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Ausgabe:

1913

Spalte:

461-462

Autor/Hrsg.:

Brem, Ernst

Titel/Untertitel:

Papst Gregor IX. bis zum Beginn seinen Ponifikats 1913

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 15.

462

Hiftoriker, nicht Philofoph' ift (S. 23), daß fein .Sprachgebrauch
nicht das Refultat fpekulativer Theologie, fondern
der Exegefe' war (S. 13). Darum dürfte er auch die
,Bewährungslehre' deutlicher in diefen Zufammenhang
rücken. Die Antiochener waren eben Exegeten und Hiftoriker
genug, um das Gewicht von Stellen wie Luk. 24, 26
Act. 2,36 Phil. 2,9ff zu fühlen, und da die Präexiftenz Chrifti
feftftand und feine Homoufie durch das Nicänum definiert
war, fuchten fie durch die ,Bewährungslehre' jenen Stellen
und dem Dogma gerecht zu werden. Die Tatfache aber,
daß Cyrill fchließlich ein die antiochenifche Idiomen-
prädikation enthaltendes Glaubensbekenntnis unterfchrieb,
beweift nicht, wie Junglas S. 18 A. 1 optimiftifch meint,
daß diefe ,nicht unter allen Umftänden häretifch ift', fondern
nur, daß Hierarchen wie Cyrill ,mit fich reden laffen,
wenn fie in Gefahr flehen, Macht und Einfluß zu verlieren',
wie Harnack treffend bemerkt (Dogmengefch. 4 II, 366).
Und dadurch, daß bei diefem Vergleich zwifchen Cyrill
und den Antiochenern neben der Annahme des von der
neftorianifchen Fraktionsfynode zu Ephefus aufgeftellten
Bekenntniffes die Verwerfung des Neftorius ausdrücklich
ausbedungen wurde, war nicht ,die neftorianifche Härefie
ausgefchloffen', fondern erreicht, was der ehrgeizige Patriarch
von Alexandrien, neben feinem Onkel Theophilus
eine der widerwärtigften Geftalten der altkirchlichen Orthodoxie
, angeftrebt hatte: der Untergang des Kollegen von
Konftantinopel.

Nachdem Junglas die proteftantifche Forfchung
korrigiert hat, ftellt er noch acht Punkte zufammen,
worin die katholifchen Lehrbücher der Dogmatik die
Lehre des Neftorius falfch darzuftellen pflegen, indem
fie fich einfach an die Angaben Cyrills halten, obwohl
Neftorius fie zum Teil felber als Mißverftändniffe und Ent- j
ftellungen zurückgewiefen hat. Das mag namentlich der
Grund gewefen fein, warum gegen den ,Marianifchen
Kongreß' der Vorwurf des Neftorianismus und Modernismus
erhoben wurde, da manche einen .Angriff auf
katholifche Lehrbücher der Dogmatik von einem Angriff
auf das Dogma felbft nicht zu unterfcheiden vermögen.
Die vorliegende Schrift dürfte wohl auch die fenfibelften
Moderniftenfchnüffler von der kirchlichen Rechtgläubigkeit
ihres Verfaffers überzeugen. Es müßte nur der
Schluß wieder mißfallen, worin Junglas der tiefen Tragik,
die durch das Leben des Neftorius geht, Ausdruck gibt
und dem gefallenen Manne, der nach der Lektüre der
Epistula dogmatica Leos L in feiner Einfamkeit das .Nunc
dimittis' anftimmte, am Schluffe feines Lebens die bona
fides zufpricht.
München. _Hugo Koch.

Brem, Ernft: Papft Gregor IX. bis zum Beginn Feines Ponti-
fikats. Einbiograph.Verfuch. (Heidelberger Abhandlgn.
z. mittleren u. neueren Gefch. 32. Heft.) (X, 118 S.)
gr. 8°. Heidelberg, C. Winter 1911. M. 3.20

Brem verarbeitet fehr gefchickt die Angaben, die
wir über Hugos von Segni, des nachmaligen Papftes Gregor
IX., Leben und Tätigkeit bis zu feinem Pontifikat
haben zu einem eindrucksvollen Charakterbilde. In den
erften' beiden Abfchnitten wird feine kirchlich politifche
Tätigkeit unter Innocenz III. und Hononus HL, im dritten
fein Verhalten zu den Orden der Kirche und fein religiöfes
Leben gefchildert. Man wird wohl fagen können, daß
Hugo unter Innocenz III. die politifchen Lernjahre durchgemacht
und unter Honorius HL, der ihm feiner Natur
nach größere Selbftändigkeit ließ, Innocenz Politik fortgefetzt
habe. Es ift ein Vorzug von Brems Arbeit, der
Frage forgfältig nachgegangen zu fem, inwieweit unter
Honorius III. die Gedanken Innocenz' III. nachgewirkt
haben. Indem fie den Umfang und die Bedeutung von
Hugos politifcher und adminiftrativer Tätigkeit darlegt,
gewinnt fie den richtigen Maßftab zur Beurteilung feines
Verhaltens gegen die religiöfen Bildungen feiner Zeit,

namentlich gegen Franz von Affifi und den Franziskanerorden
. Das wird ja immer als der wichtigfte und inter-
effantefte Teil von Hugos Werk angefehen werden mühen,
wie er es verftanden hat, die religiöfe Bewegung in den
Dienft der politifchen Kirche zu ftellen. Brem findet den
Schlüffel dazu in feiner glühenden Frömmigkeit und in
feiner darauf gegründeten Freundfchaft mit Franz. .Sein
ganzes Wefen bewegte fich zwifchen den beiden fich aus-
fchließenden und doch wieder bedingenden Polen weltflüchtiger
Frömmigkeit und rückfichtslofeften politifchen
Strebens, die mit Naturnotwendigkeit von Zeit zu Zeit in
einander umfchlagen mußten.' Er leugnet keineswegs,
daß ,die Ausprägungen der beiden Perfönlichkeiten im
praktifchen Leben einander widerftreiten mußten, und
findet gerade darin den eigentümlichen Zauber des Ver-
hältniffes zwifchen beiden, daß .diefer Widerftreit das
lautere Gold der Freundfchaft nicht zu trüben vermochte.'
Es wird völlig klar, daß Franz, weil er Vertrauen zu Hugo
hatte, fich von ihm leiten ließ; aber man wird doch auch
nicht anders urteilen können, als daß Hugo diefes Vertrauen
mißbraucht hat. Ift das richtig, fo würde ich in
der Charakterifierung Hugos das religiöfe Moment bedeutend
hinter dem politifchen zurücktreten laffen und
meinen, daß er uns nur deswegen religiöfer als Innocenz III.
erfcheint, weil er noch nicht Papft war, als er mit Franz
verkehrte. In einem Exkurs fetzt Brem mit einleuchtenden
Gründen auseinander, daß die Begegnung Hugos mit
Franz, die, man kann wohl fagen, von einfchneidender
Bedeutung für die Gefchichte des Franziskanerordens war,
auf Anfang Oktober 1218 anzufetzen ift. Ebenda finden
fich fehr wertvolle Bemerkungen über die Bußbrüder-
regel; Brem ift der Meinung, daß fie durch Hugo vor
feiner Legation in Oberitalien 1221 abgefaßt und unter
ausdrücklicher Erwähnung ihrer Abfaffung durch Franz,
der ihr zugeftimmt hatte, 1221 in den Städten feines
Legationsbezirks z. B. in Florenz und Faenza bei den
Bußbrüdern eingeführt fei. Das fcheint mir in der Tat
eine treffende Erklärung zu fein. Man fieht auch hier
wieder, wie Hugo es verftanden hatte, die religiöfe Bewegung
unter feine Leitung zu bringen.

Ich hoffe, daß Brem feine Studien fortfetzen und auch
noch den Pontifikat Gregors IX. monographifch behandeln
wird; daß er fich mit den das 13. Jahrhundert bewegenden
Kräften vortrefflich vertraut gemacht hat, zeigt die vorliegende
Abhandlung.

Kiel. G. Ficker.

Vollmer, Prof. Lic. Hans: Materialien zur Bibelgelchichte u.
religiölen Volkskunde des Mittelalters. 1. Bd. Ober- u.
mitteldeutfche Hiftorienbibeln. (VII, 214 S. m. 20
Lichtdr.-Taf.) gr. 8°. Berlin, Weidmann'fche Buchh.
1912. M. 12-

Als letztes Ziel fchwebt dem Verfaffer vor eine ,Gefamt-
darftellung des religiöfen Volkslebens im deutfchen Spätmittelalter
, etwa von 1200—150x3' als ,eine unerläßliche
Vorbedingung für eine richtige Einfehätzung der Reformation
'. So eine Gefamtdarftellung wäre in der Tat fehr
fehr willkommen. Aber mag man dem Verfaffer auch
von Herzen wünfehen, daß er ,in Nestorea secula' fich
unverminderter Arbeitskraft erfreuen möchte, fo wird man
doch zweifeln dürfen, ob jenes Ziel für ihn erreichbar ift

Bei den hohen Anforderungen, die heutzutage _ mit

Recht — geftellt werden in bezug auf erfchöpfende
(Juellen- und Literaturkenntnis, allfeitige Verarbeitung
des Materials, Akribie bis in die letzten Einzelheiten hinein
und doch künftlerifch-fchöne, einfach klare Darfteilung
kann einer, der im Schulamt fteht, kaum ernftlich an ein
folches umfaffendes Thema denken. Solche Arbeiten
muffen denen vorbehalten bleiben, die von Berufswegen die
Wiffenfchaft zu pflegen und zu fördern haben

Mißt man das vorliegende Buch an dem dem Ver-