Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1913 Nr. 12

Spalte:

360-361

Autor/Hrsg.:

Lohmeyer, Ernst

Titel/Untertitel:

Diatheke. Ein Beitrag zur Erklärung des neutestamentlichen Begriffs 1913

Rezensent:

Bauer, Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

359

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 12.

360

Da die alten Überfetzungen nur in einer verhältnismäßig
kleinen Zahl von Fällen einen belferen Text vorgefunden
haben, fo bleibt, wenn man fich nicht auf die
Feftftellung des älteften uns erreichbaren Textes be-
fchränken will, nur der Weg der Konjektur übrig. Ihn
mit Glück zu befchreiten, erfordert nicht nur gründliche
philologifche Schulung und große Kombinationsgabe,
fondern nicht zum wenigften eine gewiffe Kongenialität,
die uns befähigt aus dem Gedanken- und Anfchauungs-
kreis jedes Schriftftellers heraus den Text zu erklären
bezw. zu beffern oder zu ergänzen. Daß der Erklärer
des Jefajah diefe Fähigkeiten in ftarkem Maß befitzt, wird
niemand beftreiten. Referent fleht zwar vielen Konjekturen
Duhms ablehnend, andern zweifelnd gegenüber, aber
er erkennt doch dankbar an, daß er durch diefe Arbeit
Duhms reiche Förderung erfahren hat und er in dem von
D. vorgefchlagenen Text öfter die glückliche, bisher vergeblich
gefuchte Löfung fieht. In trefflicher Weife hat
D. es verftanden, die Metrik in den Dienft der Konjektur
zu ftellen. Bleiben auch noch genug Fragezeichen auf
metrifchem Gebiet übrig, fo ift das Ergebnis der bisherigen
Bemühungen um die Metrik doch derart, daß
kein Exeget der Frage nach dem Metrum der prophe-
tifchen Texte aus dem Wege gehen kann. Wie die Erklärung
des Jeremia zeigt, find wir noch weit von fichern,
allgemein anerkannten Refultaten entfernt, und auch in
Bezug auf die kleinen Propheten bleiben Fragezeichen
genug, immerhin haben viele der von D. gewonnenen Er-
gebniffe doch viel Wahrfcheinlichkeit für fich, und es ift
ein nicht geringes Verdienft D.'s nach dem Vorgang von
Marti die Metrik mit Konfequenz zur Herftellung des
Textes verwandt zu haben.

Die literar-kritifchen Bemerkungen find fehr knapp
gehalten, aber fie genügen um D.'s Stellung zu den einzelnen
Fragen zu erkennen. Schon die Reihenfolge, in
der die einzelnen Prophetenfchriften befprochen werden,
zeigt, wie er über das Alter derfelben denkt. Nach ihm
gehören der nachexilifchen Zeit von 520 bis ungefähr 130
an: Haggai; Sacharja c. 1—8; Obadja v. 1 —14, 15b aus
der Zeit bald nach der Kataftrophe Jerufalems, während
der profaifche Zufatz v. 15 a. 16 ff. in die Zeit der Makkä-
bäer, aber vor die Eroberung Idumäas fällt. Maleachi
ift etwas vor der Zeit des Esra und Nehemja gefchrieben,
aber anfcheinend nicht vollftändig erhalten, während
3, 22—24 ein unechter Zufatz ift, der vielleicht als Nachtrag
zum Dodekapropheton gedacht ift. In Joel unter-
fcheidet D. von dem echten Kern 1,2—2,17 den zweiten
Teil 2,18—4,21, der eine Ergänzerarbeit ift, in Profa
gefchrieben und durchaus apokalyptifchen Charakters. Er
flammt wie die Zufätze in Am. 1. 2. 9, Obadja, Jer., Jef. ufw.
aus der Zeit der Makkabäer. Zu Habakuk hat D. keine
Anmerkungen beigegeben, fondern verweift auf feinen
Kommentar. Sacharja 9—11. 13,7—9 enthält fieben Gedichte
, von denen das letzte fich mit dem Hohenpriefter
Alcimus befchäftigt, während die vorhergehenden etwas
älter find. Sacharja 12. 13,1—6.c. 14 zerfällt in zwei
Teile: der erfte 12,1 —13,6 läßt fich am beften aus den
Ereigniffen zur Zeit des Regierungsantritts des Johannes
Hyrcanus 135 a. Chr. erklären, der zweite c. 14 ftellt die
Not Jerufalems ziemlich viel anders dar, fcheint alfo die
Belagerung Jerufalems durch Antiochus Sidetes, die auch
c 12, iff. zum Hintergrund hat, nur als Vorfpiel fchlimmerer
Not anzufehen. Den Schluß bildet das Jonabuch, das zur
eigentlich prophetifchen Literatur fowenig wie zur hifto-
rifchen gehört, fondern nach D. eher zur epifchen Poefie.

Es ift nicht möglich, hier im einzelnen zu zeigen, inwieweit
das Problem der Bearbeitung der kleinen Propheten
oder die Erklärung fchwieriger Stellen durch Duhm
eine Förderung erfahren haben, vollends kann Ref. nicht
in eine Kritik der von D. vertretenen Anfchauungen eintreten
, das tut auch nicht not. Für Anfänger ift das Buch
nicht gefchrieben, vielmehr fordern Gelehrte von folcher
Eigenart wie D. mehr als andere kritifche Lefer. Nur

das fei gefagt, daß niemand, der fich eingehender mit
dem Dodekapropheton befchäftigen will, D.'s Arbeit un-
berückfichtigt laffen kann; wer fie aber berückfichtigt,
der wird bei aller fcharfen Kritik, die er üben mag, auf
feine Rechnung kommen.

Straßburg i'E. W. Nowack.

Behm, Priv.-Doz. Lic. Johannes: Der Begriff diatffjxTj im
Neuen Teltament. (VII, 116 S.) 8°. Leipzig, A. Deichert
Nachf. 1912. M. 3 —

Lohmeyer, Ernft: Diatheke. Ein Beitrag zur Erklärg. des
neuteftamentl. Begriffs. (Unterfuchgn. z. Neuen Te-
ftament, hrsg. von Hans Windifch. 2. Heft.) (VII, 180 S.)
8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1913. M. 6 —; geb. M. 7 —

Bisher war über Wort und Begriff ötadr/xr] im Neuen
Teftament mehr nur beiläufig gehandelt worden, zumeift
bei der Auslegung paulinifcher Briefe, des Hebräerbriefes
oder der Abendmahlsworte. Neuerdings find wir fall: zur
gleichen Zeit in den Befitz zweier Monographien gelangt,
die fich ganz ausfchließlich unterem Gegenftande widmen.
Beide Verfaffer find fich mit Recht bewußt, mit ihrer
Arbeit eine von der Forfchung gelaffene Lücke auszufüllen
. Wie nicht zu verwundern, verwenden fie teilweife
dasfelbe Material; müffen fie fich doch auch vielfach die
gleiche Literatur dienftbar machen. Ebenfo ftimmen fie
nicht feiten in den Ergebniffen überein. Aber Lohmeyer
fpannt den Rahmen weiter. Während Behm den Hauptnachdruck
auf die Klärung der fprachgefchichtlichen Seite
des Problems legt, kommt es L. darauf an, die Entfaltung
des Begriffs öia&rjxr] zur Darftellung zu bringen. Dafür
macht uns Behm wiederum Ausficht auf eine Entwick-
lungsgefchichte der Idee der xaivij öiad^xr] (S. 72). Lohmeyer
ift als zweiter in die Öffentlichkeit getreten. Deshalb
vermochte er von Behms Schrift Kenntnis und gelegentlich
noch Stellung zu ihr zu nehmen.1

Behm durchforfcht zunächft die Profangräzität, LXX
und Philo, um die Bedeutungsmöglichkeiten für öiaü-rjxr]
im N. T. zu ermitteln. Dann prüft er die einzelnen neu-
teftamentlichen Stellen, an denen das Wort vorkommt,
wobei fich ein Anhang mit öiadr/xr] im Barnabasbrief
und bei Juftin befchäftigt. Endlich faßt er kurz die wefent-
lichen Züge des neuteftamentlichen öia&rjxrj-begriffs zu-
fammen. In der vor- und außerchriftlichen, nichtjüdifchen
Gräzität ftellt er, wie nicht anders zu erwarten, als ver-
breitetfte Bedeutung feft: letztwillige Verfügung, Teftament.
Daneben hat das Wort aber auch ganz allgemein den
Sinn von Anordnung, Verfügung und andererfeits von
Übereinkunft, (einfeitigem) Vertrag. Lohmeyer gelangt
im großen und ganzen zum gleichen Refultat. Nur
möchte er ftatt Übereinkunft, (einfeitigem) Vertrag' lieber
minder unklar ,ein- oder zweifeitiges Rechtsgefchäft unter
Lebenden' fagen. Daneben betont er energifcher als B.,
daß von mindeftens 250 a. Chr. an die Bedeutung Testament
durchaus die herrfchende ift.

Auch bezüglich des Sprachgebrauchs von öia&rjxr]
in der LXX urteilen beide Forfcher im wefentlichen
gleich. Hier hat das Wort einmal den Sinn von ,Vertrag,
Bund', daneben jedoch vor allem den von .Verfügung,
Ordnung (Anordnung)'. In 270 Fällen gibt die alexan-
drinifche Überfetzung das hebräifche rfna mit öiaQ-rjxr)
wieder. Behm wie Lohmeyer wiffen, daß' fich die zwei
Worte im Grunde keineswegs decken und daß fich daher
ihre Zufammenlegung nicht ohne einen Wandel in der
Bedeutung vollzogen haben kann. AberB. befchränkt fich
darauf, kurz feftzuftellen, daß der Erfatz von rrna durch
6ia&7jxr] den großen Schritt bedeutet von der Vorftellung
einer Gottheit, mit der der Menfch Verträge fchließt, zu

1) Bei diefer Gelegenheit unterläuft ihm das einzige bemerkenswerte
Verfehen, das mir in beiden Büchern aufgeftoßen ift. S. 148 Z. 4 der
Anmerkung muß es ,un anwendbar' ftatt .anwendbar' heißen.