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Ausgabe:

1913 Nr. 15

Spalte:

459-461

Autor/Hrsg.:

Junglas, Johannes Peter

Titel/Untertitel:

Die Irrlehre des Nestorius. Dogmengeschichtliche Untersuchung 1913

Rezensent:

Koch, Hugo

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 15.

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führten Betrachtungen die Lohnvorftellung des Paulus;
er handelt von den mehr religiös motivierten und von
den mehr mit den alten jüdifchen Vorftellungen zufam-
menhängenden Formeln des Lohngedankens, vom Rühmen,
von der Verbindung zwifchen dem Lohngedanken und
den übrigen religiöfen Gedanken des Apoftels u. a. m.
Auch in diefem Teil ift viel Anregendes gefagt, dennoch
habe ich Bedenken zu äußern. Wieder geht der Verf.
darauf aus, den Anteil des Paulus an den realiftifchen
Anfchauungen der Eschatologie auszufcheiden. Wenn
Paulus I. Cor. 3,5 ff. von Prüfungs- und Sühnungsftrafen
fpricht, foll er in Wirklichkeit nicht daran glauben; Auf-
erftehung, Gericht foll für ihn einer fremden Welt angehören
, auch wenn er davon fpricht; Lohn im eigentlichen
Sinne foll er nicht kennen. Hier wird doch m. E. um
der Harmonie willen das Spiritualiftifche, rein Religiöfe
bei Paulus, das W. vortrefflich zum Ausdruck bringt, allzu
weit genommen, und der Apoftel wird mehr als es ge-
ftattet ift, von dem rabbinifchen Judentum abgerückt.
Es folgt noch eine kurze Darlegung der Rechtfertigungslehre
; in den Schlußbemerkungen ftellt der Verf. noch
einmal das Originelle, das Religiöfe bei Paulus feft, das
ihn bei allen Beziehungen über das Judentum hinaushebt.
Exkurfe zu Rom. 1,18—2,29 und zu den Vergeltungs-
vorftellungen der Paftoralbriefe befchließen das Buch.
So wertvoll die Unterfuchung ift, fo läßt fie doch hin
und wieder methodifche Sicherheit und auch Klarheit
über die Ergebniffe vermiffen. Am angreifbarften ift die
Beurteilung des Eschatologifchen, deffen zentrale Bedeutung
der Verf. keineswegs verkennt; fie umzudeuten, die
Worte nicht ernft zu nehmen, fcheint mir fehr bedenklich
. Die eschatologifche Gefamtanfchauung des Paulus
ift eben nicht einheitlich, aber die Unftimmigkeiten haben
ihre guten Gründe. Paulus fchaut das meffianifche
Heil bald als erlebt, bald als noch ausftehend an; das
offenbarte Heil ift ein gewaltiger Gnadenakt, das künftige
Gefchehen wird ganz im Sinne der jüdifchen Eschatologie
vielfach noch als ein Rechtshandel betrachtet. Diefe
Momente find W. nicht fremd, fie hätten aber bei Anlage
und Ausführung fchärfer herausgearbeitet werden müffen.

Leipzig. Hans Windifch.

Junglas, Gymn.-Ob.-Lehrer Dr. Joh. P.: Die Irrlehre des

Neftorius. Dogmengefchichtliche Unterfuchung. (29 S.)
gr. 8°. Trier, Paulinus-Druckerei. (1912). M. —75

Es ift bekannt, daß die causa Nestorii in jüngfter
Zeit, teils auf Grund einer kritifchen Sammlung und Prüfung
der alten Quellen (Loofs), teils mit Hilfe eines neuen
Fundes (,Das Buch des Heraklides von Damaskus', von
Neftorius), wiederholt revidiert wurde. Auf katholifcher
Seite befaßten fich Fendt, Jugie und Duchesne eingehender
mit der Lehre des Neftorius. Der letztgenannte
widmete der /Tragödie' des Patriarchen ein langes Kapitel
im dritten Bande feiner Histoire ancienne de l'Eglise
(4. Aufl. 1911, 313—388), mit dem Ergebnis, daß Neftorius
orthodox gewefen, demnach einem Juftizirrtum des
Ephefinum zum Opfer gefallen fei. Nimmt man dazu,
wie Duchesne überhaupt über diefe chriftologifchen
Streitigkeiten urteilt — Puisque la curiosite humaine
s'acharnait sur le mystere du Chrift, puisque l'indiscretion
des theologiens retenait sur la table de dissection le doux
Sauveur qui s'est propose ä notre amour et ä notre
imitation bien plus qu' ä nos investigations philosophiques
etc. (S. 323) —, fo wird es begreiflich, daß man in Rom
davon wenig erbaut war und die .Tragödie' des berühmten
Patriarchen in Verbindung mit andern Gravamina zu
einer cause celebre — .Tragödie' kann man wohl nicht
fagen, da die Sache von niemanden, und am wenigften
vom Betroffenen felber, tragifch genommen wurde — des
berühmten Kirchenhiftorikers und römifchen Prälaten
führte. Vorfichtiger, aber auch verfchwommener blieb
das Urteil Fendts (Die Chriftologie des Neftorius 1910)

über die Frage, ob Neftorius Häretiker gewefen fei. Von
Jugieaber wurde fiekräftig bejaht (Artikel ,Ephese,concile d''
im Dictionnaire de la theologie catholique Fase. 34,
Paris 1911, 137—163).

Der Unftern, der über Neftorius waltete und mit
feinem Schweife Duchesne ftreifte, fcheint fich aber noch
immer nicht ganz verzogen zu haben. Auf dem fechften
.Internationalen marianifchen Kongreß' zu Trier (Auguft
1912) fprach nämlich in der .Wiffenfchaftlichen deutfehen
Sektion' Junglas (bekannt durch feine Monographie über
Leontius von Byzanz 1908) auch über das fatale Thema,
mit dem Erfolge, daß verfchiedene ftrengpäpftliche Blätter
in Frankreich und Italien fofort nicht bloß ihn, fondern
auch die Gefamtleitung des Kongreffes, ja felbft feine
Zuhörer des Modernismus befchuldigten, was bekanntlich
in den heutigen kirchlichen Zeitläuften einen fchwereren
Vorwurf bedeutet, als wenn man einem nachfagte, er habe
filberne Löffel geftohlen. Um diefen Schändlichen Vorwürfen
zu begegnen' und .gegen perfönliche, feine Priefter-
ehre und feinen Glauben antaftende Verdächtigungen zu
proteftieren', entfehloß fich Junglas, feine .Gedanken über
die Neftoriusfrage noch vor Erfcheinen des offiziellen
Kongreßberichtes der Beurteilung der Theologen zu
unterbreiten'.

Die kleine dogmengefchichtliche Studie ift, um es
gleich zu fagen, fehr beachtenswert. Die Thefe, daß der
Kampf des Neftorius gegen das &eor6xoq — den er
übrigens aufzugeben bereit war — nur Symptom einer
tieferen dogmatifchen Krankheit, Neftorius alfo wirklich
Häretiker war, fcheint mir richtig zu fein. Neftorius
huldigte nämlich in der Chriftologie der antiochenifchen
Bewährungslehre, nach der die Vorzüge, die nach
1 katholifcher Auffaffung naturnotwendige Folgen der
hypoftatifchen Union find, von Chriftus erft verdient
werden mußten und erft mit der Auferftehung eintraten.
Neftorius lehrte alfo über den auferftandenen Chriftus
orthodox, über den auf Erden wandelnden Chriftus häre-
tifch. Auch das fcheint mir J. plaufibel gemacht zu
haben, daß die Väter von Ephesus diefe Grundanfchauung
des Neftorius erkannt oder wenigftens inftinktiv gefühlt
haben, da fie immer wieder auf den Widerfpruch mit dem
Nicänum hinwiefen, und daß auch Papft Cöleftin diefen
Zufammenhang wiffen konnte. Darnach wäre das Urteil
Harnacks über Cöleftin (Dogmengefchichte 4 II, 358 ff)
zu hart. Gut find auch die Ausführungen über jtQÖomjtov
bei Neftorius (S. 22 ff).

Mit Recht wird die Argumentation Jugies abgelehnt, daß es .doch
höchft feltfam wäre, wenn Neftorius von allen feinen Zeitgeuoflen miß-
verftanden worden wäre, und wenn es erft einzelnen feltfamen Köpfen
fpäterer Jahrhunderte vorbehalten fein foll, ihn richtig zu verliehen' (S. h).
Man könnte noch hinzufügen, daß eine folche Argumentation am wenigften
auf der Seite angezeigt ift, wo mau im Widerfpruch mit dem Urteil
des Konzils von Konftautinopel (680) und der folgenden Jahrhunderte
j den Papft Honorius von Härefie rein wäfcht. Weniger verftändlich ift
mir, warum die Entfcheidung zu Ephefus ,in erfter Linie eine Difzipli-
narentfeheidung' fein foll (S. 12). Eine Abfetzung ift felbftverftändlich
immer eine Difziplinarentscheidung, aber fie fetzte zu Ephefus doch ein
Urteil über den Inhalt der Lehre des Neftorius (quaestio facti) und über
den orthodoxen oder häretifchen Charakter diefer Lehre (quaestio juris)
voraus. Und wenn Junglas S. 17 fagt: ,Sie ftützt fich auf Ungehorfam
gegen die Canones — Neftorius war der Vorladung vor das Konzil nicht
gefolgt — und auf Härefie', fo ift damit die vom Konzil gewählte, von
Junglas felber S. 12 angeführte Reihenfolge — ,wegen deiner gottlofen
Predigten und wegen deines Ungehorfams gegen die Canones' — willkürlich
umgeftellt. Es berührt auch eigentümlich, wenn im Anfchluß an
den obengenannten Satz S. 17 erklärt wird: ,Es bleibt Aufgabe der
dogmengefchichtlichen Forfchung, diefe Härefie zu finden', deshalb eigentümlich
, weil es bekanntlich beim fchon erwähnten Fall Honorius Aufgabe
der katholifchen Forfchung bleibt, die vom Konzil konftatierte
Härefie — nicht zu finden. Daß Neftorius jünger als das Chalcedo-
I nense' fei (S. 23), ift .orthodox' gedacht und .häretifch' ausgedrückt. Be-
! denklicher ift es fchon, wenn auf S. 27 viermal 9-eö<pOQO<; fteht ftatt
| 9eo<pÖQO<;. Ein avS-Qumo? 9e6<pOQO<; wäre ja Chriftus nach Neftorius
in der Tat — .Nach ihm ift der Logos der Träger, die menichliche
Natur <poQOVfiivrj er nimmt diefe Natur auf, macht fie fich zu eigen,
I hüllt fich ein etc.' —, während Junglas dartun will, daß ein av^Qwno^
9e0(poooq dem Sinne des Neftorius nicht entfpreche.

Treffend betont J., daß Neftorius ,ganz Exeget und