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Ausgabe:

1913

Spalte:

18-20

Autor/Hrsg.:

Schian, Martin

Titel/Untertitel:

Orthodoxie u. Pietismus im Kampf um die Predigt 1913

Rezensent:

Kleinert, Hugo Wilhelm Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 1.

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des Königtums zur Kirche wie auf dem Boden des Privat- I
oder Eigenkirchenwefens tritt dies zutage.

Der Zuftimmung zu diefen Ausführungen, die er im
Rahmen eines Vortrages nur ganz kurz geben konnte,
glaubte v. Schubert um fo ficherer fein zu dürfen, als er j
überzeugt war, in betreff des Eigenkirchenwefens Ulrich
Stutz, den beften Kenner diefes Gebietes, auf feiner Seite
zu haben; deffen Forfchungen ftrebte v. Sch. nur nach
der öffentlich-rechtlichen Seite zu ergänzen. Jedoch Hellte
fich bald heraus, daß er fich in diefer Meinung getäufcht
hatte. Stutz ergriff die Gelegenheit, feinen Gegenfatz
gegen v. Schuberts Darlegungen in mehreren Auflätzen
der Internationalen Wochenfchrift Dezember 1909 zurAus-
fprache zu bringen; dabei wandte er, entfprechend feinem
befonderen Forlchungsgebiet, feine Aufmerkfamkeit faft !
ausfchließlich dem Problem des Eigenkirchenwefens zu. j
Nachdem v. Schubert noch einen einzelnen Punkt, |
die Anfänge des Chriftentums bei den Burgundern (cf.
Theol. Lit.-Ztg. 1912 Nr. 9) wiederum befonders erörtert
hatte, hat er fich nunmehr in dem zu zweit genannten
ausführlichen Werke in vornehmer Abwehr gegen die Ausführungen
Stutz' gerichtet; dabei betrachtet er allerdings
das kirchenverfaffungsrechtliche Problem in größerer
Breite, verhandelt aber auch das Problem des Eigenkirchenwefens
zur Genüge, in der Einleitung S. 1—37 und
in einem Exkurs S. 124—132. Der Standpunkt, den
v. Schubert einnimmt, ift diefer: Läßt fich von beiden
Entwicklungen getrennt nachweifen, daß germanifche
Rechtsanfchauungen nicht ohne Zutun des Arianismus
in den neuen germanifchen Katholizismus, vornehmlich in
das für die ganze fpätere Entwicklung, die chronifche
Germanifierung, entfcheidende Frankenreich einftrömen,
fo ftützt der eine Nachweis den andern. Dabei foll die
Frage, wieviel der .Arianismus', der als die ,akute Germanifierung
' zu betrachten wäre, hinzugetan hat, nicht allzufehr
in den Vordergrund gerückt werden; es muß leider
unentfchieden bleiben, welcher Art, welchen Grades diefe
Einwirkung war, ob .Hebel der Entwicklung' oder tat-
fächliche, ltärkere Beeinfluffung. Diefes gegenfeitige Sich-
ftützen ift aber gerade bei der Behandlung diefer Fragen
äußerft wertvoll. Es läßt fich ja hier bei dem vielfach
Hypothetifchen, das in der Dürftigkeit des Quellenmaterials
— wie vieles hat fpätere klerikale Anfchauung zum minderten
verkommen laffen, wenn nicht gar abfichtlich ausgemerzt
! —, letztlich in der Natur der Sache felbft liegt,
überhaupt keine Sicherheit, fondern nur ein hoher Grad
von Wahrfcheinlichkeit für den Nachweis erbringen. Das
aber ift von Schubert, foviel ich fehe, vollauf gelungen.

Mit aller Vorficht hat er den fpärlichen Quellen, deren
keine uns Selbftändigkeitsregungen oder ein Selbftändig-
keitsgefühl des arianifchen Klerus gegenüber feinen aria-
nifchen Herrfchern erkennen läßt, verfchiedene Zeugniffe
für feine Gegenthefe entnommen: in den gefertigten, felb-
ftändigen .arianifchen' Reichen, befonders der Weftgoten und
Burgunder — und nur diefe Periode desfünftenjahrhunderts,
nicht die vorhergehende mit ihren noch nicht ausgebildeten
Formen kommt in Betracht —, war das eigenartige ftaats-
kirchliche Verhältnis der Abhängigkeit des Klerus vom
König vorhanden, ein Verhältnis, das fich alfo Chlodwig
zur Übernahme darbot. Wenn fich nun im Reiche
Chlodwigs tatfächlich ein Verhältnis von Staat und Kirche
darftellt, das ebenfalls Abhängigkeit der Kirche vom
Königtum — dies ift ja der Staat — ift, f0 erklärt fich
das ohne Zweifel am einfachften aus der Herübernahme
diefes Verhältniffes, wie es in den benachbarten und zum
Teil aufgefogenen arianifchen Reichen exiftierte. Meint nun
Stutz, diefer Grad von Wahrfcheinlichkeit, der v. Schuberts
Nachweis zur Seite fteht, genüge nicht, um darauf diefe
Entwicklung aufzubauen, und will er deshalb diefes
Zwifchenglied der Entwicklung, das Einwirken des Arianismus
, nicht zugeben, fo kann ich zum Schluß nur fagen,
daß die Stützen, die v. Schubert beibringt, mehr Vertrauen
zur Richtigkeit feiner Thefe erwecken als die Behauptungen
, mit denen Stutz feine Anficht vertritt, auch wenn
er lie durch .offenbar' zu ftützen unternimmt.

Diefen forgfältigen und anregenden Unterfuchungen
v. Schuberts müffen alle, die fich für das Werden der
kirchlichen Verhältniffe in den germanifchen Ländern
intereffieren, ihre Aufmerkfamkeit zuwenden. Hoffentlich
erfreut uns der Verfaffer bald mit weiteren Auffchlüffen
auf diefem Gebiete; fie find überaus dankenswert.

Jena. Glaue.

Scheel, Prof. Dr. Otto: Dokumente zu Luthers Entwicklung

(bis 1519). (Sammlung ausgew. kirchen- u. dogmen-
gefchichtl.Quellenfchriften. 2.Reihe,9.Heft.) XI, 146S.)
8°. Tübingen, J. C. B. Mohr 1911. M. 3 —; geb. M. 3.50

Dank der Fickerfchen Herausgabe von Luthers
Römerbriefvorlefung und in Folge der durch Denifle eröffneten
, von Grifar fortgefetzten Verhandlungen über die
Initia Lutheri ift feiner Entwicklung zum Reformator ein
neues lebhaftes Intereffe zugewendet. Da ift es mit Freuden
zu begrüßen, daß Scheel, der felber dies Gebiet mit be-
fonderer Gründlichkeit bearbeitet hat, uns für Seminar-
Übungen eine Sammlung von Stellen aus den Quellen-
fchriften hierfür zufammengeftellt hat. Er beginnt mit
Berichten anderer über Luthers PYühzeit, und zwar rückwärts
fchreitend: G. Mylius 1595, Paul Luther 1582, Mathe-
fius, Oldecop, Amsdorf 1555, Cochläus 1549, Melanch-
thon 1546; hernach bringt er auch noch (in Nr. 44) Jonas'
Bericht über Luthers Eintritt ins Klofter (1538) — alfo
Ausfagen von Freund und Feind. Dann Luthers eigene
fpätere Mitteilungen und Erinnerungen, an Klofterleben,
Studien, innere Entwicklung — auch diefe von den fpäteften
bis zu den früheften hin geordnet. Ein zweiter, längerer
Abfchnitt bringt die .Quellen erfter Ordnung', die gleichzeitigen
Ausfagen in Briefen, Vorlefungen, Randbemerkungen
, Schriften, zunächft (Nr. 105—142) aus den
Jahren bis 1512, dann (Nr. 143—326) aus der Zeit bis 1519,
abfchließend mit einem Wort über die Heilsgewißheit aus
dem Galater-Kommentar — es handelt fich um die Stationen
feiner fortfchreitenden religiöfen Erkenntnis. NichtMaterial
für die äußeren Lebensumftände, auch nicht betreffs feines
Kampfes mit Rom ift hier gefammelt — es ift dies nur
eine Sammlung betreffs feiner inneren Entwicklung. Befonders
dankenswert ift der 1. Teil, denn da handelt es
fich um Zitate aus einer weitfchichtigen Literatur, z. T.
aus recht feltenen Schriften, ift doch z. B. Mylius' Kommentar
felbft auf der Berliner Kgl. Bibliothek nicht zu
finden, und wie wenigen wird die Sylvula Sententiarum
des Ericeus zur Hand fein? Ob der 2. Teil in gleicher
Weife ein Bedürfnis war, ift eine andere Frage; hier werden
Seminarübungen doch an die erften Bände der Weim. Ausgabe
und an Fickers Ausgabe felbft heranführen müffen.
Aber die Sammlung macht auf Bedeutfames aufmerkfam.
Die chronologifch rückwärts fchreitende Anlage des I.Teils
empfiehlt fich ja aus methodifchen Gründen. Aber ließ
fich nicht doch eine gewiffe Sachordnung damit verbinden?
Jetzt muß man die Ausfagen Luthers über Justitia Dei
und fein Erlebnis an diefem Begriff aus Nr. II. 15. 16. 20.
2I-33-35-39-48. 56. 62. 69. 91 fich zufammenfuchen; das
ift nicht bequem. Auf S. 41 Z. 14 v. u. lies afferretur,
auf S. 45 Z. 13 v. u. Rationis Latomianae.

Berlin. G. Kawerau.

Schian, Prof. D. Dr. Martin: Orthodoxie u. Pietismus im
Kampf um die Predigt. Ein Beitrag zur Gefchichte des
endenden 17. u. des beginnenden 18. Jahrh. (Studien
zur Gefchichte des neueren Proteftantismus 7.) (VII.
180 S.) gr. 8°. Gießen, A. Töpelmann 1912. M. 4.80
Die Abficht, eine Gefchichte der rationaliftifchen
Predigt zu fchreiben, hat Schian den Anlaß gegeben,
feine Forfchungen über die Homiletik der voraufgegangenen
Periode, von denen er bereits in feinen Ver-