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Ausgabe:

1913 Nr. 15

Spalte:

454-458

Autor/Hrsg.:

Wallis, Louis

Titel/Untertitel:

Sociological Study of the Bible 1913

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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453

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 15.

454

Biblifche Zeitichritt, in Verbindung m. der Redaktion der
.Biblifchen Studien' hrsg. v. Prof.Dr. Joh.Göttsberger
u.Prof.Dr.Jof. Sickenberger, 10.Jahrg. 1912. 4Hefte.
(448 S.) gr. 8°. Freiburg i. B., Herder. M. 12 —

Wenn auch vereinzelte Ausführungen fpeziell katho-
lifch gefärbt find, wenn z. B. die Infpiration der biblifchen
Schriftfteller vorausgefetzt wird oder wenn bei der Exegefe
die traditionell-kirchlichen Auffaffungen bevorzugt werden,
fo muß doch betont werden, daß diefe Dinge vor den
wiffenfchaftlichen Problemen in den Hintergrund treten
und als verhältnismäßig irrelevant mit in den Kauf genommen
werden können. Denn im großen und ganzen
ift die Zeitfchrift vorzüglich redigiert, wie die ausführlichen
Bibliographifchen Notizen, die Mitteilungen und Nachrichten
am Schluß jedes Heftes lehren, und im großen
und ganzen ftehen die Artikel durchaus auf der Höhe
wiffenfchaftlicher Forfchung. Sie find nicht nur klar und
feffelnd gefchrieben, fondern fie bewegen fich auch in den
Problemen der gegenwärtigen Wiffenfchaft. Das zeigt fich
befonders deutlich auf altteftamentlichem Gebiet, wo literar-
kritifche und textkritifche Fragen faft gar nicht erörtert
werden, mit Ausnahme kleinerer Notizen und von zwei
kurzen Aufiatzen über Sprüche 6,1—19 von Zenner und
Wiesmann und über den Doppelfchluß des Koheleth,
der mit Hülfe des Akroftichus von Sigwalt in fehr un-
wahrfcheinlicher Weife rekonftruiert wird. Das Haupt-
intereffe beanfpruchen mit Recht die Funde und Ausgrabungen
in Paläftina und die Heranziehung des baby-
lonifch-ägyptifchen und überhaupt des vorderafiatifchen
Materials. So berichtet Mader über die bei den palä-
ftinifchen Ausgrabungen gefundenen, teils wirklichen, teils
angeblichen, Heiligtümer in Gefer, Megiddo undThaanach;
feine Deutungen find befonnen und daher beachtenswert.
Euringer befpricht die ägyptifchen und keilfchriftlichen
Analogien zur Auffindung des Gefetzbuches unter Hiskia;
er gibt ausführliches Material, aus dem fich jeder Lefer
bequem fein eigenes Urteil bilden kann. Die Thefe Na-
villes lehnt er mit vollem Rechte ab, weil fie dem klaren
Wortlaut des Textes widerfpricht. Dagegen hält er es mit
Unrecht für möglich, wie fchon Naville behauptet hatte,
daß man in Jerufalem zwar in phönikifcher Schrift, aber
in babylonifcher Sprache gefchrieben habe. Landers-
dorfer verficht aufs neue die bekannte Thefe, daß die
weftfemitifchen Eigennamen in altbabylonifchen Urkunden
(wie ja-wi-ilu) den Gottesnamen Jahve enthalten. Diele
Auffaffung wird aber in einem fpäteren Auffatz vonBreit-
fchaft zurückgewiefen, der das Element ja-wi mit treffenden
Gründen für ein Verbum erklärt. Beide find einig
darin, daß ja-ü Gottesname fei, überfehen aber, daß diefer
Gottesname, wenn es wirklich ein folcher ift, nur auf
kaffitifchen Tontafeln bezeugt ift und daher keine Gültigkeit
für die Weftfemiten hat. Hehn bildet ab, überfetzt
und erklärt die neugefundene Infchrift des Königs Kalumu;
einzelne Deutungen find neu und vertiefen das Verftänd-
nis. Steinmetzer zieht lehrreiche babylonifche Parallelen
zu ' den Fluchpfalmen heran, ein guter Anfang zu einer
ftilgefchichtlichen Betrachtung, wenn auch die Methode
noch nicht ficher o-ehandhabt wird. Wilbrand behandelt
die Deutungen der biblifchen Eigennamen bei Ambrofius,
und AloisMufil gibt ergänzende Bemerkungen zu Guthes
Bibelatlas aus feinen eigenen Forfchungen.

Auf neuteftamentlichem Gebiet bewegen fich die Auf-
fätze von Jeannotte über ,die capitula des Commentarius
in Matthaeum des Hilarius von Poitiers' (franzöfifch), von
Kohlhofer über ,die eschatologilche Inhaltseinheit der
Apokalypfe', von Dubowy über .Paulus und Gallio', von
Weber über ,die Frage der Identität von Gab 2,1—10
und Apg. 15', von Steinmetzer über ,das Frofchfymbol
in Off. 16', von Cladder .Textkritifches zu Mk. 3,7f.', von
Schade über .Markusevangelium und Aftralmythus' und
von Vogels über den .Lanzenftich vor dem Tode Jefu'.

Was die altteftamentlichen Artikel anbetrifft, über die

mir allein ein Urteil zufteht, fo kann ich die Zeitfchrift
nur aufs wärmfte der Beachtung der Fachgenoffen empfehlen
, da fie Anregung und Belehrung daraus fchöpfen
werden.

Berlin-Wertend. Hugo Greßmann.

Wallis, Louis: Sociological Study of the Bible. (XXXV,
308 S.). gr. 8". Chicago (1912). (Leipzig, Th. Stauffer).

S 1.50

Der Verfaffer, ehemals Lehrer der Nationalökonomie
und Soziologie an der Ohio State University, zugleich
theologifch fehr gut gebildet, geht von der Grundan-
fchauung aus, daß auch die gewaltigften geiftig-ethifchen
Mächte durch den Zufammenhang mit den foziologifchen
Lebens- und Kulturformen mitbeftimmt find und daß
das Licht, welches von da aus auf Entftehung und Inhalt
der biblifchen ethifchen Erlöfungsreligion fällt, nicht
entfernt genügend gewürdigt wird. Sehr befonnene und
nüchterne Darlegungen über das Wefen der Soziologie
und die Charakterifierung der biblifchen Erlöfungsrelimon
als der gegen die Kulturwelt indifferenten und über fie
fich erhebenden Erlöfungsreligion bilden den Ausgangspunkt
.

Die eigentliche Darfteilung fetzt ein mit der Erklärung
des Bundescharakters der Jahwe-Religion. Das
kann, wie das übrigens heute m. W. anerkannt ift, nur
die Übernahme des Gottes eines fremden Clans durch
hebräifche Clans in der Wüfte bedeuten, was mit der
Verfchmelzung mit jenem Clan felber identifch ift. Daß
dann aus diefem Bundescharakter allerhand fpirituali-
fierende ethifche und religiöfe Folgerungen gezogen
worden find und hierin die Idee der Gnade wie der
ftrengen Bundestreue in heiligem Gehorfam entwickelt
werden konnte, ift durch diefen Urfprung natürlich nicht
ausgefchloffen. Die Metamorphofe der Zwecke ift hier
wie überall tätig. Zunächft aber ift entfcheidend, daß diefe
Wüftenftämme das Ethos des Clans mit feiner Freiheit
und gegenfeitigen Unterftützungswilligkeit der Familienhäupter
, der Entfcheidung aller Streitfälle durch perfön-
lich-patriarchalifchen Richterfpruch des gewählten Richters
und der Alterten, der Abfchließung gegen Stammesfremde
und des Bruderfchaftsgeiftes im engeren Kreife, vor
allem mit der Einfachheit und Naturbezogenheit des
Viehzüchters befitzen. Bei der Einwanderung verwandeln
fie fich in freie Bauernclans mit feftem Land-
befitz als der Grundlage aller Freiheit und Ehre, fefter
Erb- und Familientradition, feftem Ehe- und Sklavenrecht
und Ausfchaltung all diefer Moral gegen Stammesfremde
. Die Befiedelung gelingt nur in den Hochländern
, während in den Ebenen die kananäifchen Städte
mit Feftungen, Handel, Zinsrecht, Befitzwechfel und Beweglichkeit
der fozialen Schichtung, auch mit ftädtifchem
Luxus beharren. Der Kampf beider füllt die ältefte Zeit,
und das Bauernkönigtum Sauls zeigt fich den Städten nicht
gewachfen. Da gelingt David und den Davididen mit
Hilfe einer flehenden Leibgarde die Begründung eines
ftädtifch und militärifch genützten Einheitftaates, in dem
Kananäer und Ifraeliten verfchmolzen werden und Jahwe
zum höchften Gott aller Götter emporfteigt. Aber unter
der Hülle diefer einigenden Religionsgemeinfchaft blieben
die alten ethifchen Gegenfätze der ftädtifchen und der
bäuerlich-nomadifchen Kultur. Die letztere weiß fich als
die ältere Jahwe-Satzung, und fo beginnt der Kampf der
Propheten für das alte Mifchpat Jahwe, der Kampf für
das Ethos des freien, familienhaften, einfachen Bauerntums
mit feiner Durchfichtigkeit und Stabilität der per-
fönlichen Beziehungen, der Unveräußerlichkeit von Familienehre
, Erbrecht und Landlos gegen die Hineinziehung
der Jahwereligion in die bewegliche, genußfüchtige, rechtsbeugende
und das Landeigentum verfchuldende und pfändende
ftädtifche Kultur, auch gegen das Königtum mit feinen
militärifchen Notwendigkeiten und feiner Schaffung einer

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