzung ift aber falfch. Wohl
hat James auch feine religionspfychologifche Arbeit in
den Dienft feiner pragmatiftifchen Philofophie geftellt, aber
wefentlich und fachlich notwendig ift diefe Verbindung
in keiner Weife. Bufch hat das richtig erkannt und gibt
eine in der Hauptfache zutreffende, wenn auch nicht hinreichend
durchgeführte Beurteilung des Sachverhalts.
Während er der religionspfychologifchen Leiftung James'
fehr fympathifch gegenüberfteht und ihr die größte Bedeutung
beimißt, lehnt er den Pragmatismus ab. Er
durchfchaut feine Schwächen, feine mannigfachen Selbft-
widerfprüche und feine erkenntniskritifche Haltlofigkeit.
Doch verkennt er darum feine Wahrheitsmomente nicht.
Sein in diefer Beziehung zufammenfaffendes Urteil verdient
volle Zuftimmung: der englifch-amerikanifche Pragmatismus
, der als hiftorifcher Gegenfchlag gegen den anglo-
amerikanifchen Hegelianismus zu verliehen ift, bedarf
aufs neue eines Kant, der den radikal-empirifchen wie
radikal-rationaliftifchen Sauerteig abermals ausfegt, um
den Süßteig kritifchen Denkens darzubieten. (S. 83).

Der wichtigfte Punkt für die theologifche Bewertung

James' und zumal feiner religionspfychologifchen Arbeit ift
das Verhältnis der letzteren zur theologifchen Grundpofition
— oder noch beffer: zur theologifchen Grundtendenz —
Schleiermachers. Mit Recht macht Bufch mehrfach auf die
enge Verwandtfchaft der Gefamtbetrachtungsweifen beider
aufmerkfam. Aber hier muß dann eine genauere Unter-
fuchung einfetzen. Sie wird meines Erachtens zeigen
können, daß die Kombination Schleiermacher-James durch
gegenseitige Korrektur der Fundamentalpofitionen beider
und die dadurch ermöglichte Fortführung ihrer °-ereini°ten
einheitlichen Grundtendenz eine höchft fruchtbare theologifche
Problemftellung ermöglicht.

Zum Schluß ein kurzes Wort in eigener Sache. Bufch
fragt S. 24, ob nicht in meiner deutfchen Bearbeitung
der Varieties die von mir abfichtlich vorgenommenen und

o