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Ausgabe:

1913 Nr. 11

Spalte:

337-338

Autor/Hrsg.:

Dunin-Borkowski, Stanislaus von

Titel/Untertitel:

Der junge De Spinoza 1913

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Seite 1

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337

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. Ii.

338

Vifitationsprotokollen von 1574—81 (Bl. f. w. K. G. 1891)
ift keine Spur von folcher Kontrolle zu finden.

Stuttgart. G. Boffert.

Dunin-Borkowski. Stanislaus v., S. J.: Der junge De Spinoza.

Leben u. Werdegang im Lichte der Weltphilofophie-
Mit 2 Vierfarbdr., 13 Autotypien u. 7 Fkfms. (XXIII,
634 S.) Lex. 8°. Münfter, Afchendorff" 1910. M. 15 —

Ein neues Spinozawerk, das von außerordentlich um-
faffenden und vielfeitigen literarifchen Studien Zeugnis
ablegt. Von den neueften Schriften über Spinoza, unter
denen befonders Meinsmas wertvolles Werk .Spinoza en
zijn Kring' (1896), die von der franzöfifchen Akademie
preisgekrönte Spinozabiographie von Couchoud und als
zuverläffigfte und befte Arbeit der I Band von Freudenthals
Spinoza (das Leben Spinozas 1904) hervorgehoben
feien, unterfcheidet fich das vorliegende Werk fchon äußerlich
durch die größere Ausführlichkeit, mit der Spinozas
Leben und philofophifcher Entwicklungsgang 1632—1657,
ein Jahr nach der Verbannung Spinozas, auf 520 Druckfeiten
, behandelt ift. Der Verf. hat fich die Aufgabe geftellt
,diefe Entwicklung des jungen Philofophen fozufagen Jahr
um Jahr mit den äußeren und inneren Ereigniffen feines
Lebens zu verbinden, aus feinen Studien, feinen Lefungen,
aus feinem Umgang, feinem Umbild wenigftens vermutungs-
weife zu erfchließen und zu erklären' (S. IV), und überall
foll dabei das Abgefehene und Abgelaufchte, das Ererbte
und Entliehene in Spinozas Gedanken vom felbftändig
Erdachten, neu Geformten, neu Entdeckten vorfichtig
gefondert werden. Auf den vorliegenden Band, der das
langfame geiftige Wachstum des Philofophen zur An-
fchauung bringt, wird ein zweites felbftändiges Werk folgen,
das die ,Reife' darfteilen foll.

Das erfte Kapitel des Werkes gibt eine vollftändige
Uberficht über die bisherigen Darftellungen des Lebens
Spinozas, fowie über Denkmäler, Urkunden und dieälteften
gedruckten Nachrichten, wobei vielfach eine forgfaltige
Vergleichung des handschriftlichen Materials als Grundlage
dient. Es folgt eine Schilderung der Knabenjahre,
befonders der Schulzeit. Wir lernen die neue jüdifch-
portugiefifche Schule zu Amfterdam kennen, ihre berühm-
teften Lehrer, die Rabbiner: Manaffe ben Ifrael, den Viel-
wiffer und zündenden Redner, den Rembrandt verewigt
hat, und Saul Levi Morteira, den großen Kenner des
Talmud und der Kabbaliften, und den Lieblingsfchüler
Morteiras, den jungen Spinoza (oder Defpinoza, was der
Verf. für die richtige Schreibart hält), der aber der altgläubigen
Schriftdeutung feiner Lehrer bald entwächft.
.Vielleicht bemächtigte fich jetzt fchon die Einheitsidee
mit unwiderftehlicher Gewalt feines Geiftes, zunächft als
dunkler Drang und Sehnfucht, in der nächften Zeit, im
letzten Schuljahr, als leuchtender Stern zur Aufhellung
des Welträtfels' (S. 117).

Aber auch Später noch laffen fich die Spuren des
Talmudftudiums und der Einfluß der Spekulationen jü-
difcher Religionsphilofophen in der Denkweife und in
wichtigen fittlichen Zügen Spinozas deutlich verfolgen.
Die damit zufammenhängende Frage nach der inneren
Entwicklung Spinozas und den dabei wirkfamen Faktoren
wird dann in den nächften Kapiteln eingehend behandelt.
Der Verfaffer bemüht fich zwar, die hiftorifchen Übertreibungen
einer Abhängigkeit Spinozas von Descartes
(Trendelenburg, Kuno Fifcher), von Giordano Bruno (Chr.
Sigwart) und von den jüdifchen Philofophen des Mittelalters
(Joel) auf ihr richtiges Maß zurückzuführen. Er meint
auch, man müffe die unpfychologifche Anfchauung aufgeben
, ,als könne ein neuer Gedanke, welcher unvermittelt
bei einem Philofophen auftritt, unmöglich aus feinem
eigenen Kopfe entfprungen oder auch durch mehr oder
weniger naheliegende richtige oder auch falfche Schlußfolgerungen
aus eigenen älteren Spekulationen gezogen
worden fein' (S. 159). Aber er ftellt fich im ganzen doch

auf den Standpunkt einer hiftorifchen Interpretation, nach
welcher die großen Denker und Syftembildner alle aus
der Vergangenheit herauswachfen. ,Sie fchaffen, fie erfinden
, weil Sie mit glücklichem Griff aus einem ungeheuren
Wuft von Zweifelhaftem, Falfchem, Wahrfcheinlichem das
Sicherfte oder das Zeitgemäße hervorheben, fie entdecken
mit wunderbarem Scharffinn verborgenen Goldftaub im
vorbeiwogenden Strom des menfchlichen Gedankens'. ,Ihre
Originalität ift nur die Funktion ihres kritifchen Verftänd-
niffes der Vergangenheit' (S. 163). So foll auch der Zu-
fammenhang der Spinoziftifchen Gedanken durch die Ge-
fchichte feiner Quellen aufgehellt werden. Nur indem man
diefe Gefchichte zu wenig berückfichtigte, fah man neue,
originelle Gedanken, wo uralte Begriffe vorlagen, und legte
dem Philofophen moderne Ideen unter, während er nur
im Sinne der Zeitgenoffen, ihnen allen felbftverftändlich
fprach. Unter diefen .uralten Begriffen' treten nun in dem
Buche diejenigen der Scholaftik befonders hervor. Der
Verf. meint, der Philofoph arbeite mit fehr vielen fcho-
laftifchen Begriffen, Gedankengängen und Beweifen, nur
müffen fich die Begriffe eine ftarke Umbildung, vielfach
fogar eine volle Umprägung gefallen laffen, was natürlich
auch die Beweife angreift (S. 512). Daß zu diefer Umbildung
die völlige Loslöfung fich gefeilte, daß die von
der Scholaftik fich abtrennende Philofophie die Fäden,
welche fie mit dem bisherigen Betrieb verbanden, mit
einem rauheren Griff als bisher abfchnitt und damit ,auf
die wahre Lebensbedingung, eine ruhige ftetige Entwicklung
' verzichtete, das war ,die große Sünde bei der Geburt
der neuen Weltanfchauung; das war ihr Verhängnis';
und auf dem Gebiete der Philofophie trugen Descartes
und Spinoza einen bedeutenden Teil der Schuld. Man
kann fie davon nur freifprechen, ,wenn man die geift-
reichen Verirrungen fäkularer Genies höher einfchätzt, als
die aus der jahrhundertelangen Arbeit großer Menlchen
und großer Denker langfam gereiften unfcheinbaren, aber
entwicklungsfähigen Keime' (S. 320!?.). Was für eine ,neue
Weltanfchauung' aus diefem langfamen Reifen fcholaftifcher
Keime fich hätte entwickeln fallen, darauf ift der Verf.
die Antwort fchuldig geblieben. Plier find auch die Grenzen
feines hiftorifchen Verftändniffes, ohne die ja in der Tat
ein Spinozabuch mit dem bifchöflichen Imprimatur nicht
wohl denkbar ift. Es ift dem Verf. aber zuzugeftehen, daß
er diefen Standpunkt mit großem Gefchick und großer
Gelehrfamkeit vertritt, und daß er die .abgeklärte Vorficht',
die er, nebenfächliche Einzeläußerungen zufammentragend,
der Philofophie des 17. Jahrhunderts als charakteriftifches
Merkmal aufdrängen will und von dem Gelehrten fordert
(vgl. die Äußerung über Galilei S. 305 f.), felbft in feinem
Sinne walten läßt. So liegt die Bedeutung des Buches
weniger in der Gefamtdarftellung als in einer Fülle wertvoller
Einzelheiten, an denen die künftige Spinozaforfchung
nicht wird vorübergehen dürfen. Den Schluß des Buches
bildet eine Sammlung intereffanter Spinozabilder.

Dresden. Th. Elfenhans.

Kettelers, Wilh. Emmanuel von, Schriften. Ausgewählt
u. hrsg. von Joh. Mumbauer. 3 Bde. (VII, 422; V, 320
u. V, 334 S. m. Bildnis.) kl. 8°. Kempten, J. Köfel
1911. geb. M. 7.50

Mundwiler, Joh., S. J.: Bifchof von Ketteler als Vorkämpfer
der chriltlichen Sozialreform. Seine foziale Arbeit u. fein
foziales Programm. Zur Jahrhundertfeier feines Geburtstags
dargeboten. (140 S. m. 1 Bildnis.) 8°. München
, Buchh. d. Verbandes füdd. kath. Arbeitervereine
1911. M. 1.50

Köth, Karl, S. J.: Wilhelm Emanuel Frhr. v. Ketteler. Ein
Lebensbild. (XII, 276 S. m. 29 Abb. u. 1 Bildnis.) 8°.
Freiburg i. B., Herder 1912. M. 3—; geb. M. 3.60
Es hält heute fchwer, Kettelers Schriften zufammen-