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Ausgabe:

1913 Nr. 17

Spalte:

529-531

Autor/Hrsg.:

Görres, Josef von

Titel/Untertitel:

Görres’ Ausgewählte Werke und Briefe, hrsg., m. Einleitg. u. Anmerkgn. versehen von Wilh. Schellberg. 2 Bde 1913

Rezensent:

Vigener, Fritz

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529 Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 17. 530

Anwendung. Die geiftige Entwickelung der erfteren, die [ wefentlich, doch nicht ausfchließlich literargefchichtlich

von glühendem Rouffeaukultus, unter der Zucht äußerer
Verfolgungen und innerer Erlebniffe, durch die Schule des
deutfchen Idealismus, fich allmählich von dem Optimismus
der Aufklärung zum immer reiferen Varftändnis des
Chriftentums hinbewegte, hat in V. einen fympathifchen
und verftändnisvollen Darfteller gefunden. Nicht weniger
gelungen und von bleibendem Wert ift das Meifte, was
über Chateaubriand von V. gefagt wird. Die Urteile über
den Genie du christianisme (,noble et magnifique parodie'
321), über die Martyrs, über die Überfetzung von Miltons
verlorenem Paradies, über das Leben Rances gehören
zum Berten, was über den großen Romantiker, deffen
Charakter der milde Vinet übrigens weit überfchätzt, bis
auf den heutigen Tag gefchrieben worden ift. — Was
diefem Werk aber noch feinen befonderen Wert gibt, was
ihm eine höhere Weihe verleiht, das find die im Lauf der
Darftellung eingeftreuten Bemerkungen, die den feinen
Pfychologen, den fcharffinnigen Beobachter, den tief gegründeten
Chriften kundgeben; wollte man einzelne Bei-
fpiele geben, fo müßte man zahlreiche Seiten ausfchreiben,
die auch für den Theologen einen reichen Gewinn abwerfen
würden. Möge die fo glücklich begonnene Vinet-
ausgabe auf dem angetretenen Wege weiter fchreiten und
fich des Erfolges freuen, den fie in hohem Maße verdient!
Straßburg i. E. P. Lobftein.

Görres', Josef von, Ausgewählte Werke u. Briefe, hrsg., m.
Einleitg. u.Anmerkgn.verfehen von Wilh. Schellberg.
2 Bde. (CL, 677 u. XVI, 842 S. m. Bildniffen, Taf,
2 Fkfms. u. 1 Stammtaf.) 8°. Kempten, J. Köfel 1911.

M.6—; geb. M.8—; in 1 Bd. geb. M. 7.50.
Eine reichhaltige und darum willkommene Auswahl. ! über Lamennais z.B., vom 13. September 1834, dürfte

intereffierten Studien der Heidelberger Zeit find fehr ftark
vertreten, mit Recht vor allem die in der .Aurora' veröffentlichten
, von denen die über Nord- und Süddeutfch-
land und über Glauben und Wiffen (1805) befondere Beachtung
verdienen. Unter den Abhandlungen, die Görres
in feinen letzten Heidelberger Jahren gefchrieben hat,
dürfte denen über das Wachstum der Hiftorie (Das Chriften-
tum in der Gefchichte) und über deutfche Bildung die
größte biographifche und fachliche Bedeutung zukommen.
Die 1810 verfaßten Reflexionen über den Fall der Religion
und ihre Wiedergeburt, von denen Sch. freilich nur den
kleinften Teil wiedergibt (S. 470 ff), zeichnet ein ernftes
Streben nach unbefangener Gefchichtsanfchauung aus, und
auch die kirchenpolitifchen unter den mächtigen Artikeln
des Rheinifchen Merkurs (S 480—655 eine treffliche Auswahl
) verraten nur leife die noch zaghafte Hinwendung
zum exklufiven Kirchentum (vgl. namentlich S. 586 ff).
Den Übertritt in die Reihe der entfchiedenen Kirchenkämpfer
hat Görres ja erft nach feiner Verbannung aus
Preußen vollzogen. Seine Wirkfamkeit in dem neuen
Lager läßt fich in diefer Ausgabe nur in den Briefen verfolgen
. Der Briefband ift ohnedies der wertvollfte Teil
von Sch.s Veröffentlichung. Er bringt viele Briefe, die
in den von Franz Binder herausgegebenen gefammelten
Briefen fehlen, darunter manche ungedruckte (vgl. dazu die
Berichtigungen von K. A. v. Müller im Archiv f. Kultur-
gefch. 9, 438 ff. und von Roudil in den Annales revolut.
5, S.420 f.)'. Die Auswahl fcheint mir im ganzen recht glücklich
zu fein, läßt aber begreiflicherweife einige Wünfche unerfüllt
. Mir ift es aufgefallen, daß von den Briefen, die Görres
an Anton Günther gerichtet hat (in Knoodts Biographie
Günthers mitgeteilt), keiner hier untergebracht ift; der

Den ganzen Görres fpiegelt fie freilich nicht wieder, denn ' gewiß beachtenswert fein. Bei den meiften Briefen hat
von allen nach 1819 entftandenen Schriften ift nur der | Sch. mit Recht unbedeutende Sätze weggelaffen. BeNachruf
auf Arnim aufgenommen worden. Der Heraus- ; dauerlicher Weife find aber auch folche Sätze gelegent-
geber meint, das was G. bis 1S19 gefchrieben habe, könne [ lieh von ihm geopfert worden, die den Brieffchreiber zu-
,am eheften bei allen, die guten Willens find, freundliche gleich und die Zeit kennzeichnen. So hätte er in dem
Aufnahme finden'. Es find alfo die Auffätze und Bücher, i Briefe an Brentano (Nr. 218; Ende 1827) die folgende,
die G. als Vorkämpfer kirchlich-katholifcher Anfprüche höchft lehrreiche Stelle nicht überfpringen follen: ,Ein
gegen die hergebrachten ftaatlichen Rechte, gegen den , Dutzend Nonnen-Klöfter haben fich ohne weiteres Zutun
preußifchen Staat insbefondere hinausgefandt hat, famt ' fchon wieder zufammengefunden; fie erklärten fich eben,
und fonders ausgefchloffen, und das heißt doch, es fehlen als die Luft hell wurde, als exiftirend und wie fie nie
einige der wichtigften Zeugniffe zur Kennzeichnung der | zu beliehen aufgehört' (Briefe hrsg. v. Binder 3,321). In
perfönlichen Entwicklung und der gefchichtlichen Stellung dem Briefe vom 20. Juli 1842 (Nr. 270) hätte man gern

des Mannes, der von einem revolutionären Idealismus
über einen unbedingten Patriotismus hinweg fchließlich
zu einem, zwar nicht engen, doch in fich abgefchloffenen
Klerikalismus gekommen ift. Die den Herausgeber leitende
Erwägung, daß der Verfaffer des Athanafius, der
Wallfahrt nach Trier und der Myftik nicht mehr dem
Ganzen der Nation, fondern nur noch einer Partei eigentümlich
angehöre, wird man gewiß verftändlich finden
und auch fympathifch aufnehmen können. Aber die ab-
ftrufe Philofophie des Vifionären und Magifchen ift nun
einmal des Mannes innerfter Befitz, und fein kirchen-
politifcher Kämpfergeift vollends ift untrennbar mit feinem
Wefen verwachfen. Eben darum, weil Görres noch in fpä-
teren Jahren eine Anfchauungswelt in fich aufnahm, die den
geiftigen Inhalt feiner beften Mannesjahre fo ziemlich zer-
ftört hat, ift auch die Vorftellung Schellbergs, daß Görres
fich ,in die Schar der großen Erzieher des deutfchen
Volkes' einreihen ließe, nichts als eine fchöne Illufion.
Man wird es deshalb bedauern müffen, daß die Auswahl
nicht lediglich, durch den Gedanken beftimmt ift, Görres
m der ganzen Entfaltung feiner Geiftesart zu charakte-
nfieren; die Briefe, die bei einem Manne von folchem
Temperamente wie es Görres eigen war von größter Bedeutung
fmd, hat übrigens Sch. unter diefem, fachlich
allein berechtigten Gefichtspunkte ausgewählt. Von jenem
Mangel abgefehen, ift auch die Zufammenftellung aus

die Mitteilung von dem Übertritt der Mutter des Kano-
niften Phillips wiedergefunden und die zugehörige Feft-
ftellung: .Überhaupt geht es hier mit dem Katholifch-
werden ziemlich rafch' (Briefe 3, 592). Ähnliche Lücken
laffen fich noch hier und da feftftellen. Doch möchte ich,
um Mißdeutungen vorzubeugen, zugleich bemerken, daß
der Herausgeber redlich bemüht ift, fich ein unbefangenes
Urteil zu wahren. Das zeigt fich in den überaus inhaltvollen
Anmerkungen (II, 574—765), die forgfältig gearbeitet
find (S. 763 zu Nr. 254 ift zu berichtigen nach
Binders Briefausgabe 3,665; Friedrich II. S. 822 ift wohl
nur ein bösartiger Schreibfehler, vielleicht auch S. 703 der
ergötzliche ,Neue Paufanias und fein Blumenmädchen'),
das zeigt fich auch in der Einleitung. Diefe Einleitung
geht inhaltlich über das hinaus, was man in folchen Ausgaben
fonft gewohnt ift. Sie ift durchaus lefenswert,
würde aber mehr befriedigen, wenn der Verf. feine Be-
geifterung ftärker gezügelt und den Ton der Darfteilung
etwas gedämpft hätte. Seine Schreibweife ift bisweilen
anregend, führt aber gelegentlich in journaliftifche Niederungen
und hält fich nicht frei von gefpreizten und gefliehten
Worten, die nur verdunkeln können; manche hingeworfene
, abgefchnittene Sätze erinnern übrigens in Hörender
Weife an den Romanftil der Handel-Mazzetti. Die

1 Hierzu fei noch verwiefen auf den foeben erfchienenen Band: Briefe
an Friedrich Chriftoph Perthes (l8tl—1827), hrsg., eingel. u. erläutert von

j»n ^rbrift^n nn^t a rr .---j u j 1 V -TV an vneonen cnnltopn rennes v 1011 — 10271, nrsg., eingel. u. enamen von

aen acnniten und Autlatzen durchaus dankenswert. Die w. Schellberg. (u6 S.) gr. 8». Köln, J. P. Bachem 1913. M. 1.80. D. R.