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Ausgabe:

1913 Nr. 9

Spalte:

269-271

Autor/Hrsg.:

Kühnemann, Eugen

Titel/Untertitel:

Herder. 2., neu bearb. Aufl 1913

Rezensent:

Stephan, Horst

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 9.

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Sixtus' Tode ihr Zweck, die Exemplare wurden durch
die Jefuiten eingezogen. An der Spitze der Oppofition
ftand Kardinal Carafa; auch eine Talmudausgabe (über
die B. intereffante Mitteilungen macht) ift verhindert worden
Wegen des völligen Bruches mit Frankreich war
man nicht in der Lage, dort die Exemplare einziehen zu
können, fo daß der Hauptftock unteres heutigen Beftandes
aus franzöfifchen Bibeln befteht. Die amtliche Rechtfertigung
der Einziehung (Abfchnitt 6) erfolgte durch
Bellarmin. Er hat das von B. neu als folches betätigte Märchen
aufgebracht, die Bibelausgabe fei überhaupt nicht erfolgt
, vielmehr habe Sixtus felbft Befehl gegeben, die Bibel
einzuziehen und einzuftampfen. Wider befferes Wiffen
hat Bellarmin fo gehandelt; feine Selbftbiographie verrät
nichts von einer Einftampfung durch den Papft, wohl
aber die berühmte Vorrede Bellarmins zur Clementina.
Zum Schluß (Abfchnitt/) handelt B.noch von dem Modus
bei amtlicher Veröffentlichung von Konftitutionen, da
von jefuitifcher Seite behauptet wurde, die Konftitution
Sixtus' V habe keine Gültigkeit gehabt.

Diefes Refultat von Bellarmins ,Lüge' hatte fchon
Neftle in RE3 III S. 47 herausgehoben, B. kommt jedoch
das Verdienft zu, es fichergeftellt zu haben. Wohl endgültig
— trotz LeBachelet (2). Diefer konzentriert feineRecht-
fertigung Bellarmins darauf, es fei die Bulle Aeternus ille
nie rechtmäßig publiziert worden, alfo auch nie rechtskräftig
geworden. Dann aber ftänden Vorrede zur Clementina
und Selbftbiographie Bellarmins nicht in Widerfpruch zueinander
. Gegenüber den auf die Diplomatik fich nützenden
und mit Aktenmaterial arbeitenden Ausführungen
Baumgartens wirkt Le B. nicht überzeugend. Im Hintergrunde
fchwebt hier das vatikanifche Unfehlbarkeitsdogma
als Korrektor der Gefchichte; ift nämlich die Bulle rechtsgültig
publiziert worden, fo ift fie eine feierliche lehramtliche
päpftliche Erklärung, die Sixtina fei die vom
Trienter Konzil als authentifch poftulierte Vulgata, es
gälte alfo auch das Comma Joanneum als authentifcher
Bibeltext (was übrigens die moderne Bibelkommiffion
wirklich erklärt hat). Es ift aber doch nicht gerade
wahrfcheinlich, daß der Papft im Übereifer vor Publikation
der Bulle den autographifchen Vermerk des raa-
gister cursorum über den Vollzug der Bulle hat anbringen
laffen. So fcheint mir der Hauptwert der Le B.fchen
Schrift in der Materialienfammlung zu liegen zu der Frage:
Bellarmin und die Bibel. Die Entwicklung wird vorgeführt
und im Anhang eine Anzahl neuer Dokumente
geboten. Die Abhandlung über die Vulgata von 1591
flammt ficher von Bellarmin.

Die Vorrede zu dem zweiten Werke Le Bachelets (3)
belehrt uns, daß der gelehrte Verfaffer ein Supplement
zu Bellarmins Werken plant, als Abfchlagszahlung darauf
aber vorläufig nur die vorliegende Brieffammlung herausgab
. Es exiftierte fchon eine Sammlung von epistolae
iamiliares, 1650 von Jakob Fuligatti publiziert; fie ift un-
vollftändig, enthält vor allem nur Briefe nach Bellarmins
Kardinalat. Le B. hat nun im weiteften Umfange die
Korrefpondenz (alfo auch Briefe an Bellarmin) und fonftige
ihn betreffende literarifche und biographifche Dokumente
aus der Zeit vor dem Kardinalate gefammelt in einer
textkritifchen, mit guten Erläuterungen verfehenen Ausgabe
, insgefamt 256 Nummern, zu denen noch einige
Appendices kommen, u. a. die berühmte Selbftbiographie
Bellarmins und genealogifche Tabellen enthaltend. — Für
die Gefchichte des großen Kardinals ift diefes Werk Le
Bs unentbehrlich; Einzelheiten kann ich hier nicht angeben
.

Zürich. Walther Köhler.

Kühnemann, Eugen: Herder. 2., neu bearb. Aufl. (XXIV,
670 S. in. 1 Bildnis.) 8°. München, C. H. Beck 1912.

Geb. M. 8 —

Ein Buch, das fich fchwer in ein wiffenfchaftliches

Schubfach eingliedern läßt, weil es weder von den Ger-
maniften noch von den Philofophen als zunftmäßig anerkannt
werden dürfte. Denn es bietet keine Bereicherung
unferes gelehrten Wiffens über Herder, keine mono-
graphifche Behandlung feiner Philofophie, auch keine
Biographie im üblichen Sinne des Worts. Trotzdem ift
es ein bedeutendes Buch, an dem kein Freund und Lefer
Herders ohne Schaden vorübergehen kann. Es zeigt an
dem tragifchen Beifpiel eines Geifteshelden ein Lebens-
gefetz; es ift getragen von einer hochgefteigerten fitt-
lichen Stimmung, eine mächtige Predigt in der Form
eines Lebensbildes. Es predigt, daß die höcbfte Aufgabe
des Menfchen darin liegt, fein Erleben in Werken auszuprägen
, die ein wirklicher Ausdruck feiner Tiefen und
doch mehr find als Erzeugniffe der perfönlichen Kräfte
oder Stimmungen. Wenn die Werke des Menfchen den
Augenblick überdauern, fefte Glieder im Kulturbau der
Menfchheit werden und ihrem Schöpfer wahre Befriedigung
verleihen follen, dann müffen fie bei allem
Wurzeln im perfönlichen Leben doch eine objektive
Eigengefetzlichkeit, eine ihnen felbft immanente Notwendigkeit
erhalten. Wer zu folcher Höhe einer vom
Allzu-Perfönlichen befreiten Leiftung, wie wir fie etwa
in den Kunftwerken Goethes und Schillers bewundern,
nicht emporzufteigen vermag, fondern auf der Linie des
geiftreichen, lebenfprühenden Anregers flehen bleibt, der
fällt als Opfer einer unabwendbaren Entwicklung. Das
war das Verhängnis, dem Herder nach feiner ganzen
Anlage nicht entgehen konnte: ,Er ift das edle Blut, das
für eine neue Welt der Bildung floß' (S. 612).

Wir wollen nicht mit dem Verfaffer darüber rechten,
ob er etwa vorfchnell Züge, die rein individuell und
zeitgefchichtlich bedingt find, als Unterlagen oder Anwendungen
eines allgemeinen Gefetzes verwertet; auch
nicht darüber, ob die Aufgabe vielleicht einfeitig am
künftlerifchen Schaffen orientiert ift, oder darüber, ob
man die Maßftäbe der Kantifchen Philofophie fo direkt
und kräftig an das Wirken des durchaus anders gearteten
Herder anlegen darf. Wir wollen das nicht. Denn
K.s Werk ift in fich groß und bedeutend und es führt
ergreifend hinein in das Ringen einer ganzen gewaltigen
Zeit. Wir möchten deshalb zunächft dem Lefer empfehlen
, es auf fich wirken zu laffen. K. hatte urfprüng-
lich gehofft, vor allem bei jungen Künftlern Empfänglichkeit
zu finden. Er hat fich diefes Erfolges nicht
freuen dürfen. Defto mehr wünfchen wir ihm Lefer
unter den Theologen, überhaupt den gebildeten Chriften.
Wenn irgendwo, fo muß das Ringen um die Einheit des
Lebensganzen und um volle Hingabe an notwendiges
Wirken bei ihnen ein lebendiges Pleno erfahren — zumal
es hier am Bilde eines Mannes dargeftellt wird, der
unter den Führern des neueren Chriftentums einer der
größten ift.

Freilich gerade bei der Behandlung des für Herder
fo wichtigen religiöfen Elements müffen wir kurz verweilen
. K. bedeutet hier zweifellos einen erheblichen
Fortfehritt fogar über Hayms grundlegende Herder-
Biographie hinaus. Da ift keine Spur mehr von Spott
oder ablehnender Kühle gegenüber dem Chriften und
dem Theologen in Herder. Seine Frömmigkeit erhält
eine pofitive Würdigung im Rahmen feines Innenlebens,
feine kirchliche Tätigkeit wird als wichtiges Stück feines
Gefamtwirkens für die Erziehung der Menfchheit erkannt,
feine Theologie mit hoher Anerkennung ausführlich be-
fprochen; die Bückeburger Zeit, in deren Schätzung das
Verftändnis Herders fich am deutlichften zu erproben
pflegt, erfcheint nicht mehr als Epifode und bloßer Rückfall
in pietiftifche Enge, fondern als entfeheidender (freilich
falfch angedeuteter) Punkt für die Entwicklung feines
Lebens. Schon die erfte Auflage zeichnete fich auf diefem
Gebiete aus, die zweite tut es in noch höherem Maße.
Nimmt man diefe Behandlung Herders als des ,großen
Sehers, Predigers und Lehrers' mit der zufammen, die