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Ausgabe:

1913 Nr. 13

Spalte:

398-399

Autor/Hrsg.:

Grupp, Georg

Titel/Untertitel:

Kulturgeschichte des Mittelalters. II. u. III. Bd. 2., vollst. neu bearb. Aufl 1913

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 13.

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Lücke auszufüllen verfucht. Er handelt zunächft von den
Quellen, die wir für die Gefchichte der weftgotifchen
Kirche vom Jahre 586, dem Übertritt Reccareds zum
Katholizismus, bis zum Jahre 712, dem Untergang des
weftgotifchen Reichs, befitzen. Als wertvollfte Quellen
kommen hier die Akten der fpanifchen Synoden, in
zweiter Linie die weftgotifchen Gefetze in Betracht.
Magnin gibt dann einen kurzen Abriß der Gefchichte
des Weftgotenreiches in dem genannten Zeitraum, indem
er vor allem in dem Wahlkönigtum, das den Anlaß zu
fteten Verfchwörungen bot, den Grund der Schwäche
und fchließlich des Niederganges des Reiches fieht.
Darauf wendet er fich der Gefchichte der weftgotifchen
Kirche zu und zwar zunächft ihrem Verhältnis zum Papft-
tum. Die Beziehungen zu Rom find, worauf er mit Recht
verweift, außerordentlich fpärliche. Nur unter Gregor
dem Großen 590—604, der Reccared zu feinem Ubertritt
zum Katholizismus beglückwünfchte, und der mit Leander
von Toledo befreundet war, waren fie etwas lebhafter.
Erft anläßlich des 6. ökumenifchen Konzils vom Jahre
680 nehmen die Päpfte Leo II. 682—683 und Benedict II.
684—685 die Korrefpondenz mit den fpanifchen Bifchöfen
wieder auf, um diefe zum Beitritt zu den Befchlüffen über
den Dyotheletismus zu veranlaffen. Der Grund für das
kühle Verhältnis der fpanifchen Kirche zu Rom ift darin
zu fuchen, daß die weftgotifche Kirche eine vom König
völlig beherrfchte Nationalkirche war, in der man dem
Bifchof von Rom nur eine Ehrenprärogative zuerkannte.
Nachdem Magnin dann die Befchlüffe der ökumenifchen
und nicht fpanifchen Synoden zufammengeftellt hat, die
in der fpanifchen Kirche Anerkennung gefunden haben,
befpricht er die wichtigfte Inftitution der weftgotifchen
Kirche: die Nationalkonzilien, die in Toledo gehalten
und vom König berufen wurden. Sie ftellen die engfte
Verbindung der politifchen und religiöfen Gewalt dar, und
ihre canones behandeln in bunter Mifchung bürgerliche und
kirchliche Angelegenheiten. Durch die Kirche wurde fo die
Verfchmelzung der römifchen und weftgotifchen Bevölkerung
befördert, aber auch bei dem Zufammenbruch
des Staates die Kirche mit in ihn hineingezogen. Nach
dem König und dem Nationalkonzil hatte in der weftgotifchen
Kirche die höchfte Autorität der Erzbifchof
von Toledo. Daß er fogar die Bifchöfe ernannt haben
foll, ift unrichtig, ihm ftand aber die Weihe fämtlicher
vom König erwählter Bifchöfe zu. Neben den National-
fynoden wurden auch Provinzialfynoden unter dem Vorfitz
des Metropoliten gehalten, die fich aber nicht mit
Lehrfragen, fondern mit der kirchlichen Disziplin befaßten.
Die Bifchöfe wurden nicht vom Volk und Klerus gewählt
, fondern vom König ernannt. Die Verbuche der
Bifchöfe, ihre Nachfolger felbft zu bezeichnen, wurden des
öfteren von den Konzilien verboten. Mönche konnten
Bifchöfe werden, doch kam dies verhältnismäßig feiten
vor. Die Translation der Bifchöfe auf einen anderen
Stuhl wurde nur ausnahmsweife geftattet. Die Kleriker
wurden vom Bifchof für eine beftimmte Stelle ordiniert,
die Patrone, die Kirchen gegründet hatten, hatten nur
das Recht der Präfentation ihrer Kandidaten beim Bifchof.

im Weftgotenreich fehr reich waren, befaßen fie eine
einflußreiche Stellung im Staate. Die Kirchen befaßen
zahlreiche Leibeigene, und auch die Freigelaffenen blieben
unter dem patrocinium der Kirche. In die Rechtspflege
griffen die Bifchöfe bei Idolatrie, Kindesmord und Hochverrat
ein. Nur durch die Konzilien war die Gewalt des
Bifchofs, der unbefchränkt in feiner Diözefe fchaltete,
befchränkt. Durch den Reichtum und die Macht, die die
Bifchöfe befaßen, war aber die weftgotifche Nationalkirche
ftark verweltlicht, als die Kataftrophe über Staat
und Kirche im Jahre 711 hereinbrach. Es hätte fich
vielleicht auf Grund der von Magnin gründlich durchgearbeiteten
Quellen ein lebendigeres Bild der weftgotifchen
Kirche in der Periode, die er behandelt hat, zeichnen
laffen, aber wir find ihm für feine fleißige Arbeit zu Dank
verpflichtet.

Heidelberg. G. Grützmacher.

Grupp, Georg: Kulturgefchichte des Mittelalters. II. u.III.Bd.
2., vollftändig neue Bearbeitg. gr. 8°. Paderborn,
F. Schöningh. EL (VII, 549 S. m. 48 Abbildgn.) 1908.
M. 10—. — HL (IX, 503 S. m. 21 Abb.) 1912. M. 9.50

Die zweite Auflage von Grupps Kulturgefchichte ift
eine ganz neue Arbeit. Der Umfang ift bedeutend gewachsen
; die bis jetzt vorliegenden 3 Bände umfaffen nur
den erften und einen kleinen Teil des zweiten Bandes
der erften Bearbeitung. Wenn ich recht gefehen habe,
fo läßt fich diefe große Vermehrung zum Teil auf die
Anregungen zurückführen, die von Haucks Kirchenge-
fchichte Deutfchlands ausgegangen find. Im 2. Band wurde
noch angekündigt, daß das Werk mit 3 Bänden abge-
fchloffen fein follte; die vorliegenden beiden Bände beginnen
mit der karolingifchen Zeit und gehen nicht
über das 12. Jahrhundert hinaus, fo viele für die fpäteren
Jahrhunderte geltende Notizen aufgenommen worden find.
Die Anlage ift im wefentlichen die gleiche geblieben; es
wird verfucht, die chronologifche Anordnung mit der fyfte-
matifchen zu verbinden. Daher kommt es, daß z. B., wo
es fich um die Schilderung von Zuftänden des 12. Jahrhunderts
handelt, Notizen aus früheren oder auch fpäteren
Jahrhunderten beigebracht werden. Ein folches Verfahren
ift natürlich nicht von vornherein zu verurteilen. Bedenklicher
fchon ift, daß es fchwer fällt, fich von den
Urfachen der Anordnung ein klares Bild zu machen. Man
fehe fich die Überfchriften der 21 Abfchnitte des 3. Bandes
an: Naturkultus; Heidentum, Aberglaube und Irrglaube;
antike Vorftellungen und keltifche Mythen; die Normannen,
ihre Meerfahrten und Eroberungen; die Ritter und der
Landfrieden; die Cluniacenfer; die große Kirchenreform;
der theologifche Realismus; soziale Fragen der Kirchenreform
; das byzantinifche Reich; die Kultur der Araber;
die Kreuzzüge und das Rittertum; Wirtfchaftsverhältniffe
der Kreuzfahrerftaaten; Helden- und Liebesdichtung; Verfall
und Erneuerung des Mönchtums; der hl. Bernhard,
der hl. Norbert und ihre Orden; Tagesordnung und Arbeit
der Mönche; das Klofterfpital und die Hofpitalorden;
das romanifche Gotteshaus und die fymbolifche Kunft
Die Abhängigkeit der Kloftergeiftlichkeit vom Bifchof des Mittelalters; das Ritterleben; Spiele und Spielleute,
war noch enger als die des Weltklerus. Die Abfetzung j Es ift erfichtlich, daß der Herr Verf. das Wort Kultur-

der Priefter und Diakone ftand aber dem Provinzialkonzil
zu. Dem Bifchof war das wichtige Auffichtsrecht über
die zahlreichen übergetretenen Juden gegeben, die fehr
ftreng überwacht und denen z. B. ihre Kinder, wenn fie
fie befchneiden ließen, genommen wurden. Dadurch

gefchichte in fehr weitem Sinne faßt: nicht bloß der Stoff,
den wir in Kirchengefchichten und Dogmengefchichten zu
behandeln pflegen, wird zum großen Teil verwertet, fondern
auch was fich auf Wirtfchaft, Recht, Kunft, die Dinge
des täglichen Lebens, Kleidung, Sitte, Nahrung ufw. bewurden
die Juden zu heimlichen Verbündeten der Mufel- ; zieht, und es ift gar keine Frage, daß viel Interefiantes
männer. Den Bifchöfen ftand ferner die Verwaltung des aus reicher Quellen- und Literaturkunde geboten wird.
Kirchengutes zu, ihre Haupteinnahme bildete die foge- Aber beim beften Willen kann ich in den Bänden nicht

nannte tertia d. h. der dritte Teil des von den Gläubigen
Geopferten. Beim Tode des Bifchofs wurde fein gefamter
Befitz inventarifiert, die Erben durften nichts ohne Erlaubnis
des Metropoliten nehmen, ebenfo kontrollierten
die Bifchöfe das Erbe ihrer Kleriker. Da die Bifchöfe

das finden, was wir unter Gefchichte verliehen; gerade
weil die chronologifche Anordnung mit beftimmend war,
fo mußte fich doch ein deutliches Bild von dem Werden
und Wachfen, von den einzelnen fich ablöfenden Stufen
der Kultur ergeben; wie gut läßt fich z. B. das Wiederauf-