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Ausgabe:

1913 Nr. 9

Spalte:

282-283

Autor/Hrsg.:

Bungenberg, Theodor

Titel/Untertitel:

Gleichnisse Jesu. 10 Predigten 1913

Rezensent:

Bussmann, E. W.

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 9.

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zweifeln kann, daß diefe Art von Predigt ein Faktor in | Geift hinführt. Diefer Weg, voll fröhlichen Glaubens
der Umgeftaltung der Dinge von innen heraus werden muß. ! die moderne Welt und das moderne Evangeliumverftänd-
Herzerfrifchend ift die Offenheit und Entfchiedenheit diefer | nis zufammenzubringen, macht diefe Reden vor allem wert-
Predigt; nichts wird gefchont, was Rüge verdient: weder j voll und vorbildlich.

der Staat, noch die Kirche, noch die Gefellfchaft. Das Noch ein Wort über die Art, wie fich in der Form

Wort Gottes, ,das zweifchneidige Schwert' haut nach oben
wie nach unten. Die Energie eines prophetifchen Chriften-
tu ms berührt uns, das an den wirklichen lebendigen Gott
glaubt und glauben lehrt, damit das v.bel nicht wegerklärt,
fondern weggefchafft wird. Gott und Jefus und die neu
verfaßte Menfchheit — mit diefen Motiven wird auf Hörer
und Lefer in einer oft ftürmifchen Wucht eingedrungen.
Am meiften feffeln die in echt rednerifcher Fülle und
Macht einherraufchenden Predigten Kutters, andere find
mehr befinnlich — lehrhaft — aber im ganzen packt der
Band gehörig an. Man atmet ganz neuzeitliche Luft,
man lernt wieder glauben an die Macht des Wortes, das
vielleicht nur durch unfer Zagen gehemmt, noch fo wenig
Anftalten macht, zum dritten Mal, wie in der urchriftlichen
und in der reformatorifchen Zeit, die Welt umzugeftalten.
Wird auch nicht jeder und überall und immer fo fozial predigen
dürfen, ein Weg ift uns doch gegeben, der manchem
zur Bereicherung feiner Töne dienen mag.

Ein anderes Gebiet der Welt, das wir homiletifch bewältigen
müften, ift die Natur. Wir empfinden alle die Aufgabe
, ftatt uns ftets nur in dem Mittelpunkt des religiöfen
Lebens zu bewegen, auch fie, wie auch die entfernteren Gebiete
des Kulturlebens, unter das Licht Gottes zu ftellen.
Ob dafür die Art maßgebend ift, wie es Taube macht, ift
mir aber fraglich. Denkt man nicht bei Naturpredigten an
Predigten, die im Anfchluß an hohe Worte aus Pfalmen
und Hiob Gottes Stimme in dem All groß und feierlich
ertönen laffen, um uns zur Anbetung und zum Danken zu
zwingen? In Taubes Predigten wohnt ein andrer Geift.
Einmal wird in den eigentlichen Naturbetrachtungen viel
zu viel gefchulmeiftert, gerechnet und doziert, fo daß nur
feiten die Stimmung hoch auffteigt. Dann aber find die
meiften überhaupt keine Naturpredigten; denn fo kann
man doch keine Rede nennen, die zuerft vom Blühen und
dann von den Gefahren des Gefchlechtstriebes, oder eine,
die zuerft von der natunviffenfchaftlichen Aufgabe des
Blattes und dann von unfrer Aufgabe zu Dienen fpricht.
Diefer kleine moralifierende Ton hat mir die Freude an
diefen Predigten verdorben; er erinnert doch zu fehr an die
Zeiten des Rationalismus, dem wir zwar homiletifch im
ganzen nahe ftehen wollen, ohne aber in feine Schwächen
zu verfallen. Da weiß Baumgarten in feiner Pfalmpredigt
doch ganz anders die Natur reden zu machen: und zwar
von Gott, der ihr Herr ift und deffen Macht in Güte fie
fpiegelt. T. fchlägt viel zu engherzig und fchulmeifterlich
Lehren für unfer religiös-fittliches und zumal unfer Berufsleben
heraus. Nur wo er von der Sonne und dem Meer
fpricht, gerät ihm ein höherer Auffchwung.

Eine ganz befonders eindrucksvolle Art ftellt Peabody
dar. Ich liebe iie fehr. Auch er ftrebt immer ins Weite
hinaus. Dazu zwingt ihn ja auch die beneidenswerte
Gelegenheit, der diefe Reden ihre Entftehung verdanken;
find fie doch Sonntag abends vor Studenten gehalten.
P. hat eine befondere Vorliebe für Bibelworte, die in
der ,Ecke' ftehen; aus einem folchen zieht er nach kurzer
gefchichtlicher Erläuterung eine allgemeine Wahrheit
heraus, die er dann hintereinander auf allerlei Gebiete
anwendet, die feine Zuhörer angehn. So z. B. holt er
aus der Parabel von den zurückkehrenden böfen Gei-
ftern den Gedanken von der Gefahr des Vakuums heraus.
Ihn verfolgt er durch die Lebensalter des Kindes und
Jünglings, durch die Gebiete des Studiums, zumal das der
Bibel, des ganzen geiftigen und fozialen Lebens hindurch
T~ immer geiftvoll, immer praktifch, immer erbaulich. Sonft
ut es ftets das Gebiet der Erziehung, der fozialen Verantwortlichkeit
, der Bewahrung des perfönlich geiftigen und
fitthchen Lebens im Zeitalter der Mafchine, auf das fein
weltfroher und zugleich am Evangelium Jefu geftärkter

der drei Sammlungen die Rückficht auf unfere Zeit
geltend macht. Von einem Sammelband, wie es der erfte
ift, läßt fich naturgemäß weniger Beftimmtes fagen als von
den andern, die den Stempel eines Geiftes tragen. Und
doch läßt fich feftftellen, daß fich in jenem, wie es ja auch
von religiös-fozialen Predigten nicht anders zu erwarten ift,
die ganze Art der Darbietung von den alten kirchlichen Gewohnheiten
frei macht und neue volkstümliche Ausdrucksweifen
fucht. Will man den Gegenfatz der Zeiten an diefem
Punkt faffen, dann mache man fich den Unterfchied zwifchen
Baffermanns fein rhetorifcher, die Dinge des gewöhnlichen
Lebens nur leife andeutender Weife und derrednerifchen Art
etwa von Schädelin klar, die Dinge feft mit ihrem wirklichen
Namen zu bezeichnen. Ferner entfpricht es dem viel prak-
tifcher gehaltenen Zug diefer Predigten, daß die einer mehr
intellektualiftifch gefaßten Predigtaufgabe entfprechende
Propofition fehlt und eine lofe, rednerifche Anordung an
die Stelle tritt.

Taube zeigt, wie bemerkt, die ftarke Durchfetzung
der Predigtfprache mit Wiffenselementen, die fich um fo
Hörender geltend machen, als er imganzendieherkömmliche
Predigtform beibehält.

Peabody ift wieder ganz eigenartig. - Man hat den
Eindruck, daß er fich zu einer ganz eigenen Predigtform
durchgepredigt hat. Der Glanz der Sprache ift hinreißend,
prachtvolle Antithefen, aus dem Leben und der Natur
gegriffene Erläuterungen, Blicke nach allen Seiten hin
machen die Lefung diefer echt rednerifch dahinfließenden
Anfprachen zu einem Genuß. Das ift mir das Merkwürdige
, daß es ihm gelingt, fo zu fchreiben, wie man zu
reden hat, während fo manche Predigt nur eine mehr oder
weniger gut vorgetragene Abhandlung ift. Nur mit dem
Text nimmt er es weniger genau, als es uns gründlicheren
Deutfchen lieb ift.

Zum Schluß noch ein paar Bemerkungen.
Diefe unter einfeitigen Gefichtspunkten zufammen-
geftellten Predigtbücher follen unfere Predigt nicht zu
ähnlicher Einfeitigkeit, fondern grade zur Vielseitigkeit erziehen
helfen.

Wer gibt uns moderne Bibel- und Textpredigten?
Wer gibt uns populäre moderne Predigten, moderne
Dorf- und Kleinftadtpredigten? Ein Rezept für folche
will ich noch angeben: ein Anfchauungsbild beherrfche
fie oder höchftens zwei oder drei; und diefe Bilder mögen
von Gedankengängen begleitet fein, fo daß fich beide Stücke
gegenfeitig erläutern; die Bilder feien für die .Einfältigen',
die Gedanken für die Geweckteren, oder auch die Bilder für
alle beide.

Heidelberg. F. Nieberg all.

Bungenberg, Pfr. Thdr.: Gleichnifte Jefu. Zehn Predigten.
(98 S.) 8°. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 1912.

M. 1.20; geb. M. 1.80

Diefe zehn Predigten zeigen eine durchaus originale
Art. Der fie gehalten hat, befitzt eine große Begabung,
volkstümlich zu reden und weiß praktifch, anfchaulich)
im guten Sinne interefiant und eindringlich zu fein. Seine
Predigten find klar disponiert und frei von aller Phrafe.
Die Textbenutzung ift vortrefflich, dabei aber wird die
Anwendung auf die heutigen Verhältniffe ftets im Auge
behalten und ift meift in jeder Beziehung gelungen. Man
kann fich vorftellen^daß die Predigten gern gehört find
und die Hörer reichen Segen davon gehabt haben. Die
Predigten find in einer kleinen Diasporagemeinde Rheinlands
gehalten, die die verfchiedenften Schichten und
Stande umfaßt, Armut fehle faft ganz, die foziale Frage
habe noch keine Bedeutung, aber Zweifel feien vorhanden