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Ausgabe:

1913 Nr. 13

Spalte:

409-410

Autor/Hrsg.:

Wendt, Günther

Titel/Untertitel:

Ich glaube. Predigten über das apostolische Glaubensbekenntnis 1913

Rezensent:

Schian, Martin

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Seite 1

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409

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 13.

410

liehe Mahnung ausklingt. Die meiften Predigten laffen
fich fo entweder auf einen Schluß oder auf eine dialek-
tifche Grundgeftalt zurückführen. Aber nie läßt die warme
edle Darftellung etwas von diefem Gerippe fehen, wenn
auch die Sprache mit feltenen Ausnahmen die konkrete
und poetifche Weife meidet und im gedankenmäßigen
Stile bleibt.

Wie ganz anders Pank! Hier fpricht ganz der ftäd-
tifche Gemeindefeelforger. Er weiß, was unfer geiftiger
Mittelftand, der unfere Kirche füllt, nötig hat. Stets find
die Propofition, alfo Thema und Teile vorausgefchickt,
oft in prachtvoller emblematifcher Form; die ganze Predigt
ift voll von feelforgerlichen Beziehungen, überall fieht
man den praktifchen Seelforger fein Herz darbringen, den
Finger ftets am Wortlaut des Bibeltextes; alles ift voll von
Bitten, Fragen, Mahnungen, Anwendungen; Anekdoten,
Zitate, kleine Antithefen, Erinnerungen halten die Auf-
merkfamkeit auch kleinerer Geifter wach: Leipzig, Sach-
fen, Berlin, Zeit und Welt geben viel Farbe und Abwechslung
; fo reißt der Faden zwifchen Prediger und
feiner Gemeinde nie ab.

Vielleicht gehört manches von dem bis jetzt Ge-
fagten kaum mehr in den Typ, fondern zur einzelnen
Perfönlichkeit. Sicher gehört dazu Baffermanns vornehme
Zurückhaltung mit feinem perfönlichen Ich, fo-
wie Panks Seelforgerweife, neben das ,Du' freigebig fein
,Ich' mit Eindrücken, Bitten und Erinnerungen an den
alten Kaifer und feinen Kanzler zu ftellen. Dazu gehört
bei B. der feine künftlerifche Hauch, der ftill und kaum
merkbar über dem Ganzen liegt, bei P. eine fchlichte
Predigtfprache, die fich bisweilen zu warmem Schlußgebet
oder zu feinen Antithefen erhebt. Beide haben ftets den
Text unter den Füßen, B. mehr als Ganzes, P. mehr als
Gottes Wort auch im einzelnen, beide haben ohne
Zweifel ganz gründlich an ihren Predigten gearbeitet mit
Seele und Geift. — Wer der beffere Prediger fei? Jeder
hat feiner Aufgabe an feinem Ort genug getan; das ift
das Höchfte, was man von einem Prediger fagen kann.

Heidelberg. F. Niebergall.

Wen dt, Paft. prim. Günther: Ich glaube. Predigten über
das apoftol. Glaubensbekenntnis. (Moderne Predigt-
Bibliothek. X. Reihe, 2. Heft). (VI, 121 S.) 8°
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1912. M. 1.35

In einer Gemeinde, in deren Gottesdienft das Apofto-
likum regelmäßig feine Stelle hat, find Predigten über
dies Bekenntnis die gewiefene Form, um zwifchen Prediger
und Hörern eine Verftändigung über den Sinn der
Rezitation herzuftellen. W. fpricht fo offen, wie es ein
den biblifchen Berichten und der Kirchenlehre mit nicht
unbedeutenden kritifchen Bedenken gegenüberftehender
Theologe tun muß, ja vielleicht noch rückhaltlofer, als
gerade in der Predigt nötig wäre. Er kehrt aber auch
die eigene innere Übereinftimmung mit dem Wefentlichen
des Bekenntniffes fo kräftig heraus, daß die Wirkung
unfraglich pofitiv gewefen fein muß. Er vermeidet in
glücklicher Weife die Gefahr des Ubergreifens ins Reich
der Theologie; Religion, Glaube bildet den Inhalt. Nicht
jeder Einzelpunkt ift behandelt; z. B. das ,Geboren von
der Jungfrau Maria' wird nur geftreift; die Wiederkunft
Chrifti ift nicht befprochen; wenn einmal das Apoftolikum
behandelt wird, ift das Recht folcher Ubergehung fehr
fraglich. Je eine Predigt am Anfang und am Schluß gibt
Grundfätzliches über Glauben und Bekennen. Kurze bib-
lifche Texte find zugrunde gelegt; eine Difpofition ift nicht
mitgeteilt; der Gedankengang tritt klar genug heraus. Die
Gedankenbildung, auch wohl die Ausdrücke find felbft für
eine Gemeinde, die fich .meift aus Kreifen von Kaufleuten
und Gewerbetreibenden' zufammenfetzt, reichlich hoch;
Fremdwörter find nicht feiten. Das Ganze ift ein dankenswerter
Verfuch, das alte Bekenntnis der Gemeinde zu
einem evangelifchen Glaubenszeugnis werden zu laffen;

er zeigt zugleich, wie die Predigt die Stellung des Litur-
gen unterbauen und klären kann, um dem Pfarrer über
innere Nöte, der Gemeinde über Befremden und Anftöße
hinwegzuhelfen. Wer fo gepredigt hat, kann mit getroftem
Gewiffen das Apoftolikum fprechen. Und fo predigen kann
man auch in Preußen.

Gießen. M. Schian.

Referate.

Grotefend, Geh. Archivr. Dr. H.: Abriß der Chronologie des deut-
Ichen Mittelalters und der Neuzeit. 2. Aufl. (Grundriß der
Gefchichtswiffenfchaft. Bd. I, Abtig. 3.) (60 S.) Lex. 8". Leipzig
, B. G. Teubner 1912. M. 1.50
Es ift fehr dankenswert, daß diefer Abriß in der 2. Auflage
als gefondertes Heft erfcheint. So viel ich urteilen kann, ift er
eine vortreffliche Einführung in die Wiffenfchaft der Chronologie
des deutfehen Mittelalters und der Neuzeit und bietet das Wichtige
in paffender Form. Die 2. Auflage unterfcheidet fleh von
der erften durch die felbftändige Paginierung, die fortlaufende
Zählung der Anmerkungen, die Beigabe einer Anweifung zum
Gebrauch der Tafeln, eines Verzeichniffes der wichtigften Fefte
und Heiligentage, des Inhalts und der Abkürzungen. Dazu find
einige Druckfehler verbeffert und die feit 1906 erfchienene Literatur
nachgetragen und verwertet. Dem Zwecke des Grundriffes der
Gefchichtswiffenfchaft ift diefer Abriß fehr gut angepaßt.
Kiel. G. Ficker.

Kant's, Immanuel, Werke. In Gemeinfchaft m. Hermann Cohen,
Artur Buchenau, Otto Buek, Albert Görland, B. Kellermann
hrsg. v. Ernft Cafflrer. 2. Bd.: Vorkritifche Schriften. Bd. II.
Hrsg. v. Dr. Artur Buchenau. (495 S. m. 1 Fkfm.) gr. 8°.
Berlin, B. Cafflrer 1912. M. 9-; geb. M. 11.50

In Nr. 25, Sp. 788f. der Theol. Literaturzeitung 1912 habe ich
über den Plan und die äußere Anlage der fchönen Kantausgabe
Caffirers fowie über ihren erften Band berichtet; mit dem vorliegenden
fchließt Buchenau die Reihe der vorkritifchen Schriften
ab. Er umfpannt die Arbeiten der Jahre 1757—1777, reicht alfo
bis dicht an die Kritik der reinen Vernunft heran. Unter den
Schriften ragen die größeren erkennistheoretifchen der sechziger
Jahre hervor, welche recht eigentlich die Werdezeit des Kritizismus
genannt werden müffen, und wo die Maffen in Fluß kamen,
die 1781 ihre freilich nicht endgültige Form in der großen ,Kritik'
fanden. Intereffant ift die Neueinordnung der ,Unterfuchung über
die Deutlichkeit der Grundfätze der natürlichen Theologie und
Moral', welche Buchenau unmittelbar hinter den ,einzig möglichen
Beweisgrund zu einer Demonftration des Daseins Gottes'
(1763) einftellt entgegen der Chronologie der Akademieausgabe,
welche nicht die Entftehungszeit der Schrift (Ende 1762), fondern
das Datum der Drucklegung (1764) maßgebend fein ließ (vgl.
Lesarten S. 475). Der Vorzug der Buchenauschen Folge fpringt
in die Augen.

Dies Jahrzehnt ift ungewöhnlich fruchtbar. Zwei weitere
größere erkenntniskritifche Schriften diefer Zeit, der ,Versuch,
den Begriff der negativen Größen in die Weltweisheit einzuführen'
(1763) und die ,Träume eines Geifterfehers' (1766) zeigen Kant
lebhaft durch die Engländer, zumal Hume, angeregt — fein Wort,
daß diefer ihn damals aus dem ,dogmatischen Schlummer' geweckt
habe, deutet ja darauf hin — allein fchon zeigt der ganze
Zufammenhang feiner Frageftellungen, daß er einerseits im Hillen
zu demfelben kritifchen Standpunkte gelangt war und anderer-
feits bereits Wege zu einer von jeder Skepfls freien Lösung des
Erkenntnisproblemes vor fleh fah. In diefen vorkritifchen Bemühungen
bildet die Differtation von 1770 ,De mundi sensibilis
atque intelligibilis forma et prineipiis' mit der Erkenntnis der Zeit
und des Raumes als apriorifcher Prinzipien äußerlich einen vorläufigen
Abfchluß. Das folgende Jahrzehnt diente der Ausarbeitung
der ,Kritik'. Aus ihm liegen an Veröffentlichungen nur drei
wenig belangreiche kleine Schriften vor, die zur Erkenntniskritik
nicht in Beziehung flehen, fo die beiden kleinen Auffätze über
Bafedows Philantropin, deren Manufkript überdies in einer
trefflichen Nachbildung dem Bande beigegeben ift. Für die Ge-
fchichte der Entwicklung des Kantischen Kritizismus in diefem
,ftillen' Dezennium vor dem Hauptfchlage find wir auf die Hand-
fchriften des Nachlaffes angewiefen, da Kant fich jeder erkenntnis-
theoretifchen Veröffentlichung enthielt und alle Ideen derart zur
,Kritik der reinen Vernunft' reif werden ließ. Wer in dem vorliegenden
Bande die zuerft durch Reickes ,Lose Blätter aus Kants