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Ausgabe:

1913 Nr. 13

Spalte:

401-403

Autor/Hrsg.:

Jülicher, Adolf

Titel/Untertitel:

Die Entmündigung einer preußischen theologischen Fakultät in zeitgeschichtlichem Zusammenhange 1913

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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401 Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 13. 402

wenn eine Gliederung nach obigen Gefichtspunkten gänzlich
durchgeführt worden wäre.

Alfeld bei Hersbruck. Schornbaum.

Jülicher, Prof. Dr.: Die Entmündigung e. preußilchen theo-
logilchen Fakultät in zeitgefchichtlichem Zulammenhange.

(59 S.) 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1913. M. 1 —
Vifcher, Prof. D. Eberhard: Die Zukunft der evangelifch-
theologifchen Fakultäten. (Sammlung gemeinverftänd-
licher Vorträge u. Schriften aus dem Gebiet der Theologie
u. Religionsgefchichte 71.) (III, 36 S.) gr. 8°.
Tübingen, J. C. B. Mohr 1913. M. 1—

Eine Schrift mit diefem Titel, von einem Manne wie
Jülicher gezeichnet, läßt eine ernfte und wichtige Sache
erwarten. Wenn ein derartiger Ariftokrat der reinen
Wiffenfchaft und ein fo altpreußifch empfindender Mann die
Flucht in die Öffentlichkeit ergreift, dann weiß jeder, daß
er nur einer Gewiffenspflicht entgegen der eigenen Neigung
gehorcht. Wenn es zugleich ein fo hervorragender Gelehrter
wie diefer philologifche Bibelforfcher und Kirchen-
hiftoriker ift, fo hat zugleich fein Wort ein ungewöhnliches
Gewicht. Seine Unabhängigkeit gegenüber allen Kon-
feffionen, Gruppen und Richtungen ift bekannt, und auch
in diefer Schrift hat er feine bekannten kleinen Bosheiten
über Freund und Feind mit vollendeter Unparteilichkeit
ausgeftreut. Es müffen fchmerzliche und für die Gefamt-
lage fymptomatifche Dinge fein, die den allem Senfatio-
nellen abgeneigten Gelehrten zu einer fo überrafchenden
Kundgebung veranlaßt haben. Auch die Natur diefer
Dinge läßt fich aus dem Titel erraten. Längft konnte
man bemerken, daß in der bisher relativ fo einheitlichen
und dadurch zu glänzendfter Wirkung befähigten Marburger
Fakultät Änderungen getroffen und an Stelle einer
friedlichen Vereinigung verfchieden gerichteter Gelehrter
ein theologifcher Kampfplatz gefchaffen werden follte,
auf dem die friedlichen .Pofitiven' durch eine fchärfere
und rückfichtslofere Tonart erfetzt werden füllten. Das ift
durch zwei unter eigentümlichen Umftänden gefchehene
Berufungen vollzogen worden, von denen übrigens die
letzte einem wiffenfchaftlich durchaus tüchtigen Manne
galt, während mit der erften wohl überhaupt niemand
wiffenfchaftliche Zwecke verbunden hat. Es ift die alte
Gefchichte. Die kleinen Fakultäten können im Unterfchiede
von den eine reiche Ausgeftaltung vorlangenden groß-
ftädtifchen nur durch eine gewiffe Gefchloffenheit und
Einigkeit wirken, und der Marburger Fakultät ift das in
allbekannter hervorragender Weife gelungen. Nun wird
die Einigkeit durch Einftellung eines Kämpfers gebrochen.
Es gibt Separatvoten. N eue Befetzungen fallen im Sinne
des*Separatvotums aus. Bald entfteht eine Minorität, und
diefe Minorität krempelt die Fakultät um, während die
bisherigen Lehrer in Verdruß, Nervofität und Zurück-
fetzung Luft und Mut verlieren. Es hat nicht viel zu
fagen, wenn auch einmal um der .Parität' willen auch eine
pofitive Fakultät einen, Liberalen' bekommt. Separatvoten
von Liberalen wiegen nicht, und aus ihnen entfteht keine
Minorität und keine Umwälzung. Sie dienen lediglich
dazu, daß man fich eventuell auf ihre Exiftenz als ein
Zeichen gerechter Befetzung berufen kann; auch gibt es
genug Dinge, die ihren Einfluß paralyfieren. Diefen Vorgang
hat Jülicher in feiner Brofchüre eingehend gefchildert.
Dazu kommen dann freilich noch weitere Klagen, die fich
überhaupt auf die Ignorierung der Fakultätsvorfchläge, auf
die Verbeamtung des Gelehrtenwefens und auf die unkontrollierbaren
Einflüffe von Berliner.Größen' beziehen, denen
die Nähe des Minifterums die Gelegenheit zu mannigfachen
, in der Provinz nur aus den Folgen zu erratenden
Einwirkungen gibt.

Die Einzelheiten können hier nicht wiedergegeben
werden, auch ziemt dem Nicht-Preußen und der Verhält -
niffe im einzelnen nicht Kundigen hier Zurückhaltung.

Daß die Dinge fo liegen und daß die freie wiffenfchaftliche
Theologie feit Jahren einen immer fchwierigeren
Dafeinskampf führt und namentlich des Nachwuchfes fich
beraubt fieht, das ift ja bekannt. Man kann heute niemand
zur Habilitation raten, während der pofitive Nachwuchs
mit allen Mitteln gezüchtet und nötigenfalls aus dem
Pfarrftande ergänzt wird. Wie weit dabei die befonderen
Vorwürfe Jülichers gegen die Unterrichtsverwaltung berechtigt
find, das ift aus der Ferne nicht zu prüfen. Die
Verbeamtung derUniverfitäten ift gewiß eine oft behauptete
Eigentümlichkeit unferer und vor allem der preußischen
Entwickelung. Es liegt das im Zuge der Bureaukratifierung
des modernen Staates mit feinem egalifierenden Großbetrieb
. Auch find die Gelehrten felbft hier nicht ohne
große Schuld; fie machen jeder Regierung das Divide et
impera außerordentlich leicht und haben auch ihrerfeits
an Charaktergröße und Würde feit der Zeit Wilhelm v.
Humboldts nicht zugenommen. Was die befondere
Behandlung der theologifchen Fakultäten anbelangt, fo
liegt die Urfache vermutlich weniger in der Regierung
als in der allgemeinen politifchen und parlamentarifchen
Lage. Die Konfervativen halten teils aus politifchen
Gründen teils aus eigener Überzeugung eine pofitive,
d. h. modern rechtgläubige Theologie für eine Stütze der
Autorität und der Staats- und Klaffenordnung. Das gibt
den pofitiven Univerfitätsftrategen und den Glaubenseiferern
einen offiziellen und inoffiziellen Einfluß, dem fich
wohl kein Minifterium entziehen könnte. Der Einfluß er-
ftreckt fich ja gar nicht bloß auf die theologifchen Fakultäten
. Nur die Naturwiffenfchaften find durch die
Bedürfniffe der Großinduftrie vor allen folchen Einflüffen
gefchützt.

Das weiß auch Jülicher. Darum hat er feine Dar-
ftellung des Marburger Falles durch eine Darftellung des
zeitgefchichtlichen Zufammenhanges ergänzt. Hier liegt
das eigentliche Schwergewicht und das allgemeine Intereffe
der Schrift. Hier fchildert er die konfervative Partei, deren
politifchen Grundfätzen er felbft in der Hauptfache recht
nahe fleht, in ihrem Verhalten gegenüber kirchlichen und
religiöfen Dingen und hält ihnen mit Recht die fo ganz
andersartige Religions- und Kulturpolitik der englifchen
Tories entgegen. Ebenfo fchildert er das preußifche
Kirchenregiment ,in feiner doppelten Abhängigkeit von
dem pofitiven Klüngel und der konfervativen Partei'. Überall
fpricht hier der Grimm des um die Zukunft beforgten
echten Preußen, der einer unabhängigen, gerechten und
weitfichtigen Regierung alles zutraut und fie um des
Heiles der Zukunft willen von dem heißen Partei- und
Intereffenkampf unabhängig wiffen möchte. Er erwartet
insbefondere von der Gewiffenhaftigkeit der Fakultäten
und der fachlichen Gerechtigkeit der Regierung eine
gefunde, die Gegenfätze ausgleichende Entwickelung der
Theologie, die allein dem ungeheuren Abfall von der Kirche
das Gegengewicht halten und nur unter diefer Bedingung
innerhalb der gegen die Theologen bekanntlich fehr
fkeptifchen Univerfitäten eine erträgliche Stellung behaupten
könne. Ich bezweifle nun freilich, ob diefes J. vor-
fchwebende Ideal einer Regierung im heutigen Staate
noch möglich ift und ob es richtig ift, fo große Hoffnungen
auf eine Regierung überhaupt zu fetzen. Auch einen
anderen Zug vermiffe ich in dem zeitgefchichtlichen Bilde,
den Einfluß der politifchen Linken auf unfere Frage, der
einer wiffenfchaftlichen Theologie ebenfo ungünftig ift
wie der der Konfervativen. Hier begnügt man fich längft
nicht mehr mit der bloßen Indifferenz, die diefe Dinge
den Konfervativen überläßt, fondern hat man angefichts
des ewigen Streites um diefe Fakultäten ihre Befeitigung
überhaupt zum offiziellen oder ftillfchweigenden Programm
gemacht. Daß auch noch andere Leute fo denken, zeigen
die Univerfitätspläne von Frankfurt und Hamburg. So
wird die Rechte, folange fie die politifche Macht hat,
die freie Theologie vernichten, aber ein politifcher Um-
fchwung wird dann einmal die klerikalifierten Fakultäten