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Ausgabe:

1913 Nr. 12

Spalte:

371-372

Autor/Hrsg.:

Eder, Gottfried

Titel/Untertitel:

Die Reformvorschläge Kaiser Ferdinands I. auf dem Konzil von Trient. 1. Teil 1913

Rezensent:

Holtzmann, Robert

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37i

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 12.

372

bei ihm der Unterfchied zwifchen dem Ideal des Natur- |
gefetzes und der wirklichen bürgerlich-fozialen Leiftung
keineswegs fo groß erfcheint. Er vertritt ein möglichft
das chriftliche Naturrecht in die wirklichen Verhältniffe
einführendes Kompromis vom abfoluten und relativen
Naturrecht: /Modus a magistrate constitutus (modo cum
lege dei et caritatis non pugnet) ob omnibus servandus
est, in omnibus contractibus humanis, ut neque divites ple-
bem exhauriant atque expilent, neque coloni et pauperes
heros suos reditibus et vectigalibus fraudent. Hoc officium
boni magistratus est, ut caveat utrinque, ne dolus
malus interveniat aut ulla fraus, nisi tumultum in se
concitari velit'. Wie refigniert aber doch diefer chriftliche
Sozialismus ift, zeigt dann das Wort: ,alfo werdt
die Obrigkeit an der ftat gottes, daß unfer Leben nit
eine gar viehifche Unvernunft werde' S. 44. Das ftimmt
ganz mit Lehre und Praxis Calvins überein. Eigentümlicher
noch find feine Ideen über das Widerftandsrecht,
die eine Mifchung von Revolutionsrecht und bindendem
Gehorfam find und in der Erbmonarchie das eigentliche
Übel fehen, da eine folche fchwer auf Grund des Wahlpaktes
in Grenzen zu halten ift und die Konftruktion einer
ftillfchweigenden Zuftimmung der Untertanen praktifch
wenig Wert hat gegen den /Tyrannen'; alles in allem:
man kann den Tyrannen gutwillig zum Weichen bringen;
im Falle feines gewaltfamen Widerftandes gibt es nur
Leiden und paffive Weigerung gegen alles in Gottes Wort
nicht Begründete. Die Genfer Theorie der magistrats
inferieurs Icheint hier noch nicht entwickelt zu fein.

Intereffant wäre gewefen, die politifche und foziale
Arbeit des Rates und die Mitwirkung der Geiftlichen im
einzelnen dargeftellt zu fehen. Auch die Frage liegt
nahe, wieweit Zwingli feine Prinzipien an Luther angelehnt
und im Kampf gegen die Täufer etwa in diefer
Richtung weiter entwickelt hat. Aber diefe Dinge
berückfichtigt der Verf. nicht. Er lieht nur die Annäherungen
an das moderne profane Naturrecht, wie
das fchon Kaltenborn in feiner ,Gefchichte des Natur-
und Völkerrechts' feiner Zeit getan hatte. Allein hier
befteht mehr Gegenfatz als Übereinftimmung, und es
ift ganz verkehrt, wie der Verf. will, Hugo Grotius
von Zwingli her verftehen zu wollen; Grotius ift vom
Erafmianismus her zu verftehen. Auch ift die Überführung
des mehr ethifch-theologifchen Sinnes des Naturrechts
in rein juriftifche Formen kein ,Fortfchritt', fondern
ein Umfchwung der das Naturrecht beftimmenden
Weltanfchauung. So ift die Problemftellung der Arbeit
verfehlt. Ihr Wert beruht auf der ausgiebigen und um-
fichtigen Sammlung der Stellen und der treffenden Wiedergabe
ihres Sinnes. Man fieht hier wieder, welche zentrale
Bedeutung für die Reformatoren das chriftliche Naturrecht
hatte, das die heutigen proteftantifchen Theologen
kaum mehr kennen und verftehen.

Heidelberg. Troeltfch.

Eder, Dr. Gottfr.: Die Reformvorfchläge Kaifer Ferdinands I.

auf dem Konzil V. Trient. 1. Tl. (Reformationsgefchichtl.

Studien u. Texte. 18. u. 19. Heft.) (XII, 260 S.) 8°.

Münfter, Afchendorff 1911. M. 6.80

Zu den intereffanteften Dokumenten der katholifchen
Reformbewegung des 16. Jahrhunderts in Deutfchland gehört
das fogenannte Reformationslibell Kaifer Ferdinands I.,
ein umfangreiches Schriftftück, das Ferdinand am 22. Mai
1562 feinen Oratoren (Gefandten) auf dem Trienter Konzil
zugehen ließ, und durch das er die Reformverhandlungen
des Konzils in feinem Sinne beeinfluffen zu können hoffte.
Es wird hier dem Konzil die Anregung gegeben, vor der
Erneuerung der Dogmen die Reform der Kirche in die
Hand zu nehmen, die zahlreichen Mißftände im Kirchenregiment
(Fiskalismus), Kultus, Lebenswandel der Priefter
und Ordenswefen zu befeitigen, die deutfchen und benachbarten
Völker durch weites Entgegenkommen in Fragen
des Laienkelchs, der Faftenerleichterung und der Priefter-
ehe bei der Kirche zu halten, nicht auf unbedingte Re-
ftitution der fäkularifierten Kirchengüter zu dringen und
den ärgerlichen und gefährlichen Streit darüber, ob die
Reüdenzpflicht der Bifchöfe göttlichen oder menfchlichen
Rechts fei, vorläufig zurückzuftellen. Das Libell hat in
der Literatur verdiente Beachtung gefunden. Infonder-
heit hat Theodor Sickel ihm 1871 eine Monographie gewidmet
(Archiv f. öfterreich. Gefch. 45), und auf Grund
feiner Refultate hat Hugo Loewe in einer Bonner Differ-
tation von 1887 (Die Stellung des Kaifers Ferdinand I.
zum Trienter Konzil vom Okt. 1561 bis zum Mai 1562)
fich aufs neue in wertvoller Weife mit der Schrift be-
fchäftigt. In umfaffender, die ganze Stellung Ferdinands
und feiner Räte zur Kirchenreform mit in die Betrachtung
ziehender Erörterung ift jetzt Eder, ein katholifcher Theologe
und Schüler Merkles in Würzburg, auf die gleichen
Probleme zurückgekommen. Der erfte Teil feiner Arbeit,
der bisher allein vorliegt, enthält die Vorgefchichte und
die Entftehung des Libells bis zu feiner Fertigftellung
und Abfendung nach Trient. Die Schickfale der Schrift
auf dem Konzil find einem zweiten Teil vorbehalten.

Eder beleuchtet zunächft das, was er die ,entferntere
Vorgefchichte' des Reformationslibells nennt, d. h. die
Reformideen bei Ferdinand I. und Pius IV., die Wiederberufung
des Konzils nach Trient und die dortigen Verhandlungen
bis zum März 1562. Mit den hier gezeichneten
maßvollen Charakterbildern des Kaifers und feiner
Räte, des Papftes und feiner Konzilslegaten, der ver-
fchiedenen Denkfchriften und Aktionen kann man fich
durchaus einverftanden erklären. Dann folgt die ,nähere
Vorgefchichte' des Reformationslibells, fein Zuftande-
kommen auf Grund verfchiedener Gutachten und Überarbeitungen
in den Monaten März—Mai 1562. Wir erhalten
hier in nochmaliger gewiffenhafter quellenkritifcher
Unterfuchung manche Ergänzungen zu den von Sickel
und Loewe gefundenen Refultaten, ohne daß das Bild in
wefentlichen Zügen verändert würde. Von Bedeutung
ift ein Befchluß des kaiferlichen Geheimen Rates vom
17. März 1562, durch den auf Ferdinands Initiative Gutachten
in der Reformfrage eingefordert wurden. Eder
weift mit Recht darauf hin, daß hierin und nicht in der
erft fpäter am Hof bekannt gewordenen Vorlage von 12
Reformartikeln auf dem Konzil der erfte Anftoß zur Ausarbeitung
des Reformationslibells zu fehen ift, und er
meint ferner, daß nicht nur die kaiferlichen Räte Gienger
und Urban, fondern auch Cordova dem Kaifer ein Gutachten
über die Reform abgegeben habe. Franz von
Cordova, der Beichtvater der Gemahlin des Thronfolgers
Maximilian IL, ift eine intereffante Figur unter den katholifchen
Reformern, fofern er die ,Reformatio in capite'
als ganz befonders dringlich erachtete. Schon Loewe
hat nachdrücklich auf ihn hingewiefen. Ich geftehe aber,
daß mir ein wirklicher Beweis dafür, daß auch Cordova
ein Gutachten in unferer Sache abgefaßt hat, und daß
diefes Gutachten für die weiteren Arbeiten am Reformationslibell
benutzt worden fei, noch immer nicht erbracht zu
fein fcheint. Hauptfächlich auf dem Gutachten Giengers
beruht ein Entwurf des Sekretärs Singkhmoser, den Eder
im Wortlaut mitteilt, und ein Entwurf des Theologen
Staphylus. Des letzteren Werk erhielt fchließlich durch
den Vizekanzler Seid die endgültige Geftalt des Reformationslibells
. Der ehrliche Eifer des Kaifers um die
Reform und um die katholifche Kirche wird von Eder
mit Recht hoch bewertet. Geringer fcheint dem katholifchen
Verf. dagegen der objektive Wert der Reformvorfchläge
, die ihm teilweife zu weit gehen. Andere werden
finden, daß der Gedanke, mit folchen Konzeffionen
damals noch der Reformation das Waffer abgraben zu
können, ein großer Irrtum war, felbft wenn Ferdinand
den Papft und das Konzil gewonnen hätte.

Straßburg i. E. Robert Holtzmann.